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MÜNSTER: Angela Merkel gibt die Realpolitikerin

MÜNSTER

Angela Merkel gibt die Realpolitikerin

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    „Man muss die Dinge oft bis zum bittersten Ende vertreten.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt sich in ihrer vierten Amtszeit keiner Illusion hin. In einer globalisierten Welt sind Krieg und Frieden in der Politik oft zwei Seiten derselben Medaille. Also schwört sie auf dem Katholikentag in Münster am Freitag die 2500 Besucher in der überfüllten Halle auf ihren Pragmatismus ein. „Wie sollte Deutschland umgehen mit Konfliktherden und aggressiven Regimes?“ ist gefragt. Merkel nimmt in Kauf, dass der Applaus für sie, der anfangs noch so warmherzig und begeistert ausgefallen ist, im Verlauf der Diskussion mehr und mehr abebbt.

    Keine falschen Versprechungen

    Doch soll sie versprechen, dass Deutschland alle Waffenexporte in Krisenregionen einstellt? „Wir können nicht Soldaten ausbilden, dass sie ihr Land gegen Terroristen verteidigen und ihnen dann nichts in die Hand geben“, sagt Merkel nüchtern. Und wenn es nottut, diese Soldaten auch zu bezahlen, „sonst verkaufen sie nach drei Monaten ihre Waffen, um ihre Familien zu ernähren“.

    Ebenso sachlich räumt sie ein, dass US-Präsident Donald Trump durchaus recht habe mit seiner Frage, warum die USA 3,4 Prozent ihres Haushalts fürs Militär ausgeben und Deutschland nur 1,2 Prozent („ist das gerecht?“). Und sie sieht voraus: „Die Frage wird noch viel dringlicher werden.“ Denn die Bundesregierung steht vielen Anforderungen gegenüber – zum Beispiel nach mehr Unterstützung für die Pflege oder nach dem Ausbau digitaler Infrastruktur.

    Staatsmännisch steuert die Kanzlerin, die zwischen dem vatikanischen „Friedensminister“ Kardinal Peter Turkson und dem Friedensforscher Tilman Brück auf dem Podium Platz genommen hat, durch die Klippen. Ihre Art ist es nicht, die Muskeln spielen zu lassen. „Wir dürfen uns nicht stärker machen, als wir sind“, wirbt sie für eine internationale Politik mit Augenmaß. Unbeirrt hält Merkel an Gesprächen mit allen Seiten fest, auch wenn der Multilateralismus in der Krise stecke. „Es ist nicht richtig, dass man ein Abkommen einseitig aufkündigt“, tadelt die Kanzlerin die Iran-Politik des US-Präsidenten.

    Marshallplan für Afrika gefordert

    Afrika, der Kontinent, aus dem die meisten Flüchtlinge nach Europa strömen, kommt auf dem Podium sichtbar durch Kardinal Turkson aus Ghana in den Blick. Er begrüßt den Entwicklungsplan 2063 der Organisation afrikanischer Staaten. Dem Frieden auf dem Schwarzen Kontinent stünden oft auswärtige Interessen entgegen. Deshalb fordert Turkson, die Afrikaner darin zu bestärken, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Afrika darf nicht nur der Rohstofflieferant sein“, sagt der Präfekt der Vatikan-Behörde für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Die Erzeugerländer sollten sie vielmehr selbst verarbeiten. Und Europa sie mit einem großen Marshallplan dabei unterstützen. Die Bundeskanzlerin bejaht das voll und ganz. „Ich bin froh, dass sich die afrikanischen Staaten selber besser entwickeln wollen.“ Und schlägt sich schuldbewusst an die Brust, denn schließlich wurden 1870 im Deutschen Reich willkürlich die Grenzen der europäischen Kolonien in Afrika gezogen („einfach so – zack, zack!“).

    Frieden als ständiger Prozess

    Merkel-Kritiker, sofern sie in der Halle sind, beißen sich auf die Zunge. Keine Zwischenrufe, keine lautstarke Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik. Nur die kritische Nachfrage eines 13-Jährigen, warum die Hilfsaktion einer Jugendorganisation zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer blockiert worden sei. „Man muss sich an bestimmte Regeln halten“, belehrt ihn die Kanzlerin. „Es kann nicht sein, dass wir von Europa aus kriminelle Schlepper unterstützen, indem wir die Flüchtlinge direkt an der Küste Libyens abholen.“ Da ist sie wieder, die Realpolitikerin, die Frieden als einen ständigen Prozess begreift – unter Maßgabe des Möglichen.

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