LESERANWALT

Leseranwalt: Zum Wählen animiert durch Konfrontationen und andere Meinungen in der Zeitung

Manche Leserinnen und Leser sehen in der Berichterstattung parteipolitische Einseitigkeit. Was Leseranwalt Anton Sahlender entgegnet und worauf es wirklich ankommt.
Mit Zoom- und Dreheffekt: Plakatwand der Parteien zur bayerischen Landtagswahl am 8. Oktober 2023. Ein Foto, das keine Partei bevorzugen will. 
Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa | Mit Zoom- und Dreheffekt: Plakatwand der Parteien zur bayerischen Landtagswahl am 8. Oktober 2023. Ein Foto, das keine Partei bevorzugen will. 

Wahlkampf stresst. Das betrifft nicht alleine Politiker, die ein Amt anstreben, sondern auch manche Leserinnen und Leser. Etwa Frau H.W., die mir schreibt, Chefredakteur Ivo Knahn habe doch in der Ausgabe vom 25. September versichert, diese Redaktion sei unabhängig und neutral und verfolge keine politische Agenda. Aber direkt daneben auf der Meinungsseite stehe eine Karikatur mit Markus Söder und Friedrich Merz, dazu die Zeile "halbstarke Randalierer". Sie fragt, ob ich darin nicht auch einen Widerspruch sehe.

Dieser Cartoon erschienen in der Main-Post vom 25. September auf der Meinungsseite neben dem Kommentar von Ivo Knahn.
Foto: Zeichnung Heiko Sakurai | Dieser Cartoon erschienen in der Main-Post vom 25. September auf der Meinungsseite neben dem Kommentar von Ivo Knahn.

"Nein", denn Knahn hat noch im selben Satz auch geschrieben: "Wir stehen für Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt." Diese entscheidenden Worte zitiert die Leserin nicht.

Kein Widerspruch zwischen Artikel und Illustration, Meinungsbeitrag und gewählter Karikatur

Sie zählt aber weitere Beispiele auf, die bei ihr als parteiliche Agenda ankommen. Unter anderem kritisiert sie die Illustration eines Artikels (Titel: "Wie könnte Unterfranken wählen?) zu Wahlumfragen. Frau H.W. stört "ein großes Foto von Wahlplakaten auf der ersten Seite, denn es zeigt das der Grünen groß im Vordergrund, die anderen kaum erkennbar" (Ausgabe vom 22.9.).

Ich verstehe zwar, wenn sie deshalb fragt: "Redaktionelle Wahlwerbung?" Aber so ist diese Illustration natürlich nicht gedacht gewesen.

Was nicht als Gegengewicht wahrgenommen wird

Nicht notiert hat die Leserin zahlreiche Beiträge, die zumindest ich in Übereinstimmung mit ihrer unverkennbaren parteipolitischen Neigung sehe. Erklärung für ihre und überhaupt für solche Reaktionen von Lesern bietet eine Studie von Forsa und der TU Dortmund: Danach werden Medien meist aus der eigenen Haltung heraus beurteilt. Anhänger der CDU/CSU und der AfD pflegen das Bild des vermeintlich "grünen" Journalismus. Die Anhänger von SPD und Grünen empfinden genau umgekehrt. Deshalb werden Veröffentlichungen, die die eigene Meinung bestätigen, als neutral und kaum als Gegengewicht wahrgenommen.

Ich will darüber nicht hinwegreden, dass sicher in Einzelfällen tatsächlich Ungleichgewichte zu beklagen sein können. Das passiert bei allem Streben nach Ausgeglichenheit. Doch fällt es im Rahmen einer lange vor der Wahl begonnenen, äußerst umfangreichen Berichterstattung kaum ins Gewicht. Ganz abgesehen davon, wirkt die Zeitung auf den Kommunikationsplattformen längst nur noch als einer unter vielen Absendern mit Informationen zur Wahl - freilich meist am seriösesten.

Entscheidend ist, wie Medien ihre Kontrollfunktion wahrnehmen

Statistiken, welche Veröffentlichungen dieser Redaktion parteipolitisch gegeneinander aufwiegen, kann ich nicht bieten. Sie würden vor dem Hintergrund von Meinungs- und Pressefreiheit kaum Sinn machen. Entscheidender ist doch, wie Medien ihre Kontrollfunktion wahrnehmen, also ihre Wachsamkeit gegenüber politisch Verantwortlichen und Mächtigen im Lande. Die muss bei aller Ausgewogenheit in der Darstellung in Wahlkampfzeiten erhalten bleiben.

Regierenden wird stärker auf die Finger geschaut

Lege ich diese demokratische Kritik-Pflicht zugrunde, empfinde ich frei von Statistik: Kanzler Olaf Scholz (SPD) und der Ampel in Berlin einerseits sowie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wie den Seinen in München andererseits, begegnet diese Redaktion häufiger kritisch als deren demokratischer Opposition. Dass den Regierenden stärker auf die Finger geschaut wird, dürfte man wohl in vielen Medien ähnlich vorfinden. Das gilt, selbst wenn man sich bei der Einordnung der Zielrichtung einzelner Beiträge nicht immer so leicht einig werden dürfte.

Leserin meint: "Medien können beeinflussen"

Mit dem kritischen Blick der Journalisten auf die Regierenden kommt eine andere Leserin, Frau L.S., nicht gut zurecht - speziell nach dem Beitrag "So denken die Bayern über Söder" auf der Titelseite am 23. September. Die Aufmerksamkeit für den Ministerpräsidenten findet sie nach längerer Beobachtung langsam unerträglich.

Zu diesem "bayerischen Denken über Söder" waren aktuelle Umfrage-Ergebnisse und deren Bewertung durch eine Politikwissenschaftlerin präsentiert. Das, so Leserin L.S., habe doch nur den Sinn gehabt, Söders Werte redaktionell drücken zu wollen. Sie folgert: "Ja, Medien können beeinflussen." Was ihr selbst bei dieser Zeitung offensichtlich nicht passieren kann. Anderen Leserinnen und Lesern traut sie diese ihre Standfestigkeit wohl nicht zu. Doch das alles bleibt subjektiv. Richtige Wirkungsforschung, um die es hier nicht geht, ist komplizierter. 

Gewünscht: Auseinandersetzung mit anderen Vorstellungen und weiteren Argumenten

Parteipolitische Beeinflussung ist jedenfalls kein redaktionelles Ziel. Das sind aber durchaus die Konfrontationen mit anderen Vorstellungen und Argumenten. Die Auseinandersetzung damit, versetzt Wählerinnen und Wähler in die Lage, besser informiert und bewusster zu entscheiden. Und ich kann mir vorstellen, dass einseitige Berichte, die zweifellos in Medien auftreten können, ebenso wie ärgerliche Ansichten demokratisch heilsam wirken, wenn sie gerade deshalb zum Wählen animieren.

Umso besser, wenn darüber auch der Stress verschwindet. 

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Wahlen:

2013: "Kandidaten vor der Wahl im Porträt - Überschriften sollten eine klare Linie erkennen lassen"

2014: "Besonders im Wahlkampf schlägt Parteigängern und Interessensvertretern die Stunde"

2018: "Aufgeklebte Werbung einer Partei"

2018: "Transparenz für das redaktionelle Konzept"

2022: "Wann eine Bewertung von Kandidaten-Aussagen vor der Wahl nötig ist"

2023: "Wenn die falsche Gleichsetzung von Biden und Trump Medienberichte schwächt"

 
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