Aus einer kurzen Twitter-Begegnung sei hier berichtet. In dem sozialen Netzwerk übt ein initiativer Bürger Kritik an der Redaktion. Die kommt bei mir als Leseranwalt an, weil ich meine, dass engagierte Bürger Themen für regionale Tageszeitungen schaffen und hier auch umgekehrt. Der Bürger, kurz "W.", zählt zu den Leuten, welche die Steigerwaldbahn wieder zu Leben erwecken wollen. Sie soll, wie einst, wieder zwischen Kitzingen, Gerolzhofen und Schweinfurt verkehren. Dort, wo vielfach noch ein verwachsener Schienenstrang davon zeugt.
Als Bahngegner ausgemacht
Mit der umstrittenen Zukunft der stillgelegten Schiene samt Trasse befassen sich verschiedene Journalisten seit geraumer Zeit recht ausgiebig – zuletzt aber besonders nur einer. Und über diese „Monokultur“ ärgert sich W. auf Twitter, wo die #Steigerwaldbahn mit Hashtag schon länger wieder verkehrt.
„Sch....“ sei, wenn nur der Eine, kurz „V.“, schreibt. Von W. als „Bahngegner“ ausgemacht, bringe V. „das Blut einer breiten Menge zum Kochen“. Nun dürfe der „gefühlt zwei bis drei Artikel täglich abfeuern“.
Trotz meiner persönlichen Sympathie für eine auch landschaftlich reizvolle Bahnstrecke, kann ich das selbst gefühlt nicht bestätigen. Es gibt zwar viele Beiträge von V., einfach weil der sich regionale Kompetenz zur Auseinandersetzung um die Strecke angeeignet hat, aber tagelang gab´s halt auch mal keine Zeile.
Schmerzhafte Darstellungen
Eine Menge der zur Kontroverse um die Bahn-Initiativen erschienenen Artikel habe ich ob der Kritik und um des Dialogs willen natürlich nachgelesen. Nicht jede entleerte sprachliche Milchkanne auf dem langen Weg habe ich dabei beachtet. Aber auf dieser Berichterstattungsstrecke kann ich keine anhaltende Eingleisigkeit ausmachen – außer in einem Fall. Den habe ich hier schon beschrieben. Aber gerade den hat nicht V. „abgefeuert“.
Zugegeben, die Wiederbelebung der Trasse für die Bahn steht öfter nicht im Vordergrund der Berichte, wenn kommunalpolitisches Geschehen andere Prämissen setzt. Darunter eine Trassenplanung ohne Schienen. Daraus ergeben sich Hindernisse, die gefühlt schmerzhaft für die in Sachen Bahn initiativen Bürger sein mögen, die aber ebenso wie ihr Ziel dargestellt sein wollen.
Twitter-Öffentlichkeit mit Gesprächsfetzen
W. will mir nicht beispielhaft aus einem Bericht zutwittern, was ihn konkret darin stört. Sprachanalysen, damit auch ich Einseitigkeit erkenne, erstelle er nicht. Die müsse ich schon selbst bemerken. Via Email etwas ausführlicher kommunizieren möchte W. auch nicht, weil der Vorgang von öffentlichem Interesse sei. Das stimmt. So bleibt es in der Twitter-Öffentlichkeit bei der dort meist auf erweiterte Gesprächsfetzen beschränkten Meinungsschau.
Von "alten weißen Männern"
Gesellschaftlich auf ein aktuell häufig genutztes Abstellgleis versucht W. diese Redaktion mit seinem wohlfeilen Tweet zu rangieren, mit dem er wissen lässt, dass "eine Zeitung für 'alte weiße Männer' nur 'alte weiße Männer' schreiben lässt". Denn wer die Breite der Gesellschaft erreichen wolle, so W., achte nicht nur auf den Pluralismus der Teams, sondern auch auf den der Blickwinkel auf Themen.
Wie auch immer, diese aktuelle soziale Perspektive liegt im Trend. So klingt sie im vorliegenden Kontext wie gut zitiert. Dennoch verstehe ich als alter weißer Mann in der Sache gefühlt nur "Bahnhof", zumal in der hier angesprochenen Redaktion längst nicht nur alte weiße Männer wirken. Aber auch die lässt eine unabhängige Tageszeitung von einem interessierten Bahnfreund nicht einfach ausrangieren.
W. hat auf diese Kolumne reagiert und ausführlich Stellung genommen: "Fahrfähigen Zug für Steigerwaldbahn zusammenrangieren"
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Vorwürfen der Einseitigkeit
2008: "Denkende Menschen und intellektuelle Beleidigungen"
2015: "Wird Nachteiliges über eine Unternehmung verbreitet, müssen sich die Betroffenen äußern können"
2015: "Warum es in der Redaktion selten nur eine Meinung geben kann"
2016: "Journalistische Wahrhaftigkeit wiegt schwerer als eine Tendenz"
2019: "Keine Schablone über Redaktionen legen"