Wer Zeitung liest, möge doch mal dabei seine Empfindungen testen. Mit seinen Empfindungen hilft uns dazu auf Facebook voller Ironie Herr C.K. auf die Sprünge. Er verweist dabei auf die Titelseite der Main-Post vom 17. Juli. Sie wurde zum Abschluss des Kiliani-Volksfests in Würzburg von einem Foto dominiert. Es zeigt ein Kettenkarussell auf dem die Fahrgäste in Schräglage ihre Runden drehen. Sinnigerweise lautete die darunter platzierte Schlagzeile des Hauptartikels "Lohn-Schieflage in der Pflege". Dazu gehört aber das Foto nicht.
Es steckt also auch Kritik in seiner Ironie, wenn C.K. dazu mit grinsendem Smiley im sozialen Netzwerk erklärt: "Ich finde die derzeitigen Illustrationen unserer Lokalzeitung zu den Hauptüberschriften ja immer sehr passend - Chapeau, liebe Mainpostille!"

Kommentator: "Die mir angetraute Pflegekraft konnte gar nicht lachen"
Ein Redakteur blieb in seinem Kommentar zu dem Post ernsthafter: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Die mir angetraute Pflegekraft konnte gar nicht lachen."
Man fühlt mit der Angetrauten, obwohl dem Karussellfoto durch die nebenstehende Bildlegende eigentlich eine eigenständige Bedeutung zukommt. Aber die Reaktion der Frau zeigt: Ein Bild, das sie beruflich nicht betrifft, hat sie wohl bei ihrem Gefühl getroffen.
Gerade festangestellte Pflegekräfte begegnen dem Verdruss ja schon lange in systemimmanenter Aufgabenfülle. Nun könnten sie mit Blick auf den Titel auch noch meinen, ein Karussell habe sie samt Forderung nach gerechter Entlohnung moralisch auf einen Rummelplatz platziert. Dieser Eindruck ist unbeabsichtigt und erweist sich hoffentlich in der Realität als falsch. Etwas Entspannung liefert zumindest Leser C.K. seinem Facebook-Post noch nach: Zwei Pflegerinnen hätten mit Lachen reagiert.
Nachricht neben Bild: Was ganz gewiss nicht vom Musizieren kommt

Gelacht will auch die Musikerin K.R. bei einem vergleichbaren Fall haben, nämlich am 4. Juli: Blickfang auf der Titelseite ist da, das sagt die eigenständige Bildlegende, das Mitmach-Orchester mit 600 Leuten, das unter Stardirigent Kent Nagano in Bad Kissingen gespielt hat. "Woher das AfD-Hoch kommt", verkündet aber die fette Schlagzeile unter den Musikern. Klar bleibt dennoch: Ganz gewiss nicht vom Musizieren.
Wenn eine "Text-Bild-Schere" entsteht
Eindrücke aus Begegnungen von Illustration und Text bleiben allerdings selten bedeutungslos. Dafür sorgt unser Verstand, weil er spontan gerne Bilder mit dicken Überschriften zusammenführt. Und das gelingt ihm umso besser, wenn ein Motiv sichtbar zu dem passt, was da geschrieben steht. Diese Harmonie erhöht meist die Aufmerksamkeit und verbessert damit die Nutzung des betroffenen Artikels. Nicht so bei einem Widerspruch. Der lässt im Journalismus eine "Text-Bild-Schere" oder allgemein eine "kognitive Dissonanz" entstehen. Das ist zu vermeiden.
Wider unliebsame Begegnungen
Harmonie kann den Verstand allerdings auch auf Holzwege führen, so die von der Schräglage des Karussells zur Schieflage der Pflege. Um gleichsam Rummelplätze schlechter Gefühle und falscher Eindrücke zu vermeiden, bedarf es großer redaktioneller Umsicht beim Platzieren. Daran kann es bei Zeitdruck mangeln. In Tageszeitungen jedenfalls sollten sich unvereinbare Ereignisse trotzdem nicht zu oft unliebsam begegnen. Wenn doch, hat das allemal zurecht Leser-Proteste hervorgerufen.
Überprüfen Sie sich doch einfach selbst
Dennoch: Über Assoziationen, die zwischen Bild und Text entstehen, entscheidet letztlich individuell das Bewusstsein jeder Leserin und jedes Lesers mit. So treten unerwünschte Konsonanzen und Dissonanzen selbst bei großer redaktioneller Umsicht immer wieder auf. Überprüfen Sie sich doch einfach selbst. Was fällt Ihnen zu Bild-Platzierungen spontan so alles ein?
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Ergänzende Leseranwalt-Kolumnen:
2014: "Größe macht schlechte Fotos nicht besser"
2016: "Viel Bild, wenig Aussage"
2020: "Gestörte Erinnerungskultur"
Juli 2021: "Ein veröffentlichtes Foto mit Schönheitsfehler"
Februar 2022: "Wie die Kritik eines Leser zu neuen Fotos geführt hat"
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