Meine Wahrheit, deine Wahrheit und die Wahrheit, die Journalisten nicht gepachtet haben

Derzeit macht verstärkt die Beschreibung der Medien als „Vierte Gewalt“ die Runde. Aber das sind sie nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat sie als Wesenselement für ein freiheitliches Staatswesen gekennzeichnet. Als solches können sie öffentlich Druck erzeugen, mit Nachrichten, Meinungen oder Forderungen.

Aber eingreifen und mitbestimmen, das dürfen sie nicht, also auch nicht über den Rücktritt eines Bundespräsidenten. Das ist klar und gut so. Und doch wird es häufig anders kommentiert.

In einem neuen Journalistiklehrbuch („Medienqualität durchsetzen“), erschienen in der Schweiz, gefällt mir ein Beitrag, aus dem ich zitiere: „Hätten die Medien die Macht, die ihnen gerne zugeschrieben wird, Volksentscheide und Wahlen würden nie anders ausgehen als empfohlen oder prognostiziert. Obwohl sie sich in einzelnen Fällen so gebärden, die Medien haben die Wahrheit nicht gepachtet. Diese ist, wie die Schönheit, subjektiv gemäß dem chinesischen Sprichwort von den drei Wahrheiten: 'Meine Wahrheit, deine Wahrheit und die Wahrheit'.“ Geschrieben hat das 2011 ein Kollege, der Ombudsmann im Tagesanzeiger, Ignaz Staub.

Schweiz oder Deutschland: Die Diskussionen gleichen sich. Dass Journalisten in Image-Umfragen schlecht abschneiden, fast wie Politiker, das sorgt für Nachdenken.

Die Erkenntnis, dass neben eigenen Schwächen und Fehlern, die Ausreißer im Boulevardjournalismus negativ auf das Ansehen wirken, nutzt wenig. Jedes Medium handelt unabhängig. Den schlechten Ruf aber, den teilen alle und der schwächt alle. Dabei sollen Medien in einer Demokratie doch so etwas wie starke Wachhunde sein, die, wenn nötig, beißen können. Und sie sind als unabhängige Institution für eine Freiheit eingesetzt, die allen Menschen gehört. Dafür steht der Artikel 5 in unserer Verfassung. Wer sich in der Welt umsieht, erkennt: Ohne Demokratie keine freien Medien und umgekehrt.

Wer kontrolliert die Medien? Das kann mittlerweile jeder. Und viele tun es auf offenen Informationswegen, von denen es mehr denn je gibt. Die bescheren dieser Gesellschaft eine schier unendliche Freiheit der Meinung. Gedruckte Medien sind längst nicht mehr alleine am Markt und dort Zielscheibe von Kritik.

Journalisten haben die Wahrheit wirklich nicht gepachtet. Aber sie stehen mit der Unabhängigkeit ihrer Medien, trotz eigener Schwächen, für Demokratie und Freiheit ein. Darüber sollen sie wachen, stellvertretend für alle. Das ist wahr und sollte es bleiben. Selbst den Chinesen würde ich das wieder wünschen.

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