Corona hat dem politischen Berlin eine neue Ernsthaftigkeit verliehen. Alle Kraft gelte derzeit dem Kampf gegen die Epidemie, versichern Politiker der großen Parteien, alles andere müsse dahinter zurückstehen. Sogar die Frage, wer nächster Kanzlerkandidat der Union werden soll. Wer‘s glaubt, glaubt auch an den Weihnachtsmann oder an die Verschwörungstheorien von Xavier Naidoo. Offiziell könnte die politische Selbstkasteiung Auge in Auge im Kampf mit dem Virus stimmen. Wer in Talkshows oder Interviews potenziellen Kandidaten wie Armin Laschet oder Markus Söder die K-Frage stellt, erntet unschuldiges Augenrollen und beteuernde Handbewegungen: Nein, also wirklich, diese Frage stellt sich derzeit nicht. Das „nicht“ wird so betont, dass es ausgeschrieben mit Großbuchstaben zu drucken wäre. Diese Frage stellt sich derzeit NICHT. Keineswegs. Auf gar keinen Fall. Ganz ehrlich.
Hinter den Kulissen sind die Positionen längt eingenommen
Doch hinter den Kulissen sind die Positionen bei CDU und CSU längst eingenommen. Jede neue Umfrage wird nicht nur aufmerksam registriert. Sie wird seziert, hin und her gewendet, auf mögliche Schwachstellen des Gegners hin abgeklopft. In den Lagern des nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Laschet (CDU) sowie seines bayerischen Amtskollegen Söder hat vor allem der aktuelle ARD-Deutschlandtrend die Parteistrategen zu den Lupen greifen lassen.
Am besten bewerten die Deutschen da den CSU-Vorsitzenden Söder. 53 Prozent sagen, er wäre ein guter Kanzlerkandidat der Union. Laschet kommt auf 27 Prozent. Im Umfrage-Visier stehen auch noch Friedrich Merz mit einer Zustimmung von 33 sowie Norbert Röttgen mit 21 Prozent. Die CDU-Politiker Laschet, Röttgen und Merz müssen sich erst noch der Wahl zum CDU-Vorsitzenden stellen, die besten Chancen werden zurzeit ersterem zugerechnet. Wer CDU-Chef ist, darf auch Spitzenkandidat der CDU werden, aber dies nur in Absprache mit der CSU. Es macht also im Moment Sinn, sich auf das Duell Söder versus Laschet zu konzentrieren. Und da wird hart gekämpft. Von den Beteiligten selbst, aber auch von denen um sie herum, die mit dem einen oder dem anderen Hoffnungen auf eine politische Karriere verknüpfen. Gerüchte werden gestreut, das allerneueste lautet: Angela Merkel macht als Kanzlerin weiter. Man kann sich genau vorstellen, wie sich die Regierungschefin vor Verzweiflung das auch in Corona-Zeiten sorgfältig frisierte Haar rauft, wenn ihr das zu Ohren kommt.
Es braucht langen Atem, der die Corona-Krise überdauert
Merkel hat bereits mehrfach erklärt, dass sie NICHT wieder kandieren wird. Und es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln. Markus Söder hat bereits mehrfach erklärt, dass er die Kanzlerkandidatur nicht anstrebe. Dieses „nicht“ allerdings hat keine Großbuchstaben. Söder wie auch die Union würden unverantwortlich handeln, sollte sie wechselnde Trends nicht in ihre Strategien einbeziehen. Vor dem Corona-Ausbruch kam Söder auf zwölf Prozent Zustimmung, seine derzeitige Popularität ist also eine des Augenblicks und auch nicht immer nachvollziehbar. So wurden etwa die Grundschulen für die 4. Klassen im Land des angeblich so vorsichtigen Bayern nur wenige Tage nach denen in NRW geöffnet.
Söder wie der im eigenen Bundesland unangefochten populäre Laschet müssen erst noch beweisen, dass sie den wirklich langen Atem haben, der über den Corona-Kampf hinausgeht. Wer das am besten hinbekommt, qualifiziert sich auch als Kandidat für die Führung dieses Landes. Es ist aber Augenwischerei, so zu tun, also ob das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Krise und Kanzler – beide K-Fragen sind eng miteinander verbunden.