Ägyptens Demokratiebewegung will es jetzt wissen. Anfang der Woche erschienen ihre Aktivisten auf dem Qasr al-Nil-Polizeipräsidium, um für kommenden Sonntag ihre Protestdemonstration gegen das neue Demonstrationsgesetz anzumelden. „Wir werden auf dem Tahrirplatz den Rücktritt von Innenminister und Verteidigungsminister fordern, weil beide versagt haben, nach dem 30. Juni für Sicherheit zu sorgen“, erklärte Mohamed Adel, Gründungsmitglied der Bewegung „6. April“, die längst zum Urgestein der demokratischen Jugend am Nil gehört.
Denn seit letztem Sonntag herrschen per Gesetz auf Ägyptens Straßen wieder die altbekannten Verhältnisse. Ungeniert lässt das neue Versammlungsrecht, welches der vom Militär eingesetzte Interimspräsident Adly Mansour per Unterschrift in Kraft setzte, die autoritären Zustände unter Hosni Mubarak wieder aufleben. Und so sind für die Menschen- und Bürgerrechtler am Nil die neuen Vorschriften nichts anderes als der Versuch, die mühsam im Arabischen Frühling erkämpften Freiheitsrechte wieder abzuschaffen.
„Missbrauch öffentlicher Plätze“
Für die Muslimbrüder gar bedeutet das Gesetz ab sofort ein faktisches Demonstrationsverbot. Der Text zeige, wie der Staat künftig Proteste seiner Bürger verstehe – „als Verbrechen auf frischer Tat und Missbrauch öffentlicher Plätze“, schrieb Karim Medhat Ennarah von der angesehenen „Ägyptischen Initiative für persönliche Rechte“, eine Kritik, der sich 19 weitere lokale Gruppen anschlossen. Alle Demonstrationen und öffentlichen Versammlungen würden kriminalisiert, die Polizei bekäme geradezu „freie Hand“ gegenüber der Bevölkerung.
Denn in Zukunft muss jede öffentliche Versammlung mit mehr als zehn Personen, selbst im Wahlkampf oder auf Parteikongressen, drei Tage vorher von der zuständigen Polizeiwache genehmigt werden. Der Antrag muss die Namen der Organisatoren enthalten, den Grund des Protestes und die Slogans, die die Demonstranten dabei skandieren wollen.
Gleichzeitig ist der Gesetzestext gespickt mit nebulösen Straftatbeständen und drastischen Strafdrohungen, dass sich im Grunde niemand mehr einer politischen Kundgebung anschließen kann, ohne hohe Geldbußen oder gar Gefängnis zu riskieren. Wer „den Gang der Justiz behindert“ oder „die Rechte anderer Bürger einschränkt“, kann bis zu fünf Jahre hinter Gitter wandern. Wer sein Gesicht maskiert, dem drohen bis zu zwölf Monate Haft. Wer bei einer nicht genehmigten Demonstration festgenommen wird, muss umgerechnet 1200 Euro Strafe zahlen, für viele Ägypter ein halbes Jahreseinkommen. Absolut verboten sind künftig Kundgebungen in der Nähe von Kirchen oder Moscheen. Das Gleiche gilt für Proteste, die die Staatssicherheit ohne nähere Begründung als „Bedrohung der Sicherheit oder des Friedens“ deklarieren kann. Umgekehrt werden die Polizisten ausdrücklich ermächtigt, in „legitimer Selbstverteidigung“ scharfe Munition gegen Demonstranten einzusetzen.
Und so üben neben den ägyptischen Bürgerrechtlern auch „Human Rights Watch“ (HRW) und die amerikanische Regierung harte Kritik. Das neue Paragrafenwerk entspreche nicht internationalen Standards und behindere Ägyptens Weg zur Demokratie, urteilte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki. „Das Gesetz wird die Demonstrationsfreiheit, die sich die Ägypter im Januar 2011 erkämpft haben, zurückdrehen“, erklärte Joe Stork, HRW-Vizedirektor für den Nahen Osten.
Die ägyptischen Revolutionäre von damals wiederum verstehen ihren ersten offiziellen Polizeiantrag für kommenden Sonntag als aufschlussreichen Lackmustest. „Wird unser Antrag abgelehnt, ist das ein klarer Beweis, wie repressiv das neue Gesetz ist“, erklärte Mohamed Adel von der Bewegung „6. April“. Andere Kollegen posteten derweil auf Twitter vergilbte Plakate aus der englischen Kolonialzeit mit der Aufschrift „Alle Demonstrationen sind verboten auf Anordnung des britischen Militärgouverneurs“.