Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Der Motorrad-Träume schmiedet

Politik

Der Motorrad-Träume schmiedet

    • |
    • |
    Thomas Habermann mit seinem persönlichen Biker-Traum: Die Maschine in orange-metallic mit einem Totenkopf des Künstlers Martin Bouchard auf dem Tank.
    Thomas Habermann mit seinem persönlichen Biker-Traum: Die Maschine in orange-metallic mit einem Totenkopf des Künstlers Martin Bouchard auf dem Tank. Foto: Fotos: Alexander Kaya

    Zu Stahl, Chrom und Lack gewordene Stereotypen des Rock 'n' Roll: exzentrisch, grell, aufreizend, glitzernd, angeberisch, handgemacht und laut. Diese Eigenschaften treffen auf alle Motorräder zu, die eine von außen ziemlich unscheinbare Manufaktur im Ulmer Vorort Langenau verlassen. Und wie es sich für echte Rock 'n' Roller gehört, fordern sie eine gehörige Gage. Mindestens 40 000 Euro auf einer nach oben offenen Preisskala kostet ein handgefertigtes Motorrad aus dem Hause Habermann.

    Der 48-jährige Ulmer Thomas Habermann ist der Chef einer der letzten verbliebenen Custombike-Schmieden der Republik. Vom Lenker über das Fahrwerk bis hin zum Auspuffsystem – alles entsteht von Hand. Der gelernte Karosserie- und Fahrzeugbauer schätzt, dass es in Deutschland maximal noch drei weitere Betriebe gibt, die Motorrad-Einzelstücke komplett selbst herstellen.

    Seit Ende vergangenen Jahres ist es einer weniger: Walz Hardcore Cycles aus Mannheim – mit so berühmten Kunden wie Formel-1-Rennfahrer Sebastian Vettel und Hollywoodstar Brad Pitt – stellte nach 21 Jahren den Betrieb ein. Fraglich ist, ob Augsburger Motorrad-Träume doch noch wahr werden können – Träume in einer weit höheren Größenordnung. Die traditionsreiche Motorrad-Marke Horex, die es als „Red Porsche Killer“ in der Comic-Reihe Werner zu einiger Berühmtheit schaffte, sollte wiederbelebt werden. Das Ziel: mittelfristig rund 1000 Maschinen pro Jahr zu produzieren. Doch das Unternehmen mit 30 Mitarbeitern musste nach holprigem Start Insolvenz anmelden. Nun will der neue Eigentümer, die Firma 3C-Carbon Group aus Landsberg, mit einem „marktfähigen Konzept“ einen neuen Start wagen.

    Marktfähig ist das Konzept von Thomas Habermann schon länger. Er behauptet sich nicht zuletzt mit schwäbischem Erfindergeist und der Liebe zur Perfektion. Die Nische, die er besetzt, ist winzig und weit weg von jeglicher Serienfertigung. Jedes Jahr verkauft er zusammen mit seiner Frau Dany maximal vier Motorräder seiner Marke „Habermann Performance“.

    Hinzu kommen noch maximal zehn Fahrwerke für andere Bike-Schmieden, beispielsweise in den USA, die dann auf dieser Basis ihre Ideen verwirklichen. Mehr würde er mit der Hilfe des Lehrlings und seiner Frau auch gar nicht schaffen: Mindestens 350 Arbeitsstunden – ohne Lackierung – verschlingt eines seiner Unikate bis zur Fertigstellung.

    Für einige seiner Kunden sind die zigtausend Euro Anschaffungskosten ein Klacks: So fährt etwa der Prinz von Katar mit einer Habermann-Maschine durch die Arabische Wüste. In hellem Grün, der „Farbe des Propheten“, wie es sich für das streng moslemische Königshaus gehört.

    Der Motorblock kommt von Harley

    Aber nicht nur die Reichen und Schönen kaufen derart exzentrische Motorräder. Im Gegenteil: „Die meisten meiner Kunden sind ganz normale Leute“, erzählt Habermann. In blechernem Ton erklingt dann wie zum Beweis Kid Rocks „All Summer Long“ – das Handy von Thomas Habermann meldet sich. Dran ist ein Kunde, ein Elektriker, dessen neues Motorrad gerade in den letzten Zügen entsteht. „Er kann es nicht erwarten. Ständig muss ich Bilder schicken“, sagt Habermann und fotografiert mit seinem Smartphone schnell sein neuestes Werk, das diesmal nicht in einem Palast oder in Hollywood, sondern in einer schwäbischen Garage eine Heimat finden wird.

    Aus Sicht von Habermann ist das nicht verwunderlich, denn schließlich koste eines seiner Bikes auch nicht mehr als ein mittlerer Mercedes. Und der ist nicht handgemacht.

    Lediglich der Motorblock ist mehr oder weniger von der Stange. Er kommt aus dem Hause Harley-Davidson. Der Rest ist Sonderanfertigung. Von der Skizze bis zum fertigen Bike wird wochenlang geschweißt, geflext, gedengelt und gefeilt. Basis ist ein selbst entwickeltes Fahrwerk, das scheinbar jenseits jeglicher orthopädischer Vernunft kaum radikaler sein könnte.

    Der Name passt zum Produkt: „Rockstar-Frame“. Auf rekordverdächtig tiefem Niveau befindet sich der Leder- und Chromsattel mit geprägten Totenschädeln auf der Sitzfläche. Auf dem nimmt unter Umständen ein echter Rockstar Platz, der dann mit ausgestreckten Armen an der langen Gabel den blubbernden Twin-Cam-Harley-Motor startet.

    Die Mutter aller Chopper kommt aus Langenau: Für sich baute Habermann vor zwei Jahren seinen High-End-Motorradtraum in Orange-Metallic, mit einem Tank, der sich zu einer geradezu organisch wirkenden Form nach hinten verjüngt. Martialisch kommt das Gefährt daher: Eine Airbrush-Totenkopf-Orgie zauberte Martin Bouchard („Fitto“) höchstpersönlich auf das Bike, ein Künstler, der zum Beispiel auch die monsteraffinen Bands Iron Maiden oder Metallica zu seinen Kunden zählt. Der Aufwand war enorm. Vorgrundiert wurde das Motorrad in eine Kiste verpackt und nach Kanada verschifft. Ein Dreivierteljahr später kam es zurück. „Die Lackierung ist der Hammer“, sagt Habermann. Sehr detailliert und ganz ohne Lasur, damit die apokalyptischen Szenen noch mehr Tiefe bekommen.

    Markenzeichen geschwungener Stahltank

    Der haarigste Part und Markenzeichen aller Habermann-Bikes ist dieser geschwungene Stahltank, der allein 40 Stunden Arbeitszeit frisst. „Das mache ich grundsätzlich nur nachts, da kann ich mich am besten konzentrieren“, sagt der gebürtige Ulmer. Denn ein unüberlegter Handgriff genüge, um die Arbeit von Tagen zu zerstören. Der Rahmen wird mit Stahlblechen aufwendig verkleidet. Jedes Spaltmaß muss passen – ein mühevoller und arbeitsintensiver Prozess.

    „Ich bin ein absoluter Qualitätsfanatiker. Alles muss perfekt sein“, sagt Habermann, der mit seinem langen, zu einem Pferdeschwanz gebändigten Haarschopf plus Bart optisch auch als Mitglied einer Band wie Metallica oder Motörhead durchgehen könnte. Auch in seiner Werkstatt finden sich die Klischees aus der Welt des Rock 'n' Roll wieder: Bilder von nur spärlich bekleideten jungen Frauen auf heißen Öfen an der Wand und ein Totenkopf samt Eisernem Kreuz auf der Lederjacke.

    Auf die große Bühne lässt der Schwabe nur seine Motorräder, er selbst bleibt lieber im Hintergrund. „In meiner Werkstatt fühl ich mich am wohlsten.“ Sein Leben dreht sich um seine Bikes – sieben Tage die Woche. Die Wohnung liegt Tür an Tür zu seiner Traumfabrik. Für Nachwuchs oder Hobbys ist da kein Platz: „Meine Kinder haben zwei Zylinder.“ Der Arbeitsalltag ist hart und versprüht nicht den Glamour seiner Endprodukte. Dem Werkstoff seinen Willen aufzuzwingen, reizt Habermann seit jeher – auch wenn ab und an die Finger bluten. Dass er pro Jahr 1000 Schleifscheiben und zehn Arbeitskittel verbraucht, lässt erahnen, wie viel Schweiß in einem solchen Motorrad der Extreme steckt.

    Als Teenie begann Habermann, Mofas zu frisieren. Aus dem Hobby wurde Leidenschaft. Anfang 1989 baute er in einer Ulmer Garage seine erste Harley um. Von den US-Bikes kommt er bis heute nicht los: 1992 begann er mit der Fahrwerksherstellung, dann gründete er mit seiner Frau Dany die Firma „Habermann Performance“, die über Umwege rund um Ulm und Neu-Ulm im Jahr 2009 schließlich nach Langenau kam.

    Thomas Habermann knattert regelmäßig mit seinem orangen Biker-Traum durch Ulm. Die Leute drehen sich nach ihm um. Und wenn er schon vorbei ist und ihnen den Rücken zukehrt, entdecken sie vielleicht noch ein raffiniertes Detail: Die Rücklichter über dem sagenhaft breiten Hinterrad sind – auf den ersten Blick fast unsichtbar – kleine, im „Schutzblech“ integrierte LED-Birnchen. Solche Tüftellei verträgt sich mit dem Rock 'n' Roll: ausgeflippt, exzentrisch, zügellos – und ist doch so schwäbisch.

    Motorräder, Marken, Märkte

    Markt: Motorradfahren war in Deutschland schon mal beliebter. Den Zahlen des Industrie-Verbandes Motorrad Deutschland (IVM) zufolge sanken die Neuzulassungen (über 125 Kubik) von über 176 000 (1993) auf zuletzt um die 96 000. Der Trend geht aber wieder aufwärts. Marken: Marktführer in Deutschland ist BMW (16,35 Prozent Marktanteil). Weltmarktführer Honda muss sich hierzulande mit Platz zwei (12,89) begnügen. Japanische Firmen verbuchen jedoch insgesamt knapp 37 Prozent Marktanteil in Deutschland. Harley-Davidson hat 7,52 Prozent Marktanteil (Platz fünf). Bayern: Bayern ist ein Motorradland: Der Freistaat steht 2014 mit 12,7 Prozent und 24 421 Fahrzeugen in der Zulassungsstatistik der Bundesländer ganz vorne. Pro 1000 Einwohner berechnet die Statistik 1,94 Krafträder, auch das ist spitze. Es folgt Hessen mit 1,38 Bikes auf 1000 Menschen und die Badener und Württemberger mit 1,36 Maschinen pro 1000 Einwohnern. Quelle: IVM/Text: Heo

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden