Seit zwölf Jahren dolmetscht und übersetzt Ikonomou im Dienste der Europäischen Union. Inzwischen befasst er sich in seinem kargen Büro, in dem nur ein Regal voller Wörterbücher steht, mit der Übertragung von Amtsdokumenten in die verschiedenen Amtssprachen. „Ich bin nicht verliebt in meine Arbeit“, sagt er, „aber ich liebe sie.“ Selbst sein oberster Chef, Mehrsprachigkeitskommissar Leonard Orban, sagt über sein Sprachengenie: „Absolut außergewöhnlich.“
Touristen verstehen lernen
Als Kind wollte der Sohn eines Direktors im Athener Finanzministerium und einer Religionslehrerin die Touristen auf Kreta verstehen. So lernte er Englisch, da ging er noch nicht mal zur Schule. Als er zehn wurde, kam Italienisch dazu. Wenig später Russisch. In Columbia, Harvard, Wien, Peking und Teneriffa studierte er. „Ich wollte die Kultur verstehen, also lernte ich die Sprache der Menschen“, erzählt Ikonomou.
Goethe hat er ebenso im Original gelesen wie Tolstoi. „Die mystische Seite in mir verehrt die altpersische Dichtung.“ Derzeit beschäftigt er sich mit Chinesisch und Amharisch, der Sprache Äthiopiens. Südamerika liebt er über alles, in Rio de Janeiro würde er gerne leben. Er sei zwar in Griechenland geboren, aber er fühle sich „als Weltenbürger“. Zu Hause, bei seinem polnischen Ehemann, wird polnisch gesprochen und griechisch gekocht. Und doch fühle er sich oft einsam und unverstanden. „Ich mag die Oberfläche nicht, ich möchte die Tiefe ausschöpfen“, sagt Ikonomou. Viele gehen da nicht mit.
Dass man bei so viel sprachlicher Vielfalt hin und wieder durcheinandergerät, gibt er gerne zu. Als er noch in den Kabinen der EU-Institutionen saß, um Debatten und Diskussionen zu übersetzen, habe er manchmal Spanisch und Portugiesisch verwechselt, auch mal bei den Agrarministern aus „frozen semen“ (gefrorenem Samen) – versehentlich – „gefrorene Seemänner“ gemacht.
Hebräische Gedichte in der Pause
Heute lächelt er darüber. Gerade arbeitet er an einer Verordnung der Kommission über den Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer. Aus dem französischen Originaltext muss das 20-seitige Papier ins Griechische übertragen werden. „Ich weiß, dass ich hier etwas Wichtiges vor mir habe. Es geht um Schicksale und die Frage, wie wir damit umgehen.“ Wenn er mal eine Pause braucht, nimmt er ein Papier zur Hand, das er sich ausgedruckt hat: Es ist die hebräische Urfassung eines Gedichtes. Er lernt es auswendig.
Welchen Tipp würde der vielleicht sprachenkundigste Mann in der EU, über den man selbst beim Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer staunt, Schülerinnen und Schülern geben, die sich mit dem Pauken von Vokabeln schwertun? „Ich habe viel gepaukt, meine Wörterbücher sind voller eigener Anmerkungen. Aber wenn ich einen Rat geben sollte, dann würde ich sagen: Lest viel. Hört Lieder und lernt die Menschen dort zu lieben.“ Er tut das auf seine Weise: An jedem Sonntag hat er um 19.20 Uhr Zeit für sich reserviert: Dann schaut er im deutschen Fernsehen den „Weltspiegel“.
Daten & Fakten
Dolmetscher bei der EU Die Institutionen der Europäischen Union haben jeweils ihren eigenen Dolmetscherdienst. Dabei beschäftigt die Europäische Kommission mit etwa 500 Festangestellten und rund 2700 Freiberuflern die meisten Dolmetscher. Insgesamt sind bei Konferenzen und Plenarsitzungen über 5100 Dolmetscher tätig.