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Afghanistan – Eine komplett andere Welt

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Afghanistan – Eine komplett andere Welt

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    Täglich im Einsatz: Steffen B. aus Würzburg ist Betriebsstoffprüfer.
    Täglich im Einsatz: Steffen B. aus Würzburg ist Betriebsstoffprüfer.

    Das Thermometer zeigt um 10 Uhr morgens 38 Grad. Es ist heiß und staubig. Rötlich schimmert in der Ferne die Marmal-Gebirgskette. Das deutsche Feldlager trägt ihren Namen und liegt im Nirgendwo im Norden Afghanistans. Hier sind 3400 deutsche Soldaten stationiert, davon neun Prozent Frauen. Ihr Auftrag und der Slogan der Bundeswehr: „Wir. Dienen. Deutschland“. Die Bundesrepublik ist weit entfernt, rund 4500 Kilometer Luftlinie. Trotzdem sind die Truppen hier, um Afghanistan vor Feinden zu schützen. Taliban, Aufständische, Rebellen – es gibt viele Gruppen, die den Soldaten gefährlich werden können. Zu sogenannten Zwischenfällen kommt es wöchentlich. Anschläge, Schusswechsel, Explosionen. Draußen, jenseits der hohen Mauer, lauert der Tod.

    Hauptmann Christian S. zeigt auf die Umrisse von Masar-i-Scharif, der Provinzhauptstadt. „Bei klarem Wetter kann man die Blaue Moschee sehen“, sagt der 31-Jährige. Heute ist es diesig. Staub wirbelt auf. „Rausfahren geschieht nur mit schusssicherer Weste und Helm. Die Regel gilt für alle.“ Im Camp ist jeder bewaffnet. „Eine Waffe zu tragen ist Pflicht, außer in den Sporthallen.“ Insgesamt sind im Feldlager Marmal Soldaten aus 17 Nationen, NATO-Bündnispartner, mit rund 7000 Soldaten stationiert. Etwa 11 000 Flüge starten und landen monatlich auf dem eigenen Flughafen. Er liegt somit auf Platz fünf in der Größenordnung der betriebsreichsten Flughäfen Deutschlands. Ein paar Mal die Woche kommen neue Soldaten. Ihr Ausdruck ist verhalten, im Gegensatz zu denen, die ihren Einsatz beendet haben.

    In der Transall sitzen sie dicht an dicht auf Notsitzen. Voller Vorfreude auf zu Hause, auf Familie, auf Freunde. Noch ein Zwischenstopp in der usbekischen Grenzstadt Termez, dann endlich mit dem Airbus der Luftwaffe nach Hause. Die Stimmung ist entspannt. Im Gegensatz zu den Flügen nach Kundus trägt niemand Schutzkleidung. Die Gefahr, mit einer Rakete beschossen zu werden, ist Richtung Grenze gering. Die Frauen und Männer sind freiwillig für vier bis sechs Monate nach Afghanistan gekommen. Vor Ort sind sie 24 Stunden im Einsatz, tragen fast rund um die Uhr Uniform, an sieben Tagen in der Woche. Auslandseinsätze fördern Karriere und Prestige. Doch sie haben ihren Preis.

    Der gebürtige Würzburger Steffen B. hat Halbzeit. Zur Bundeswehr haben ihn Freunde gebracht. „Mich begeistern die Kameradschaft, das Miteinander und das Gefühl, unter Gleichgesinnten zu sein“, sagt der gelernte Automobilkaufmann. Seine Heimatkaserne ist in Volkach, nicht weit weg von Frau und Sohn in Wiesenbronn. Die dritte Bewerbung für einen Auslandseinsatz hat geklappt. „Ich wollte nach Afghanistan, um mitreden zu können“, sagt der 26-Jährige. „Und natürlich auch wegen dem höheren Lohn.“ Das Lagerleben, das Land, alles sei eine ganz andere Welt. Als „zusammengewürfelten Haufen“ beschreibt er seine Kameraden. Dass er fast rund um die Uhr im Einsatz ist stört ihn nicht. „Zu Hause konnte ich mir das Leben hier nicht vorstellen. Heute weiß ich, dass Camp Marmal eine komplett andere Welt ist.“ Während eines Lehrganges in Deutschland wurde er zum Betriebsstoffprüfer ausgebildet. Täglich untersucht er das von Afghanen angelieferte Diesel und Kerosin auf seine Qualität. Er entscheidet, ob der Treibstoff einwandfrei ist oder nicht. „Erst nach eingehender Prüfung kann ich ihn zur Verwendung freigeben. Manchmal wird schon probiert, uns minderwertigen oder verschmutzen Treibstoff unterzujubeln“, sagt der Vater eines Sohnes.

    Wenn das Gefühl von Angst oder Bedrohung auftaucht, tauscht er sich mit seiner Partnerin aus. „Die wöchentlichen Telefonate mit ihr helfen und beruhigen mich. Und auch die Gewissheit, dass sie zu Hause alles organisiert“, sagt der Unteroffizier. Und dabei weiß er schon ganz genau, was er am Tag nach seiner Rückkehr machen wird. „Mit meiner Frau nach Frankfurt fahren. Dort darf sie sich in einem Luxusgeschäft einen Wunsch erfüllen.“

    Sherina Y. wird in den Operationssaal des Feldkrankenhauses gerufen. Der afghanische Patient wird durch die Patientenschleuse in den OP-Saal geschoben. Der weiß gekachelte Raum ist nur für einheimische Patienten. „Wegen der Keime und Bakterien“, sagt die Nürnbergerin. „Schussverletzung oder Minenopfer“, erklärt die 21-Jährige und blickt auf den blutigen Stumpf, der einmal ein Bein war. Die Stabsgefreite hat mit der Arbeit im Krankenhaus und als Einsatzsanitäter ihren Traumberuf gefunden. Das Krankenhaus im Lager ist vergleichbar mit einem deutschen Regionalkrankenhaus. Verwundete aus dem ganzen Land werden zur Weiterbehandlung eingeflogen. „Auch immer wieder zivile Personen“, sagt die Stabsgefreite. „Wir machen keinen Unterschied zwischen Militärangehörigen oder der lokalen Bevölkerung. Hier wird jedem geholfen.“

    Bei Schussverletzungen oder Anschlägen sei es wichtig, dass die „Goldene Stunde“ eingehalten wird. Die sogenannten MedEvac-Einsätze bergen Schwerverletzte. Das komplette Programm muss innerhalb von 60 Minuten erfolgen: Staublandung, Schießen aus der Luft, Tiefflug bei Tag und Nacht und die Zusammenarbeit mit der Begleitmaschine und den Bodentruppen. Diese Einsätze werden mit zwei Hubschraubern geflogen. Einer ist mit der medizinischen Ausstattung bestückt, der andere mit zwei Maschinengewehren. Spätestens nach 20 Minuten erfolgt die Landung nahe bei dem Schwerverletzten. Seine Aufnahme muss in fünf Minuten erledigt sein. Dabei bleiben die Rotoren auf Drehzahl, und der Begleithelikopter sichert die Aktion. Eine Rettung unter „Golden Hour“-Bedingungen und im Radius von 80 Kilometern ist bei Tag und Nacht möglich.

    Am Anfang hatte Sherina Y. Heimweh. Jetzt nicht mehr. Sie hat neue Freundschaften geschlossen. Doch es gibt auch Dinge, die sie vermisst. „Den Sauerbraten meiner Mutter, eine Badewanne, Autofahren und Shopping.“ Ihr größter Wunsch: „Barfuß über eine Wiese zu laufen. Vorausgesetzt, das Wetter ist Ende Oktober noch gut.“

    Vom nahen Flugfeld klingen Rotorengeräusche herüber. Drei Kampfhubschrauber starten im Schein der untergehenden Sonne, drehen ab in Richtung Bergkette. Mission: unbekannt.

    „Ich wollte nach Afghanistan, um mitreden zu können.“

    Steffen B., Soldat aus Würzburg, über die Beweggründe für seinen Einsatz am Hindukusch

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