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WÜRZBURG: Kinderehe in Deutschland: Was ist erlaubt, was verboten?

WÜRZBURG

Kinderehe in Deutschland: Was ist erlaubt, was verboten?

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    Kinderehe in Deutschland: Was ist erlaubt, was verboten?
    Kinderehe in Deutschland: Was ist erlaubt, was verboten?

    Im aktuellen Entwurf zur gesetzlichen Neuregelung des Umgangs mit Kinderehen in Deutschland plädiert Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) für eine Annullierung aller Ehen von Minderjährigen, die jünger als 16 Jahre sind. Bei Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren spricht er sich für Einzelfallprüfungen aus. Diese Vorschläge werden derzeit heftig diskutiert. Sind im Ausland geschlossene Ehe von Minderjährigen grundsätzlich abzulehnen? Was bedeutet das vor allem für die Ehefrauen? Ab wann sind Jugendliche in Deutschland ehemündig? Antworten auf wesentliche Fragen.

    Inwieweit kann dieser Entwurf junge Mädchen schützen?

    In einem Punkt sind sich viele Parteien einig: Ehen von unter 16-Jährigen sind in Deutschland grundsätzlich nicht anzuerkennen. Das betont auch Uwe Kamp vom Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW). „Ehen von 14- und 15-Jährigen oder noch Jüngeren dürfen in Deutschland nicht anerkannt werden.“ Bei Ehen von Jugendlichen ab 16 Jahren hingegen fordert das DKHW eine Einzelfallprüfung – nicht nur im Falle einer Schwangerschaft oder von Kindern in der Ehe. „Einzelprüfungen sind zwingend notwendig, eine kategorische Regelung wird der Lebenswirklichkeit der Mädchen nicht gerecht“, betont auch Rudi Tarneden, Sprecher von Unicef Deutschland.

    Diese Ausnahmeregelungen sollten nach Ansicht Kamps nicht zu eng gefasst werden. „16- und 17-Jährige sollten nicht als Objekte behandelt werden, sondern als Subjekte, die durchaus eine eigene Meinung haben und danach handeln können“, betont Kamp und ergänzt. „Wenn das Gericht zu dem Entschluss kommt, dass die Ehe freiwillig geschlossen wurde, der minderjährige Ehepartner die Tragweite seiner Entscheidung abschätzen kann und die Fortsetzung der Ehe dem Kindeswohl dient, spricht aus unserer Sicht nichts dagegen, diese Ehen anzuerkennen.“

    Ab welchem Alter darf man in Deutschland heiraten?

    Die UN–Kinderrechtskommission hat kein Mindestheiratsalter festgelegt. Es gebe jedoch allgemeingültige Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes, so Kamp. Demnach sollen Ehen grundsätzlich ab 18 Jahren geschlossen werden. In Ausnahmefällen nach Prüfung durch ein Familiengericht ist eine Ehe bereits ab Vollendung des 16. Lebensjahres möglich – zumindest dann, wenn der Ehepartner bereits volljährig ist. „Die deutsche Rechtslage entspricht somit exakt dem, was die UN als Maßgabe vorgegeben hat.

    “ Diese Regelung gilt seit 1975. Bis Mitte der 1970er Jahre waren Frauen in Deutschland bereits mit Vollendung des 16. Lebensjahres, Männer mit Vollendung des 18. Lebenjahres ehemündig. Die Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ fordert hingegen eine ausnahmslose Anhebung des Heiratsalters auf 18 Jahre, da das bestehende Gesetz nicht zum Schutz Minderjähriger ausreiche. „Auch in Deutschland werden Minderjährige zwangsverheiratet. Hauptsächlich finden diese Eheschließungen in religiösen Zeremonien statt, aber auch standesamtlich getraute Fälle sind bekannt“, sagt Monika Michell, Referentin bei Terre des Femmes im Fachbereich „Gewalt im Namen der Ehre“.

    Sind alle Kinderehen Zwangsehen?

    Nicht alle Ehen von Minderjährigen sind Zwangsehen. Terre des Femmes spricht bei Frühehen oft von einer Form der Zwangsheirat. „Viele Minderjährige sind leichter zu beeinflussen und in einem größeren Abhängigkeitsverhältnis, das in diesen Fällen häufig ausgenutzt wird“, erklärt Michell. Es gibt sowohl Kinderehen als auch Zwangsehen. In der aktuellen Debatte müsse darauf geachtet werden, dass die Begriffe nicht synonym verwendet würden, so Kamp.

    „Diese Unterscheidung muss auch bei der rechtlichen Entscheidung über die Anerkennung der Ehe berücksichtigt werden.“ Zwangsehen sind nach deutschem Recht bereits jetzt strafbar. „Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft“, heißt es dazu im Paragraph 237 des Strafgesetzbuches. Ob es sich um eine Zwangsehe handele, müsse genau geprüft werden. „Hierzu müssen Vertrauen und eine Beziehung aufgebaut werden“, sagt Unicef-Sprecher Tarneden.

    Bieten Kinderehen den jungen Mädchen auch Vorteile?

    „Auch wenn mir objektiv kein Vorteil einfiele, kann ich die Entscheidung der Eltern gerade in besonderen Situationen, wie etwa im Syrienkrieg, nachvollziehen“, so Michell. Hierbei muss zwischen der Situation in den Herkunftsländern und der in Deutschland unterschieden werden. Denn gerade in ärmeren Gebieten oder in Krisengebieten spielen durchaus wirtschaftliche Faktoren wie die finanzielle Versorgung eine Rolle. Auch auf der Flucht kann eine Ehe das Mädchen in bestimmten Situationen schützen.

    Die Paare sind zum Teil über Wochen und Monate, manchmal sogar über Jahre hinweg unterwegs. Eine Ehe kann da eine Schutzfunktion haben. Dieser Schutzgedanke ist es, der die Eltern als auch die Mädchen zur Heirat bewegt.“ Die Ehen zwischen Minderjährigen, die im Ausländerzentralregister erfasst sind, verzeichnen überwiegend syrische Paare. Dies ist vor dem Hintergrund der verhältnismäßig großen Zahl syrischer Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr in Deutschland ankamen, nicht überraschend.

    Warum werden Kinderehen geschlossen?

    „Kinderehen sind weltweit ein Problem, die Zahlen gehen jedoch zurück“, sagt Unicef-Sprecher Tarneden. Die Gründe, aus denen Kinderehen geschlossen werden, sind vielseitig. Traditionen spielen ebenso eine Rolle wie finanzielle Aspekte. Gerade in Krieg- und Krisensituationen steigen die Zahlen. Das zeigt sich aktuell auch sehr deutlich in Syrien, wo die Zahl der Kinderehen bis zu Beginn des Krieges rückläufig war. „Dort ist nicht nur die Zahl der Kinderehen gestiegen, auch wurden die Mädchen immer jünger,“ so Michell. Aufgrund der Unsicherheit und der steigenden Armut könne in einer Ehe die Sicherheit und Versorgung der Mädchen gewährleistet werden.

    Viele dieser Ehen werden von den Eltern der Braut arrangiert. Neben finanziellen Gründen werden diese Hochzeiten teilweise auch arrangiert, um eine Familienfehde zu befrieden. Nicht zuletzt spielen die patriarchalen Strukturen in vielen Gesellschaften eine Rolle. „Die Mädchen werden früh vergeben, so kann sicher gestellt werden, dass sie jungfräulich in die Ehe gehen“, so Michell.

    Wie viele minderjährige Mädchen leben in Kinderehen?

    1475 verheiratete Jugendliche leben in Deutschland, 361 von ihnen sind laut Angaben des Ausländerzentralregisters jünger als 14 Jahre. In rund 80 Prozent dieser Ehen wurden minderjährige Mädchen verheiratet. Wie groß der Altersunterschied zwischen den Mädchen und ihren Ehepartnern ist, lässt sich aus den aktuellen Daten nicht erkennen. „Es gibt sicherlich Fälle, in denen ein 14-jähriges Mädchen mit einem 50-Jährigen verheiratet wird. Aber häufig beträgt der Altersunterschied fünf oder zehn Jahre“, erklärt DKHW-Sprecher Kamp. Weltweit leben nach Unicef-Angaben 720 Millionen Mädchen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet wurden. Demgegenüber stehen 150 Millionen minderjährig vermählte Jungen.

    „Die Konsequenzen einer Frühehe sind für Frauen jedoch wesentlich dramatischer, da sie häufig mit einer frühen Schwangerschaft einhergeht. Das stellt ein großes Gesundheitsrisiko für die Mädchen dar“, betont Terre-des-Femmes-Fachfrau Michell.

    Welche Konsequenzen hat eine Annullierung der Ehe für das Mädchen?

    „Das Spektrum reicht von einer räumlichen Trennung der Eheleute bis hin zu einer Begleitung des Paares, das weiterhin zusammenlebt. Entscheidend ist hier die genaue Prüfung des Einzelfalls, bei der das Kindeswohl im Vordergrund stehen muss“, sagt Unicef-Sprecher Tarneden. „Wenn es für das Mädchen wichtig ist, soll das Zusammenleben auch möglich sein“, betont auch Terre-des-Femmes-Sprecherin Michell. Zwangstrennungen seien keine Option. Trotzdem sind die Folgen einer Nicht-Anerkennung entscheidend. Erhält das Mädchen den Status unverheiratet, greifen bei den deutschen Behörden andere Maßnahmen. Das Mädchen erhält in einem solchen Fall als minderjähriger Flüchtling einen externen Vormund, es können Jugendhilfsmaßnahmen und eine enge Betreuung des Jugendamtes veranlasst werden. Allerdings gibt es auch hierbei einiges zu beachten.

    Sollte das Mädchen etwa von seinem Partner getrennt werden, ist es entscheidend, wo es untergebracht wird. „Kommt das Mädchen in eine Jugendeinrichtung, in der auch minderjährige Jungs wohnen oder Männer arbeiten, dann ist ihre Ehre beschädigt“, erklärt Michell. Im Falle einer Rückkehr in das Heimatland könnte das Konsequenzen haben. In Extremfall könne das Mädchen, das die Ehre der Familie „verletzt“ hat, umgebracht werden, so Michell.

    Welche weiteren Konsequenzen können aus einer der Annullierung der Ehe für das Mädchen bei einer Rückkehr oder Abschiebung in das Heimatland resultieren?

    Je nach Herkunftsland, nach den dortigen Traditionen und Erziehungsvorstellungen, kann eine Annullierung der Ehe zur Stigmatisierung der Mädchen führen. „Die Mädchen entfernen sich von ihrer Familie und werden sozial ausgegrenzt, da sie deren Ehre verletzt haben“, erklärt DKHW-Sprecher Kamp. „Auch wirtschaftlich sind die Folgen für diese geschiedenen Mädchen in ihren Heimatländern gravierend.“

    Welche Folgen hat die Nicht-Anerkennung der Ehe für mögliche Kinder?

    „Durch die bestehende Rechtslage in Deutschland sind minderjährige Mütter geschützt – egal, ob sie verheiratet sind oder nicht“, sagt Michell. So ruht beispielsweise erst einmal die elterliche Sorge, die Verantwortung für das Kind liegt nicht bei der minderjährigen Mutter. Ein Familiengericht entscheidet in solchen Fällen über das Sorgerecht. Doch grundsätzlich gilt: Wenn die Ehe annulliert oder für nichtig erklärt wird, werden mögliche Kinder des Paares zu nichtehelichen Kindern. Schließlich wird die Ehe nicht geschieden, sondern aufgehoben. In diesem Falle entfallen etwa Sorgerechtsvereinbarung, Erb- und Unterhaltsansprüche gegenüber Mutter und Kind. Der Vater muss in einem gesonderten Verfahren das nicht-eheliche Kind als seines anerkennen. „Das kann ja wohl nicht dem Kindeswohl entsprechen“, betont Kamp und verweist darauf, dass bei solchen Entscheidungen das Kindeswohl, also sowohl das Wohl der minderjährigen Mutter als auch das des Kindes im Auge behalten werden muss.

    Haben diese Ehen, die in Deutschland nicht anerkannt werden, im Herkunftsland noch Bestand?

    „Wenn Deutschland eine Ehe nicht anerkennt, gilt das zunächst einmal nur für Deutschland“, erklärt Terre-des-Femmes-Sprecherin Michell. Diese Entscheidung muss keine Auswirkungen darauf haben, wie die Ehe im Heimatland definiert wird. Bei einer Rückkehr ist es möglich, dass die deutsche Regelung keine Rolle spielt. „Gemäß internationalen Vereinbarungen müsste eine Ehe, die in Deutschland geschieden wird, international auch als geschieden gelten“, sagt Kamp. Man könne jedoch keinen Staat zwingen, diese Regelung anzuerkennen. „Grundsätzliche gilt auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts, dass private Verträge, die in anderen Ländern geschlossen wurden, auch in Deutschland anerkannt werden. Vorausgesetzt, sie entsprechen dem „ordre public“, erklärt der Kamp. Das bedeutet, diese Verträge dürfen nicht dem deutschen Recht widersprechen. Daher wurde auch die Ehe der 15-jährigen Syrerin aus Aschaffenburg von den Richtern des Bamberger Oberlandesgerichts anerkannt. Nach derzeitiger Rechtslage verstoße diese Ehe nicht gegen den „ordre public“.

    „Hier besteht Handlungsbedarf. Mit entsprechenden gesetzlichen Neuregelungen oder Präzisierungen müssen Ehen von Jugendlichen unter 16 Jahren annulliert werden“, erklärt Kamp.

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