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Die katholische Kirche als Staat im Staate

Leserbriefe

Die katholische Kirche als Staat im Staate

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    Wie gut, dass Dr. Petra Ney-Hellmuth sich des Falles Michel/Stangl noch einmal angenommen hat. Kirche und Wissenschaftler waren, dem Urteil der Historikerin folgend, in ihren Beurteilungen nicht objektiv. Nach ihrer Annsicht sei Bischof Stangl unschuldig, er habe es halt jedem Recht machen wollen. Offensichtlich aber hat sein Gewissen nicht normal funktioniert, weil ihm der Teufelsglaube wichtiger war als die Gesundung der ihm anvertrauten Person. Gemäß dem peinlichen Dogma von der Existenz des Teufels konnte er sich seiner menschlich gebotenen Verantwortung dank des vatikanischen Schweigegebotes leicht entziehen. Niemals wurde er wie die Eltern und die Exorzisten angeklagt. Insofern fragt man sich, ob die Historikerin in der Bewertung von Stangls Verantwortung wirklich Neues zu Tage gebracht hat, was auch künftig zur Verhinderung menschenverachtender Exorzismen beiträgt. Indem sie Aussagen lebender Zeitzeugen nicht berücksichtigt, wird ihr Vorgehen ebenso fragwürdig wie das von Goodman und Wolff, welche kaum Belege oder Fußnoten nennten. Interessant wären die Bedingungen, welche man der Historikerin zum Beginn ihrer Dissertation für die Forschungsarbeit in den Archiven auferlegt hatte. Gab es seitens der Kirche oder des Staates Vorgaben, was „unter dem Teppich“ bleiben sollte? Ist Bischof Stangls Verhalten nach ihren Recherchen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen geltendes Recht gewesen? Weiß sie es nicht oder verschweigt sie es? Dass Staat und Kirche den hochrangigen Kleriker von seiner Verantwortung vor dem Rechtsstaat befreien durften, ist ein weiteres Beispiel der weitreichenden Macht der römisch-katholischen Kirche wie in den Fällen von Kindesmissbrauch und -misshandlung. Als „Staat im Staate“ darf sie sich auf das raffinierte Reichskonkordat zwischen Hitler und dem Vatikan von 1933 berufen. Betrachtet man den Exorzismus an Anneliese Michel nach Artikel 9 des Reichskonkordats, dann brauchte man den Bischof gar nicht vor Gericht zu stellen: „Geistliche von Gerichtsbehörden und anderen Behörden können nicht um Auskünfte über Tatsachen angehalten werden, die ihnen bei Ausübung der Seelsorge anvertraut worden sind und deshalb unter die Pflicht der seelsorgerlichen Verschwiegenheit fallen.“ Wie schön für einen Bischof, der die Verantwortung für den Tod der psychisch kranken Studentin bequem Eltern und am Exorzismus beteiligten Geistlichen zuschiebt. Wie gehabt, „die Großen lässt man laufen“? Nein, nicht ganz, für „die Kleinen“ gab es eine sechsmonatige Haftstrafe, allerdings auf Bewährung. Was schließlich doch bei allem Verständnis für die Faszination der Historikerin am „spannenden“ und „fesselnden“ Fall, musikalisch, filmisch und dramaturgisch verarbeitet, irritiert: Weder im Zeitungsbericht noch im Interview ist von Mitgefühl für die gemarterte junge Frau und ihre vom Glauben verwirrten, hilflosen und gestraften Eltern die Rede. Dieses ungute Gefühl kommt schon durch die reißerische Überschrift zustande: Der Zugang zum Exorzismus-Archiv, nicht das Opfer, ist die Nachricht des Tages. Dan Browns Diabolus lässt grüßen, die Redakteurin lehrt uns das Gruseln, und ich staune, wofür es alles Doktortitel gibt.

    frank Stößel, 97299 Zell

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