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BERLIN/SAN FRANCISCO: Der gefährliche Glaube an Google

BERLIN/SAN FRANCISCO

Der gefährliche Glaube an Google

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    Glaubt man dem Internetguru Ray Kurzweil, dann dauert es nicht mehr allzu lange. Schon im Jahr 2029 wird die Digitalisierung den Menschen in die Lage versetzt haben, eine Sicherheitskopie seiner selbst anlegen zu können, prognostiziert der Google-Chefingenieur. Das bedeutet: Unser Ich wird ewig leben. Wir sind unsterblich.

    Das ist offensichtlich die Kategorie, in der die neuen Heilsbringer aus dem Silicon Valley, jenem rund 80 Kilometer langen Tal südlich von San Francisco im US-Staat Kalifornien, denken. Ewiges Leben, drunter machen sie es nicht hier am Ursprungs- und Sehnsuchtsort der Computerindustrie, wo die Googles, Apples, Facebooks, Twitters, Yahoos und Youtubes sitzen. Ihnen gemeinsam ist ein blindes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sprich in die Algorithmen. Eines Tages werden sie mit ihren Formeln sogar den Tod besiegen. Sagen sie.

    Dass diese Weltanschauung nicht alle teilen, liegt auf der Hand. Während die Visionäre fest davon ausgehen, der Mensch werde bald ein besserer sein – erweitert um die Fähigkeiten der digitalen Maschine –, gehen die Kritiker von einem ganz anderen Szenario aus: Der Mensch ist dabei, sich abzuschaffen.

    Wie viel Selbstbestimmung haben die Nutzer schon abgegeben? Google empfiehlt ihnen tagtäglich, was sie kaufen, essen, gut oder schlecht finden sollen. Das Netz übernimmt die Planung des nächsten Urlaubs und organisiert sämtliche Sozialkontakte. Manch Suchende lassen sich von der Software sogar einen Lebenspartner vorschlagen.

    Philosophen warnen vor dem Ende der Privatheit,

    Google zieht seine Allmacht aus einem gigantischen Datenschatz, den die Nutzer selbst der Suchmaschine schenken. Sie mästen damit eine Datenkrake, die ihre Tentakeln längst in alle Lebensbereiche ausgestreckt hat. Der Internetriese aus Mountain View kennt uns besser als nahezu jedes andere Unternehmen, weil er unser Verhalten im Netz aufzeichnet, auswertet und zu immer exakteren Profilen zusammenfügt. Die werden gezielt mit Werbung bespielt. Im vergangenen Jahr hat Google damit 66 Milliarden Dollar erlöst und unglaubliche 14,4 Milliarden Dollar Überschuss erzielt.

    Dabei geht es den US-Boys nach eigener Darstellung erst einmal nicht ums Geld. Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin hatten zum Börsengang 2004 ein Manifest herausgegeben. Darin heißt es sinngemäß beziehungsweise frei übersetzt: Das oberste Ziel ist es, Dienstleistungen zu entwickeln, die das Leben von so vielen Menschen wie möglich verbessern. Wenn wir dieses Ziel verfolgen, kann es schon sein, dass wir keine kurzfristigen finanziellen Vorteile sehen. Egal. Wir glauben an den positiven Einfluss auf die Welt.

    Das unterscheidet die neuen Weltherrscher aus dem Silicon Valley von den alten (teils gefallenen) an der Wall Street. Ihre Religion war das Geld, und nur das Geld. Google und Co. glauben dagegen an Ideale. Sie sind überzeugt davon, dass ihre wie Heiligtümer gehandelten Algorithmen die Welt zu einem besseren Platz machen. Sie wollen das Leben der Menschen bestimmen, ohne sich von irgend jemandem dabei dreinreden zu lassen.

    Philosophen warnen vor dem Ende der Privatheit, vor einem „neuen Totalitarismus“. Siemens-Chef Joe Kaeser wähnt sich gar in einem „digitalen Krieg“. Wer diesen am Ende gewinne, hänge davon ab, wem die Daten gehörten.

    Die meisten Nutzer scheinen sich über solch bedrohliche Szenarien kaum Gedanken zu machen. Allein Facebook hat 1,5 Milliarden Mitglieder weltweit. Das sind auch Zeitgenossen, die sich recht sorglos im Netz produzieren – und freudig darauf warten, welche (kostenlosen) Dienste die Anbieter daraus stricken. Fragt man Google-Gründer Larry Page, welche konkreten Ziele er sich vorgenommen hat für die nächsten Jahre, antwortet er mit dem immer gleichen Satz: „Es ist noch früh.“

    Alte Geschäftsmodelle laufen Gefahr, über Nacht ausradiert zu werden

    So richtig scheint der Riese selbst nicht zu wissen, wohin er steuern will. Viele Projekte werden als sogenannte „Moonshots“ ins Blaue hinein gestartet: Google entwickelt zeitgleich ein selbstfahrendes Auto, forscht am ultimativen Krebsmedikament und treibt die Vernetzung der Wohnung durch den Kauf von Thermostat- und Rauchmelder-Firmen voran.

    Dass traditionelle Geschäftsmodelle dadurch über den Haufen geworfen werden, kommt den Visionären gerade recht. Google gehört noch nicht einmal zu den aggressivsten Angreifern. Digitale Revoluzzer wie Joe Gebbia richten da weit mehr „Schaden“ an. Gebbia ist der Gründer von Airbnb, einer Internetplattform, die Übernachtungen bei Privatleuten vermittelt. „Wir sind in 190 Ländern, 34 000 Städten, heute Nacht allein haben wir 400 000 Gäste, jede Minute werden 277 Übernachtungen gebucht“, sagte Gebbia Anfang des Jahres dem „Spiegel“. Was das langfristig für das traditionelle Gastgewerbe bedeutet, kann man sich ausmalen.

    Digitalisierung gepaart mit Globalisierung – das führt dazu, dass alte Geschäftsmodelle Gefahr laufen, quasi über Nacht ausradiert zu werden. Fachleute sprechen von der „Disruption“, dem wohl meistverwendeten Fachbegriff im Silicon Valley. Kennzeichnend für solche Entwicklungen ist fast immer, dass sie ganz unten und mit einfachsten Mitteln beginnen, sich dann rasend schnell weltweit verbreiten. Und bevor die etablierten Unternehmen überhaupt wissen, wie ihnen geschieht, geraten manche in blanke Existenznot.

    Uber ist auch so ein Beispiel. Ein simpler privater Fahrdienst, der sich in nur fünf Jahren zum alternativen Welt-Transportunternehmen aufgeschwungen hat. In vielen Regionen ist Uber billiger und nach Meinung von Millionen Nutzern besser als jeder klassische Taxiservice. Jeden Monat fangen bei Uber nach eigenen Angaben 50 000 neue Fahrer an. Gründer Travis Kalanick, der als rücksichtlos und überambitioniert beschrieben wird, hat die nächsten Schritte schon im Kopf: in Zukunft sollen die Uber-Taxis ohne Fahrer auskommen. Roboter übernehmen das Steuer. Sie transportieren dann nicht nur Personen von A nach B, sondern Güter aller Art.

    Über alle Grenzen hinweg zu denken, gehört zu den wichtigsten Fähigkeiten der Silicon-Valley-Jünger. Je kühner die Ideen, desto größer die Chance, an die Milliarden Dollar Wagniskapital zu kommen, die rund um San Francisco auf Abnehmer warten.

    Der Berufsstand des Hackers führt im Silicon Valley ein Doppelleben.

    Die Versuchung, in diesem verrückten Markt legale Grenzen zu überschreiten, ist natürlich groß. Parallel zu der von Google und Co. propagierten heilen Hightech-Welt hat das dunkle Netz, Darknet genannt, sich breitgemacht. Otto Normalsurfer verirrt sich nur selten in diese Schmuddelecke des Netzes, wo Nutzer anonymisiert unterwegs sind, und dank ausgeklügelter Verschleierungstaktiken von Fahndern kaum behelligt werden. Dort werden Drogen umgeschlagen und im Extremfall sogar Killer rekrutiert, wie Journalisten recherchiert haben. Besonders populär ist eine Art Service zur Vermietung von Hackern. Für ein paar hundert Dollar finden sich Leute, die die Computer anderer Leute knacken, ausspähen und Schadsoftware installieren.

    Der Berufsstand des Hackers führt im Silicon Valley ein Doppelleben. Die einen tun es im Verborgenen. Die anderen werden von der Industrie für viel Geld offen engagiert. Charlie Miller und Chris Valasek schafften es im vergangenen Sommer, ein Auto fernzusteuern. Der Fahrer saß zwar am Volant, hatte plötzlich jedoch keine Kontrolle mehr über seinen Jeep Cherokee – der Horror schlechthin. Der so brüskierte Autohersteller musste einen Rückruf starten.

    Bis zum Jahr 2030 werden Prognosen zu Folge eine halbe Billion Dinge mit dem Internet verbunden sein. Die mächtigen Datenkraken werden vermutlich zwischen ihnen und den Menschen vermitteln. Ob das Fluch oder Segen sein wird, darüber streiten die Gelehrten. Der Internetguru und Google-Chefingenieur Ray Kurzweil hat nur eine Sorge: dass er es nicht mehr erlebt. Der 67-Jährige soll am Tag 150 Pillen einwerfen, um lange genug durchzuhalten.

    Leben im digitalen Zeitalter – So fühlen sich die Nutzer

    Vier von fünf Internetnutzern (80 Prozent) in Deutschland halten ihre persönlichen Daten im Internet für unsicher. Das ist nur ein Prozentpunkt weniger als vor einem Jahr, berichtet der Digitalverband Bitkom auf Basis einer repräsentativen Umfrage. Nach den Ergebnissen der Umfrage vertrauen viele Bürger weder dem Staat noch der Wirtschaft, wenn es um den Umgang mit persönlichen Daten geht. Drei Viertel (75 Prozent) der Internetnutzer haben wenig oder gar kein Vertrauen in Staat und Behörden. Zwei Drittel (67 Prozent) der Befragten misstrauen der Wirtschaft. Als größte Gefahr betrachten die Internetnutzer die Infizierung ihres Computers mit Schadprogrammen: 71 Prozent der Befragten fürchten Probleme durch Viren oder Trojaner.

    55 Prozent befürchten eine illegale Nutzung ihrer persönlichen Daten durch Kriminelle, zum Beispiel einen Kreditkartenbetrug. Gut die Hälfte (52 Prozent) empfindet die Ausspähung persönlicher Daten durch staatliche Stellen als Bedrohung. 48 Prozent meinen, dass Unternehmen ihre persönlichen Daten illegal nutzen und zum Beispiel unerlaubt an Dritte weitergeben könnten. Die Sorge vor einem Betrug beim Online-Einkauf, bei einer Online-Auktion oder beim Online-Banking haben 44 Prozent der Internetnutzer. Deutlich geringer ausgeprägt ist die Angst vor Cybermobbing (19 Prozent) oder sexueller Belästigung (15 Prozent). Nur sechs Prozent der Befragten sagen, dass sie sich im Internet gar nicht bedroht fühlen. Der Schutz ihrer Privatsphäre ist für die meisten Nutzer sozialer Netzwerke ein zentrales Thema. Insgesamt verzichten 85 Prozent der Nutzer bewusst auf die Veröffentlichung bestimmter persönlicher Informationen. 63 Prozent verzichten auf Angaben zu ihrer sexuellen Orientierung, 45 Prozent auf Fotos, auf denen sie selbst zu sehen sind, und 43 Prozent sind im Netz nicht unter ihrem richtigen Namen unterwegs. Laut Umfrage meiden 41 Prozent Aussagen zu religiösen Inhalten und 37 Prozent äußern sich nicht zu politischen Fragen.

    39 Prozent posten zudem keine Fotos von ihren Kindern. Dagegen geben nur 15 Prozent der befragten Nutzer sozialer Netzwerke an, dass sie nicht bewusst auf bestimmte persönliche Informationen oder Meinungsäußerungen verzichten. Text: AZ/scht

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