Mein Mann betreibt seit vier Jahren mit einem Kompagnon eine Praxis für Physiotherapie in einer Gemeinde nahe Würzburg. Kurz nach der Praxiseröffnung war der Terminkalender schon voll, so dass sie bereits nach zwei Wochen einen angestellten Physiotherapeuten suchten. Die Suche gestaltete sich als sehr schwierig, es gab kaum Bewerber, schon gar nicht in Vollzeit. Mittlerweile haben sie drei Angestellte in Teilzeit, aber der Bedarf an Therapien ist so groß, dass die Patienten immer noch sechs bis acht Wochen auf einen Termin warten müssen. Das ist für akut Erkrankte, z.B. kurz nach einer Verletzung oder Operation natürlich sinnlos. Mein Mann und sein Team versuchen zwar, z.B. durch Terminvergaben weit nach Feierabend, auch diese Patienten zu versorgen, aber immer wieder müssen Patienten abgewiesen werden. Der Normalbürger hat den Eindruck, dass das Geschäft prächtig läuft angesichts langer Wartezeiten und langer Wartelisten. Doch der Blick auf den Verdienst, den man mit einer so gut gehenden Praxis erzielen kann, ist mehr als ernüchternd. Die gesetzlichen Krankenkassen haben zwar kürzlich die Zahlungen etwas angehoben, z.B. von 16 Euro pro Einheit Krankengymnastik auf 19 Euro, diese Summen reichen aber bei weitem nicht aus. Schließlich müssen die Raummiete, sämtliche Nebenkosten, die Versicherungen, darunter die eigene Krankenversicherung mit über 700 Euro im Monat, Rentenversicherung, Kreditrückzahlungen für der Praxiskauf, Steuer etc. davon bezahlt werden. Um einigermaßen über die Runden zu kommen, müssten selbständige Therapeuten pro Behandlung maximal 20 Minuten veranschlagen und mindestens 50 Stunden in der Woche arbeiten. Ersteres ist v.a. für den Patienten nachteilig, da in brutto 20 Minuten (darin enthalten die Zeit für eine Anamnese und Aus- und wieder Anziehen) keine wirklich effektive Behandlung möglich ist, aber auch für den Therapeuten, der dadurch regelrechte Fließbandarbeit machen muss. Und eine 50- oder mehr-Stundenwoche kann man als älterer (und erfahrener) Therapeut nicht mehr absolvieren, denn Physiotherapie ist schwere körperliche Arbeit, die zu einem entsprechenden Gelenkverschleiß führt. Um es zusammen zu fassen, sieht die Lage meines Mannes und auch vieler anderer Therapeuten folgendermaßen aus: Er übt motiviert und kompetent einen wunderschönen und dringend benötigen Beruf aus, verdient damit aber so wenig, dass er ohne mein Gehalt gar nicht existieren könnte angesichts der vielen Ausgaben. Er leidet unter chronischen Gelenkschmerzen aufgrund von Verschleiß, kann aber als Selbständiger weder weniger arbeiten, noch ist es möglich, sich operieren zu lassen oder mal zur Reha zu gehen, weil das Verdienstausfall bedeuten würde. Als Minijobber oder Arbeitsloser wäre seine Lage besser. So ist es kein Wunder, dass der Beruf äußerst unattraktiv geworden ist und dass immer mehr Physiotherapeuten in einen anderen Beruf wechseln. Der Vollständigkeit halber möchte ich auf noch auf ein weiteres Problem hinweisen: Jeder Arzt hat nur ein bestimmtes Budget für die Verordnung von Physiotherapie zur Verfügung. Wie hoch sein Budget ist, weiß der Arzt aber nicht, weil dieses erst im Nachhinein aus dem Durchschnitt der verordneten Therapien aller Ärzte des jeweiligen Fachs errechnet wird. Wenn man nun mehr Therapien verordnet hat, als der Durchschnitt der Fachkollegen, so bekommt man zum Teil erst Jahre später einen Regress, d.h. man muss die mehr verordneten Therapien aus eigener Tasche den Krankenkassen zurück erstatten. So versucht jeder Arzt, seine Verordungsmenge möglichst klein zu halten und v.a. höherwertige Therapien, wie Manuelle Therapie oder Krankengymnastik am Gerät, zu vermeiden, was natürlich wiederum schlecht für den Physiotherapeuten ist. Dieses System ist vollkommen unsinnig und schädlich für alle Beteiligten, nämlich Therapeuten, Ärzte und natürlich allen voran für die Patienten.
Dr. Julia Wach, 97804 Würzburg