Wenn es darum geht, Stärke auszustrahlen, den Bewahrer der öffentlichen Sicherheit zu geben, ist Joachim Herrmann in seiner Paraderolle. Dann lässt er seine Stimme noch tiefer werden, als sie schon ist. Dann baut er mitten im Satz Pausen ein, um dem Gesagten noch mehr Ausdruck zu verleihen. Und dann betont er manche Aussagen derart entschlossen, dass sie mehr als Fakt denn als Zitat daherkommen.
Am Mittwoch bot sich dem bayerischen Innenminister eine solche Möglichkeit. Vor dem Innenausschuss des Landtages referierte er über die Situation und das Vorgehen gegen „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ im Freistaat. Die Menschen also, die an den Fortbestand des Deutschen Reiches glauben und den Staat in seiner heutigen Form ablehnen. Dass die Anhänger der Bewegung es ernst mit ihren Thesen meinen, ist spätestens vergangenen Oktober klar geworden. Damals erschoss ein „Reichsbürger“ im mittelfränkischen Georgensgmünd einen Polizeibeamten. Seitdem will der Freistaat intensiv gegen die Gruppierung aktiv werden. „Als bundesweiter Vorreiter“, wie der CSU-Politiker betont.
Er und der Verfassungsschutz gaben Einblicke in eine Szene, über die bislang recht wenig bekannt war. Wichtigste Erkenntnis: Es geht um mehr als ein paar wenige Spinner. Bislang etwa 1700 Personen identifizieren die Behörden in Bayern nachweislich als „Reichsbürger“. Dazu kommen 1600 Personen, für die Hinweise auf die Zugehörigkeit zur Bewegung vorliegen. 40 sind eindeutig der rechtsextremen Szene zuzuordnen.
Katharina Schulze von den Grünen nennt die Zahlen „besorgnisserregend“, Florian Ritter (SPD) spricht von einem „erschreckendem Bild“. Eva Gottstein (Freie Wähler) kritisiert, dass die Bewegung zu lange unterschätzt wurde. Denn selbst in den eigenen Reihen hat der Freistaat mit „Reichsbürgern“ zu kämpfen. Derzeit stehen bis zu acht Bedienstete im öffentlichen Dienst der Bewegung nahe. Bei der Bayerischen Polizei laufen Disziplinarverfahren gegen 15 Beamte.
Drei davon sind in Ruhestand, sechs wurden zwangsbeurlaubt. Bleiben sechs, bei denen die bisherigen Erkenntnisse nicht für eine Suspendierung ausreichen und die offenbar ihrer Tätigkeit nachgehen können.
„Es darf nicht sein, dass diese Beamte noch im Dienst sind“, kritisiert der SPD-Abgeordnete Harry Scheuenstuhl. Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer macht deutlich, dass der „Reichsbürger“ von Georgensgmünd möglicherweise von einem Polizeibeamten vor dem Einsatz gewarnt wurde. „Es gibt Indizien dafür“, sagt er.
Sorgen bereiten den Behörden auch die Aggressivität der „Reichsbürger“. Der Innenminister spricht von einer „immer rasanter entwickelnden Gewaltspirale“ und macht dies auch an einer „Affinität zu Waffen“ aus. 130 Reichsbürger besitzen nachweislich so eine, in 240 Fällen besteht der Verdacht. Dazu kommen Personen mit Sprengstoff-Erlaubnissen sowie Kampfhunden. Die Behörden prüften derzeit, inwieweit sie diese Erlaubnisse entziehen können. 33 wurden bereits entwaffnet.
Auch sonst soll mehr gegen „Reichsbürger“ getan werden. Innenministerium und Verfassungsschutz haben für die Bewegung Arbeitsgruppen erstellt. Öffentliche Mitarbeiter sollen speziell für den Umgang mit „Reichsbürgern“ geschult werden. Sie sollen Hinweise über einen „Reichsbürger“ der Polizei melden, die die Informationen in den Präsidien bündelt. So sollen Anhänger der Bewegung schneller und besser identifiziert werden. Laut Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner sind diese auch in der Politik zu finden. Nach seiner Aussage sind zwei AfD-Mitglieder der Szene zuzurechnen. Einer davon ist im Landesvorstand der Partei.
„Reichsbürger“ Ideologie: „Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Stattdessen behaupten sie, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Häufig legen sie die Grenzen von 1937 zugrunde. Daher sprechen sie Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab. Ausweise: Sie weigern sich, amtlichen Bescheiden Folge zu leisten, und zahlen keine Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder. Einige sind mit erfundenen Ausweispapieren oder Autokennzeichen unterwegs. Beobachtung: Lange wurden sie als Querulanten belächelt, doch mittlerweile sind sie im Fokus der Verfassungsschützer: Seit vergangenem November werden die sogenannten Reichsbürger auch bundesweit beobachtet. Szene: Viele Akteure sind nach Einschätzung der Behörden in der rechtsextremen Szene aktiv, Experten warnen vor zunehmender Gewaltbereitschaft. Der Verfassungsschutz geht bundesweit von rund 10 000 Anhängern der Bewegung aus. dpa