LESERANWALT

Leseranwalt: Wenn die Redaktion nicht kommt wie die Feuerwehr, wenn's brennt

Ein Ehrenamtlicher der Feuerwehr schildert seinen Frust. Es geht um notwendige Veränderungen und um den Abschied von einst vertrautem Service von Lokalredaktionen.
Ein Feuerwehr-Vorsitzender ist frustriert. Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Redaktion sind nicht zu seiner Versammlung zu rufen wie die Feuerwehr, wenn's brennt. Es hat sich einiges verändert in der lokalen Berichterstattung. Das Symbolbild zeigt Feuerwehren bei einem Einsatz im Juli 2022 im Sinngrund.
Foto: Christoph Schmitt | Ein Feuerwehr-Vorsitzender ist frustriert. Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der Redaktion sind nicht zu seiner Versammlung zu rufen wie die Feuerwehr, wenn's brennt.

Anders als die Feuerwehr, wenn es brennt, erscheinen nicht immer Journalisten oder freie Mitarbeiter vor Ort, wenn sie gerufen werden. Das ist anders als noch vor einem Jahrzehnt. Bei Veranstaltern, die Berichterstatter wünschen, trifft nun oft eine Absage aus der Redaktion ein, so wie beim Vorsitzenden der Feuerwehr eines kleinen Dorfes vor seiner Mitgliederversammlung. Inhalt: Solche Versammlungen werden in der Regel nur dann von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter besetzt, "wenn der Verein ein Jubiläum feiert, es einen Generationswechsel im Vorstand gibt oder über ein großes neues Projekt (z.B. Bau eines Vereinsheims) berichtet wird. Wir bitten Sie, selbst einen Bericht und ein Bild anzufertigen und über unser Online-Portal hochzuladen: mainpost.de/einsenden"

"Wissen Sie, was Sie von ehrenamtlich engagierten Leuten verlangen?"

Der Vorsitzende (seit über 20 Jahren) schreibt daraufhin frustriert auch an mich: "Wissen Sie, was Sie von ehrenamtlich engagierten Leuten in kleinen Dörfern verlangen?" Er selbst begleite neun weitere solche Ämter. Pressearbeit übernehme er für mehrere Gruppierungen. Berufstätig sei er zudem. Leuten wie ihm, die ihre Zeit eigentlich für die Vereinsarbeit nutzen möchten, würden Stunden für Presseberichte aufgebürdet! Die benötige er für einen ordentlichen Bericht mit Bild!

Selbst wenn er mal nicht wisse, so fährt der Feuerwehrchef fort, wo ihm der Kopf stehe, wolle er halt, dass von seinen Vereinen und aus seinem Dorf ab und zu was berichtet werde. Leider übernehme das niemand anders. Seine Haltung verdient Respekt und Anerkennung, wie es allen Ehrenamtlichen zusteht, die dringend gebraucht werden.

Menschen, denen Bestätigungen der gedruckten Zeitung noch viel bedeuten

Ich erkenne einen der Menschen, denen Bestätigungen aus der gedruckten Zeitung noch viel bedeuten. Die gibt es erfreulicherweise noch, einer Welt, überfüllt mit Informationskanälen, zum trotz. Weil sich zeitgemäße, bessere Lösungen als die mit dem Online-Portal für Vereine aufgezeigte, derzeit für die Zeitung nicht finden, moniert der Vorsitzende nachvollziehbar: Die Print-Krise mit steigenden Kosten und geringeren Einnahmen, auch durch zurückgehende Anzeigenverkäufe, die Konkurrenz des Internets usw. solle "von den letzten ehrenamtlich Engagierten aufgefangen" werden, damit die Zeitung in der Lokalberichterstattung Kosten spare. Nun hoffe ich zumindest im Sinne des Gemeinwohls, dass es doch mehr Ehrenamtliche gibt, als der Feuerwehrmann hier signalisiert.

Auch in der Redaktion schmerzt der Abschied von Vertrautem

"Auch wir müssen uns ständig (nicht nur wegen Corona) nach neuen Gegebenheiten richten und uns von manch Gewohntem, Vertrautem verabschieden – auch wenn es uns selbst bisweilen richtig schmerzt", hat eine Redakteurin dem engagierten Mann geantwortet. Ihr personeller Spielraum in der Redaktion ist freilich auf die solide Betreuung wichtigerer Ereignisse ausgerichtet, die mehr Tragweite haben als eine Mitgliederversammlung. Die gibt es, selbst wenn das einen Feuerwehr-Vorsitzenden im speziellen Fall verständlicherweise schmerzt. 

Wieder hoffe ich auf bessere Zeiten

Den erklärenden Worten der Redakteurin füge ich hinzu, fast alles zielt auch in Zeitungshäusern darauf, Geschäftsmodelle für den digitalen Journalismus zu finden. Ein Transformationsprozess ist in vollem Gange. Unabhängiger Journalismus, der ein demokratisches Staatswesen konstituiert, muss auch wirtschaftlich eine Zukunft haben. Die dabei unübersehbare Situation, speziell im Lokalen, war am 16.6. von mir hier schon berührt. Titel: "Die Fleißarbeit eines Lesers zeigt eindrucksvoll den Gemeinsinn einer freien Mitarbeiterin". Es ging um eine Frau, die mit engagierten Leuten mitfühlt, die niemanden finden, der für sie über ein Ereignis berichtet. Sie übernimmt das, weil sie gesellschaftliche Bedeutung erkennt.

Mehr als am 16.6., als ich auf bessere Zeiten gehofft habe, vermag ich auch heute nicht zu sagen. Zumal Journalisten selbst unter erheblichem Druck arbeiten. Darauf weist auch eine recht aktuelle Studie hin. So werde ich wohl noch öfter auf die Situation des lokalen Journalismus zurückkommen müssen. Auch die Journalistenverbände würden auf dem flachen Land gerne mehr gut bezahlten freien Mitarbeitern begegnen und starken Redaktionen. Schließlich hat man aus den USA erfahren, zu was es führen kann, wenn Journalismus im Lokalen verschwindet. Grundsätzlich habe ich mich schon 2016 mit dem "Wurzelwerk der Lokalredaktionen" , den freien Mitarbeitern, näher befasst. Und noch 2008 habe ich "die Freien als ein Markenzeichen der Zeitung" bezeichnet. Die Situation hat sich eher zum Nachteil verändert.

Der Versuch kann lohnen: Vielleicht kommt ein Reporter

Wie dem Feuerwehrvorsitzenden Hoffnung aus der Redaktion gemacht wurde, gebe ich gerne an alle weiter: Falls sich mal mehr ergeben sollte und beachtliche Projekte im Verein angestoßen werden, könne er sich gerne per Mail an die Redaktion wenden. Das gelte auch, wenn ihm in der Nachbarschaft brisante Themen auffallen. Der Versuch kann lohnen. Vielleicht kommt ein Reporter. 

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Ergänzende frühere Kolumnen des Leseranwaltes

2007: "Wo der Lokalteil der Zeitung an Grenzen stößt"

2017: "Ein lokaler Bericht, der lange im Stau stecken blieb"

2020: "Die Nachrichtenauswahl ist immer diskussionswürdig"

2021: "Warum Redaktionen so transparent wie möglich arbeiten sollten"

 
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