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Der Gigant aus Stein und sein Meister

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Der Gigant aus Stein und sein Meister

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    Imposant: Ein Blick durch die beiden Türme von Deutschlands meistbesuchter Sehenswürdigkeit mit jährlich rund sechs Millionen Besuchern.
    Imposant: Ein Blick durch die beiden Türme von Deutschlands meistbesuchter Sehenswürdigkeit mit jährlich rund sechs Millionen Besuchern. Foto: Fotos: Christine Jeske

    Es klopft, und schon öffnet sich die Türe mit Schwung. Ins Zimmer kommt ein ganz in Pink gekleideter Wirbelwind: Barbara Schock-Werner, die scheidende Dombaumeisterin von Köln. Ihr Nachfolger Michael Hauck lässt sich von dem blitzschnellen Überfall nicht aus der Ruhe bringen. „Ich schieße nicht aus der Hüfte“, sagt er und lächelt. Der 52-Jährige kennt seine Qualitäten, seine Fähigkeit, sich in komplexe Dinge einzudenken und voll auf eine Sache konzentrieren zu können, seinen Hang zur Perfektion, seine Neigung, „höchsten Ansprüchen“ genügen zu wollen. Dies hat ihm den Ruf nach Köln eingebracht. Und die Kölner werden sich daran gewöhnen müssen, dass nach der temperamentvollen Barbara Schock-Werner ein erst mal verhalten reagierender, aber nicht minder seiner Verantwortung bewusster Dombaumeister das Sagen hat.

    Am 30. August wird der gebürtige Würzburger von seiner Vorgängerin symbolisch den Schlüssel für das beliebteste Bauwerk der Deutschen erhalten. Seine Aufgabe empfindet er als „Herausforderung“; sie sei nicht zu toppen. Wer Dombaumeister von Köln wird, ist ganz oben angekommen.

    Seit April ist der Mainfranke am Rhein zu Hause und arbeitet sich ein. Davor war Hauck mehr als 20 Jahre in der Dreiflüssestadt Passau für die Erhaltung des Stephansdoms zuständig. Mit Fäustel, Knüpfel und Krönel kann Hauck schon umgehen, seit er laufen kann. Die Werkstatt in Estenfeld (Lkr. Würzburg), in der seine Familie in fünfter Generation Stein bearbeitet, war sein Spielplatz. Sein Großvater schenkte ihm bereits damals sein erstes Werkzeug und gab ihm mit auf den Weg, dass es das Höchste für einen Steinmetz sei, in einer Dombauhütte zu arbeiten. Damit hat er dem kleinen Michael wohl einen Floh ins Ohr gesetzt.

    „Ich bin mit Steinstaub in der Nase aufgewachsen.“ Diesen Satz sagt Michael Hauck gerne, wenn Kameras und Mikrofone auf ihn gerichtet sind. Als er vor einem Jahr das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hätte höchstens ein neuer Erzbischof oder Regierungspräsident so viel Rummel hervorrufen können. „Die Kölner lieben ihren Dom“, das sei ihm schnell klar geworden. Sie wollen wissen, wie der neue Dombaumeister aussieht, wer er ist, wie er sich gibt.

    Im Supermarkt in der Innenstadt kennt man ihn jedenfalls schon gut. „Die Frau an der Kasse fragte mich vor ein paar Tagen, ob ich mich schon ein wenig eingelebt hätte.“ Michael Hauck fiel die Kinnlade runter. Dass in einer Millionenstadt nach so kurzer Zeit sein Gesicht schon so vertraut ist, findet er „unglaublich“. Etwas darauf einbilden tut sich der Chef von rund 80 Mitarbeitern in Bauhütte und Dombauverwaltung jedoch nicht. „Ich bin nicht in Köln, um mich in Szene zu setzen. Ich bin hier, um dafür zu sorgen, dass dieses Unternehmen rundläuft.“

    Hauck ist der zweite Dombaumeister mit Vornamen Michael in Köln. Der erste trat vor rund 750 Jahren sein Amt an. Damals wurde am Dom bereits seit über einem Jahrhundert gebaut. Auch der jetzige Michael wird das Ende einiger Projekte nicht erleben, die er in seiner Zeit in Angriff nehmen wird. Der Kölner Dom gilt als ewige Baustelle. Noch sehr gut kann sich Michael Hauck an seine ersten Begegnungen mit dem Giganten erinnern. Ehrfürchtig sei er geworden, als ihm die Dimensionen bewusst wurden. Die Westfassade des Kölner Doms ist fast doppelt so breit wie die des Passauer Doms, sein Mittelschiff mit über 43 Metern ein Drittel höher. Aus der überwältigenden Gesamtschau und der scheuen Distanz wurde jedoch schnell Nähe. „Mein Blick hat sich verändert – als würde ich durch ein Teleobjektiv schauen. Ich sehe jetzt mehr die Details.“

    Michael Hauck kennt nicht nur die Eckdaten der langen Baugeschichte seines „Patienten“ genau: 1248 Grundsteinlegung, um 1530 Einstellung des Baus, 1842 Wiederaufnahme der Bauarbeiten, 1880 Bauende. Der Experte für Stein, Steinmetzzeichen und Steinoberflächen hatte schnell einige kranke Stellen im Blick. In dem dichten Wald des Strebewerks bröckelt und bröselt es. Es ist nicht nur der Zahn der Zeit, der am Kölner Dom nagt, es sind so manche Entscheidungen von früher, die bis ins Heute ragen. Hauck erzählt ein Beispiel. Es sei für seine Aufgabe als Dombaumeister sehr bezeichnend. So war Trachyt vom Drachenfels aus dem nahen Siebengebirge bei Königswinter in der ersten Bauphase das bevorzugte Baumaterial. Als nach über 300 Jahren Baustopp im 19. Jahrhundert der Plan geboren wurde, den Dom doch noch zu vollenden, zog im fernen Berlin König Friedrich Wilhelm III. die Stirn kraus. Er hatte kein Interesse an dem Projekt. Kurzerhand erklärte er das Siebengebirge zum Naturschutzgebiet. Trachyt kam als Baumaterial nicht mehr infrage.

    Königssohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm III., ein kunstsinniger Geist, förderte zwar das Vorhaben. Es musste jedoch Ersatzmaterial gefunden werden. Der erste Dombaumeister der Neuzeit – Ernst Friedrich Zwirner – entschied sich für den Schlaitdorfer Sandstein. „Er hat sich als sehr schlecht erwiesen, denn er ist heute an vielen Stellen stark verwittert“, sagt Hauck, „wir täten uns jetzt leichter, wenn wir Trachyt vom Drachenfels verwenden könnten.“ Erneut muss ein passendes Ersatzmaterial gefunden werden, denn zu den ersten Maßnahmen, die unter Michael Hauck begonnen werden, zählt die Restaurierung des Hochchors – des ältesten Bauteils der Kathedrale.

    Mittlerweile ist jedoch über die Suche nach dem passenden Stein ein Streit zwischen zwei Geologieprofessoren entbrannt. Nicht nur als neuer Dombaumeister, sondern auch als renommierter Steinexperte mischt sich Hauck in den Disput ein, „damit die längerfristige Erhaltung des Doms gesichert ist“. Es klingt zunächst jedoch seltsam, wenn Hauck dem einen Professor zustimmt, der ein „eher schlechtes Material“ vorgeschlagen hat. „Es ist aber zwangsläufig so, dass der Ersatzstein dem entsprechen muss, mit dem vorher schon gebaut wurde. Es muss ähnlich stark oder ähnlich schwach sein, sonst kommt es nur zu Spannungen und Folgeschäden.“

    Doch nicht nur in Sachen Stein wird Hauck sich einbringen und mit seinem Team Lösungen finden. Auch beim Thema Glasmalerei müsse immer wieder geschaut werden: „Was ist vorher gemacht worden, wie hat es sich ausgewirkt und was können wir heute tun, um eventuelle Fehlentscheidungen von einst aufzufangen?“ Außerdem bespricht Michael Hauck mit der Berufsfeuerwehr sinnvolle Ergänzungen des Sicherheitskonzepts. Jeden Tag besuchen etwa 20 000 Menschen den Dom, nehmen an Führungen teil, steigen den Südturm hinauf oder in die Grabung hinunter. „Was ist, wenn dort Panik ausbricht?“

    Zum Aufgabengebiet des Dombaumeisters gehört es auch, sich Konstruktionsmöglichkeiten von Brandschutzmaßnahmen für die vielen wertvollen Kunstwerke im Dom zu überlegen. Alles soll möglichst wenig oder gar nicht in die alte Bausubstanz eingreifen. Und er muss immer wieder auf unvorhersehbare Dinge reagieren – wie vor einigen Wochen, als ein Betrunkener nachts die Fassade des Doms hochklettern wollte und dabei erheblichen Schaden angerichtet hat.

    Bei allen Überlegungen und Entscheidungen betont Hauck: „Man muss unvoreingenommen an die Sachen rangehen.“ Und: „Auch wenn ich den Überblick behalten muss, was in den einzelnen Abteilungen passiert, wäre es vermessen, wenn ich davon ausgehen würde, ich könnte alles alleine im Griff haben.“

    Teamarbeit sei wichtig, tägliche Besprechungen mit den vielen Experten in der Dombauhütte. Hauck weiß jedoch, dass er nicht immer mit Fingerspitzengefühl und Diplomatie ans Ziel kommt. „Zum verantwortlichen Entscheiden gehört auch, dass man hin und wieder mal beißt“ – und dafür Prügel einsteckt. Damit hat er bereits Erfahrung. Groß sei das Geschrei gewesen, als unter ihm die Fassade des Passauer Doms weiß wurde. Barbara Schock-Werner kann ebenfalls ein Lied davon singen. Sie habe Drohungen erhalten, als sie sich für den Fensterentwurf von Gerhard Richter entschied, erzählt Hauck. Mit einem Stein um den Hals habe man sie im Rhein versenken wollen.

    Heute haben sich in Passau wie in Köln längst die Wogen geglättet. „Anfeindungen muss man aushalten können“, meint Hauck ruhig. Auch die Tatsache, dass er in nächster Zeit kaum Freizeit haben wird. Deshalb ist es von Vorteil, dass seine Doktorarbeit so gut wie fertig ist – und dass Tochter Saskia in Köln studiert. So sind die Wege kurz, wenn zum Beispiel ein gemeinsamer Kochabend geplant ist. Auf die Frage, ob er wie einst seine Vorgängerin noch einen Professorentitel anstrebt, fällt die Antwort jedoch eher knapp aus: „Falls mir langweilig werden sollte.“

    Michael Hauck

    Der künftige Dombaumeister von Köln ist in Estenfeld bei Würzburg aufgewachsen. Nach Lehr- und Gesellenzeit absolvierte Michael Hauck die Ausbildung zum Steinmetz- und Steinbildhauermeister sowie Zusatzausbildungen zum Holzbildhauer und Restaurator. Ab 1988 leitete er die Staatliche Dombauhütte in Passau. Zwischen 1997 und 2005 studierte Hauck berufsbegleitend an der Universität Passau Kunstgeschichte, Romanische Linguistik und Romanische Philologie. Seine Doktorarbeit über die beiden mittelalterlichen Baumeister Hans Krumenauer und Hans von Burghausen steht kurz vor der Vollendung. Daneben arbeitet Hauck als Dozent an der Meisterschule der Handwerkskammer Dortmund und am Lehrstuhl für Restaurierungswissenschaften in der Denkmalpflege der Universität Bamberg. Ab September 2012 ist er Dombaumeister von Köln. TEXT: CJ

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