Experten rechnen mit einem weiteren Anstieg der Infektionen. Gerade in Touristenhochburgen wie Mallorca breite sich das Virus „rasend schnell“ aus, heißt es in Presseberichten. Doch so dramatisch, wie die Schlagzeilen signalisieren, ist die Lage an Spaniens Stränden nicht generell. Die Fakten sprechen eine andere Sprache.
Spanien meldete am Dienstag 1806 Fälle der Schweinegrippe und sechs Tote infolge der Influenza, berichtet Thomas Liebelt, Chefredakteur der deutschsprachigen „Costa Blanca Nachrichten“ und „Costa del Sol Nachrichten“ in Alicante. Liebelt, vielen Main-Post-Lesern als Redaktionsleiter in Bad Brückenau und Bad Kissingen noch bestens bekannt, warnt vor übertriebener Dramatisierung der Lage.
Denn in Spanien ist die Zahl der Ansteckungsfälle um gut 1000 niedriger als in Deutschland. Auch steige die Zahl der neuen Fälle längst nicht mehr rapide, so Liebelt. Der Chefredakteur kann deshalb die Aufregung in der früheren Heimat nicht verstehen. „Wenn ich deutsche Medien verfolge, gewinne ich den Eindruck, als sei Spanien Schweinegrippe-verseucht und Ansteckungsland Nummer 1 für deutsche Urlauber“, schreibt er. „Stellt sich nur die Frage, warum sich die Spanier dann untereinander nicht anstecken.“
Durchzechte Nächte
Liebelt liefert postwendend die Antwort: „Entscheidend ist offenbar das individuelle Verhalten. Überspitzt ausgedrückt: Wenn auf 'Malle' zehn deutsche Touristen aus einem Sangria-Eimer saufen, ist die Ansteckungsgefahr zwangsläufig größer.“ Nicht nur am Sangria-Strohhalm lauert der Virus, in Diskotheken und Restaurants hat man häufigere und engere Kontakte zu Fremden als zu Hause. Auch die Kinder spielen mit fremden Kindern aus anderen Ländern. Das sind Schmelztiegel für die Virusverbreitung. Zusätzlich können durchzechte Nächte und starker Alkoholkonsum die Immunabwehr schwächen.
Das erklärt auch, warum so viele jüngere Menschen erkranken: Sie haben mehr und engere Kontakte und gehen öfter in Kneipen und Diskotheken. Die gefürchteten schweren und tödlichen Verläufe bei jüngeren Menschen sind jedoch extrem selten.
In Frankreich und Italien wurden Anfang der Woche 628 beziehungsweise 618 Fälle der so genannten Schweinegrippe registriert. In Griechenland gibt es nach Angaben des Gesundheitsministeriums bisher rund 600 nachgewiesene H1N1-Infektionen. Die tatsächliche Zahl dürfte Experten zufolge viel höher sein, weil viele Infektionen milde verlaufen und gar nicht erkannt werden. Nur in einem Fall gibt es bislang Komplikationen: ein 33 Jahre alter Mann liegt in kritischem Zustand auf der Intensivstation eines Athener Krankenhauses.
Griechen decken sich ein
Zwar mahnen Politiker und Ärzte die Bevölkerung zur Besonnenheit, aber dennoch decken sich viele Griechen in den Apotheken wahllos mit Antibiotika ein, die hier vielfach ohne ärztliches Rezept zu haben sind. Auch Atemmasken und Desinfektionsmittel werden in den Apotheken bereits knapp. Noch ungewiss ist, ob die griechischen Schulen nach den Sommerferien Anfang September planmäßig öffnen werden.
In der Türkei gab es nach offiziellen Angaben erst 156 bekannte Fälle. Doch die Dunkelziffer dürfte nicht zuletzt wegen der lückenhaften medizinischen Versorgung in vielen Landesteilen sehr hoch sein. 123 Grippe-Patienten seien bereits vollständig genesen, meldet das türkische Gesundheitsministerium. Mit Hilfe von Wärmebildkameras versuchen die Behörden an den Flughäfen, Verdachtsfälle zu erkennen. Ein Grund, warum es in der Türkei bisher relativ wenig Infektionsfälle zu geben scheint, könnte der weit verbreitete Gebrauch von „kolonya“ sein, einer Art Kölnisch Wasser, mit dem sich viele Türken vor und nach dem Essen die Hände reinigen.
Das meist mit Zitronenaroma angereicherte kolonya enthält 70 bis 80 Prozent Alkohol und ist deshalb ein gutes Desinfektionsmittel. Mit Besorgnis sehen die Behörden allerdings dem November entgegen, wenn Zehntausende Türken zum Hadsch, der islamischen Pilgerfahrt nach Mekka aufbrechen – und sich im Gewühl der Gläubigen womöglich mit dem Grippevirus infizieren.