Jutta Körner ist ein paar Minuten zu spät, sie kommt in knallorangeenen Schuhen um die Ecke gelaufen und entschuldigt sich: „Ich musste noch zwei Fahrräder ausliefern für Touristen“, sagt sie. Körner ist hauptberuflich Inhaberin eines Fahrradladens in Würzburg. In ihrer Freizeit widmet sich die 57-Jährige der Forschungsarbeit.
„Wehe, Sie schreiben Hobbyforscherin“, sagt Körner und lacht. Denn das ist sie wahrlich nicht. Hat Körner ein spannendes Thema entdeckt, spricht sie mit Zeitzeugen, geht ins Staatsarchiv und vergräbt sich in Akten.
„Vor vier Jahren habe ich einen Vortrag über Frauen im Dritten Reich besucht. Dort wurde auch über die Nazigegnerin Ilse Totzke berichtet“, erzählt Körner auf die Frage, wie sie eigentlich zum Forschen kam. Kurz vor dem Referat hatte Körner einen Flyer vom Arbeitskreis Stolpersteine bekommen, auf dem ein Foto von Totzke abgebildet war. „Ich habe dann bei dem Vortrag verkündet, dass Ilse Totzke einen Stolperstein bekommen soll“, sagt die Forscherin. Die Information stimmte jedoch nicht. Ilse Totzke sollte keinen Stein bekommen. Doch nun war Körners Neugier auf diese Frau geweckt. Sie machte sich auf die Suche. „Die Recherche von Totzkes Leben war sehr mühsam. Es gibt keine Tagebücher oder Briefe mehr. Auch das Bildmaterial ist sehr beschränkt.“
Doch Jutta Körner ließ sich davon nicht beirren. In Würzburg sind Gestapo-Akten im Staatsarchiv erhalten. Körner begann zu lesen und konnte schließlich zwei Personen ausmachen, die Totzke als Kinder kennengelernt hatten: John und Michael Schwabacher schlichen mit Totzke durch den Wald und übten dabei möglichst leise zu sein. „Das sollte wohl der Fluchtvorbereitung dienen“, sagt Körner. Die Mutter von John und Michael lag damals mit TBC im Krankenhaus, ihr Mann war in die USA ausgewiesen worden. Sie hatte gehört, dass Totzke schon einmal Flüchtlingen geholfen hatte. Das sollte sie nun wohl auch den Brüdern. „Zum Fluchtversuch ist es aber nicht gekommen. Warum weiß niemand“, sagt Körner.
Die Forscherin redet nicht gern über sich selbst. Immer wieder lenkt sie geschickt auf ihre Arbeit zurück. Es geht ihr um Ilse Totzke, die dem Naziregime „so unglaublich mutig und vehement die Meinung gesagt hat“. Diese Frau nicht zu vergessen und sie zu ehren, das ist das Motiv von Jutta Körner: „Ich will wissen, wie so etwas geschehen konnte im Deutschland meiner Großeltern? Wie konnte so ein Krieg entstehen?“
Für die Zeit von 1900 bis 1950 interessiert sich Körner schon länger. Ihre Liebe zur Geschichte wurde von ihrem Großvater und ihren Lehrern gefördert. Ein paar Semester Geschichte studiert hat sie auch, „bis mich mein Vater in den Semesterferien in Südfrankreich angerufen hat“. Ein Mitarbeiter hatte Geld unterschlagen und musste gekündigt werden. Berthold Körner brauchte seine Tochter im Fahrradbetrieb. Nach den Semesterferien nahm Jutta Körner noch ein Urlaubssemester und stieg dann ganz in den Familienbetrieb ein. „Die Arbeit mit den Fahrrädern macht mir Spaß“, sagt sie. „Der Mensch hat ja Kopf und Hände. Vielleicht ist die Arbeit im Laden ein guter Ausgleich zu der Forschungsarbeit.“
Noch forscht Körner über die Nazigegnerin Ilse Totzke. Doch schon bald will sie sich einer neuen Persönlichkeit widmen: Andrea Ellendt war für die Nazis aktiv. „Mein Forschungsansatz ist der gleiche. Wie kann es sein, dass jemand plötzlich verschwindet? Was muss da passiert sein?“, fragt Körner. Lange Zeit dachte man Totzke hätte das KZ nicht überlebt, auch über den Verbleib von Ellendt ist wenig bekannt.
Diese Woche wurde in Würzburg eine Straße nach Ilse Totzke benannt. Jutta Körner war dabei. „Endlich wird Totzke so geehrt, wie sie es verdient hat.“ Stolz sei sie nicht auf ihre Arbeit, dafür ist Körner zu bescheiden. Es sei einfach ein positiver Effekt, dass die Stadt sich nun für eine Ilse-Totzke-Straße entschieden hat. Der Neffe von Totzke war extra aus Bremen angereist. Erst durch Körner erfuhr er von der Existenz seiner Tante. Für seine Biografie sei es wichtig, dass er nun auch diese Lücke schließen konnte, erzählte er Körner in einem Gespräch nach der Straßenbenennung und bedankte sich. Und Jutta Körner freut sich einfach, dass sie einem Menschen weiterhelfen konnte.
„Mein Forschungsansatz: Wie kann es sein, dass ein Mensch plötzlich verschwindet?“
Jutta Körner, Inhaberin eines Fahrradladens und Forscherin