Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Der Gegensätzliche

Politik

Der Gegensätzliche

    • |
    • |
    Erschöpfter Weltmeister: Uli Hoeneß zwischen Rainer Bonhof (links) und „Katsche“ Schwarzenbeck nach dem Gewinn des WM-Titels 1974.
    Erschöpfter Weltmeister: Uli Hoeneß zwischen Rainer Bonhof (links) und „Katsche“ Schwarzenbeck nach dem Gewinn des WM-Titels 1974.

    Es ist zu lesen, dieser Steuerprozess sei der schwerste Kampf im Leben des Uli Hoeneß. Das stimmt nicht. Denn Uli Hoeneß kämpfte auch schon um mehr als seine Ehre, seinen Ruf und Geld, es ging schlicht um Leben und Tod. Im Februar 1982 war der damalige Manager des FC Bayern Gast bei einem Flug von München nach Hannover zu einem Länderspiel. Pilot war der ehemalige Skirennläufer Wolfgang Junginger. Beim Landeanflug wurden aus der Propellermaschine der Marke Piper-Seneca Probleme gemeldet, so beschreibt es Thomas Hüetlin in seinem Buch über den FC Bayern. Kurze Zeit später verschwand das Flugzeug vom Radar. Als Einziger der vier Insassen überlebte Uli Hoeneß den Absturz, schwer verletzt kam er in ein Hannoveraner Krankenhaus. Viele Jahre später, bei einem Interviewtermin mit der Main-Post in den Rattansesseln seines Büros im dritten Stock des Bayern-Vereinsgebäudes in der Säbener Straße, bezeichnete Uli Hoeneß das Unglück als eine Wende, es markiert den Beginn seiner sozialen Aktivitäten: „Ich hatte ja eigentlich keine Chance zu überleben“, sagte er damals, „wenn ich mir die Bilder manchmal anschaue, kann ich heute noch nicht glauben, dass aus dem Wrack jemand lebend herauskam. Es war der Punkt in meinem Leben, an dem ich zu mir gesagt habe: Irgendwann zählt nicht mehr das Nehmen, sondern das Zurückgeben an die Gesellschaft. Und das mache ich seit Jahren konsequent.“

    Aus dem Munde eines verurteilten Steuerbetrügers klingen diese Sätze heute wie Hohn, aber sie sind dennoch wahr und belegt durch zig Beispiele quer durch die Republik. Uli Hoeneß also, der Dr. Jekyll & Mr. Hyde des Fußballs? Ein weiteres Beispiel dafür, dass jedes Licht einen Schatten wirft, dass in jedem gegensätzliche Kräfte wirken. Die Chinesen nennen dieses Spiel der Pole Ying und Yang. Gerade weil der 62-Jährige, Gesicht und Macher des erfolgreichsten und größten Klubs Deutschlands, jahrelang das soziale Gewissen der Bundesliga war, ist seine Fallhöhe so enorm hoch und bietet Stoff für ein Hollywood-Drama. Wie konnte es so weit kommen?

    Geld spielte immer eine gewichtige Rolle im Leben des Uli Hoeneß, jenes Metzgersohnes aus Ulm, der schon als Kind hinter der Wursttheke kassierte. Als Fußballspieler wechselte er 1970 von seinem Heimatklub zum FC Bayern München und gehörte dort bald zur legendären Boygroup um Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier, die mit ihren Erfolgen den Grundstein für die goldene Zukunft des Klubs legten. Mit der Nationalelf wurde der pfeilschnelle Angriffsspieler Europa- und Weltmeister, mit den Bayern gewann er die deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal und dreimal den Europapokal der Landesmeister – den Vorgängerwettbewerb der Champions League. Eine Knieverletzung zwang Uli Hoeneß 1979 zum Karriereende, und mit nur 27 Jahren wechselte er auf den Managerposten beim FC Bayern. Der Umsatz des Klubs damals: zwölf Millionen Mark. Heute: 432,8 Millionen Euro. Mit seiner Kompromisslosigkeit wurde Uli Hoeneß zu einer Reizfigur der Bundesliga, er polarisierte wie kaum ein anderer. Er verteidigte den FC Bayern gegen sämtliche Angriffe von außen mit Vehemenz und ohne Rücksicht auf Verluste – und er implantierte dem Verein die „Mia san mia“-Mentalität. Im anfangs zitierten Interview erklärte er seine Handlungsweise so: „Nicht den Schwachen treten und nach oben buckeln, bei uns funktioniert das umgekehrt.“ Seit 2009 ist er Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender, er versteht den Klub noch heute wie eine Familie. Vielleicht ist das auch die Antwort auf die Frage, warum er trotz des Steuerbetrugs an seinen Posten hängt. Denn ein Rücktritt ist angesichts der Dimension des Falles ja nun überfällig, er kann nicht mehr oberster Repräsentant des Klubs bleiben. Falls ihm diese Erkenntnis nicht selbst noch kommt, der Aufsichtsrat, reich bestückt mit Wirtschaftsbossen namhafter Firmen wie Audi, adidas oder Telekom, wird den Druck rasch erhöhen. Einer der führenden deutschen Sportfunktionäre sagt gegenüber dieser Zeitung: „In deutschen Firmen gelten strenge Compliance-Regeln. Sollten sie im Fall Hoeneß andere Maßstäbe tolerieren, fiele das auf die Unternehmen selbst zurück.“ Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, ist Direktor am Amtsgericht in Regensburg, urteilt auch in Steuerdelikten. Er zeigte sich „schockiert über die Dimension“ des Vergehens, er hält das Urteil angesichts der Faktenlage, die ihm allerdings nur aus den Medien bekannt sei, „für nachvollziehbar“. Sollte es rechtskräftig werden, „kann ich mir schwer vorstellen, wie man dann im Amt bleiben könnte“.

    Über die Motivation von Hoeneß wird spekuliert. Er vermied es, seit Bekanntwerden der Vorwürfe vor einem Jahr über seine Beweggründe zu sprechen. Aber er gab der Wochenzeitung „Die Zeit“ ein Interview, in dem er im vergangenen Jahr ein paar Einblicke in seine unbekannte Welt des Zockens an der Börse gewährte. Über sein Schweizer Konto sagte er damals: „Dieses Geld war für mich wie virtuelles Geld, wie wenn ich Monopoly spiele. Rücken Sie vor auf die Schlossalle, und wenn Sie über Los kommen, kassieren Sie 4000 Euro.“ Er erzählte, wie er zwischen 2002 und 2006 ständig an der Börse spekulierte, oft auch nachts, und sogar von der Stadiontribüne aus. „Halten Sie sich für süchtig?“, fragten die Interviewer damals. Hoeneß wiegelte ab, sagte: „Inzwischen halte ich mich für kuriert.“ Sein Sohn Florian Hoeneß ergänzte: „Ich darf sagen, dass die Familie dies ein bisschen anders sieht.“

    Auch das ist die Wahrheit: Der FC Bayern, sein FC Bayern steht vor der vielleicht erfolgreichsten Ära seiner Geschichte und Uli Hoeneß vor dem Scherbenhaufen seines Lebens. Es gilt, den finanziellen Schaden gutzumachen – und den familiären. Seine Frau Susi sei stets gegen die Zockerei gewesen, verriet er der „Zeit“ noch. „Sie ist da bis heute meine schärfste Gegnerin.“ Vielleicht habe hinter dem Spieltrieb die Sehnsucht gestanden, „die Wirklichkeit zu vergessen, auszubrechen“. Jetzt ist nicht mehr der Fußball, sondern das Leben seine größte Herausforderung.

    Der Reiche, der Geachtete, der Erfolgreiche – vielleicht saß Uli Hoeneß längst in einem Gefängnis. Fotos: Imago

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden