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WÜRZBURG/BERLIN: Der Wahlkampf als Bühne

WÜRZBURG/BERLIN

Der Wahlkampf als Bühne

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    Dass sich die Politik mit dem Thema Steuersünder auch ohne den Fall Uli Hoeneß so intensiv wie in den zurückliegenden Wochen beschäftigt hätte, ist unwahrscheinlich. Dass die Affäre im Wahljahr für Attacken gegen den politischen Gegner – in diesem Fall vor allem gegen die CSU, zu der der Präsident des FC Bayern zumindest eine gewisse Nähe hat – genutzt wird, folgt der Wahlkampflogik. Auffallend an der Sache ist, dass die Medien das Thema auf die Agenda hievten und nicht die Parteien. „Politiker und Parteien springen gerne auf einen medialen Zug auf. Das ist einfacher, als selbst Themen in den Medien zu platzieren“, sagt Frank Schwab, Professor für Medienpsychologie an der Universität Würzburg.

    Beispiele für solche Fälle gibt es zur Genüge: die jüngste Verwandten-Affäre im bayerischen Landtag etwa. Oder die Sexismus-Debatte, die sich an Rainer Brüderle entzündete – ein Jahr nach dem eigentlichen Vorfall und just zu dem Zeitpunkt, als die FDP beschloss, mit Brüderle als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl zu gehen. Für Schwab ist das nicht überraschend. „Medien verfolgen immer ein Interesse: Entweder geht es um eine politische Ausrichtung oder um Auflage“, erklärt er. Der Fall Brüderle sei zum Zeitpunkt seiner Nominierung einfach „interessanter und damit quotenrelevanter“ gewesen.

    Das „Agenda-Setting“, wie Schwab es nennt, sei auch in Wahlkampfzeiten fest in medialer Hand. Politische Relevanz sei bei der Themenwahl allerdings keineswegs das allein entscheidende Kriterium. Denn, so Schwab weiter, Nachrichten verkaufen sich besser, wenn sie wie Fast Food sind: „Süß, salzig, fettig – wir wissen, dass es ungesund ist. Aber es ist lecker. Politische Sachfragen oder Wahlprogramme wirken eher wie Rohkost. Appetit haben wir aber auf Emotionen, Intimitäten und Persönliches.“

    Schröder, der Medienkanzler

    Wichtig sei es für Politiker jedoch, im richtigen Moment auf den medialen Zug aufzuspringen. Gerhard Schröder, der sich den Beinamen „Medienkanzler“ nicht zu Unrecht erworben habe, war für Schwab ein Meister darin. So sei es dem Ex-Regierungschef perfekt gelungen, mit seinem Engagement rund um das Elbe-Hochwasser vor der Bundestagswahl 2002, das unliebsame Thema Arbeitslosigkeit in den Hintergrund zu drängen. Das Ergebnis ist bekannt: Am Ende fing Schröder den CSU-Herausforderer Edmund Stoiber auf der Zielgeraden ab.

    Schröder hat damals ein weiteres Phänomen für sich genutzt. „Medien und Mediennutzer neigen dazu, Themen mit Köpfen zu verknüpfen und ihnen – teilweise kurzfristig – entsprechende Kompetenzen zuzuschreiben“, erklärt Schwab. Peer Steinbrück, der Finanzexperte, Angela Merkel, die Krisenmanagerin. Schröder gelang es, sich zum Hochwasserbekämpfer zu stilisieren. „So viel mehr als Gummistiefel anziehen, musste er dafür nicht tun“, so Schwab.

    Bei reiner Symbolik dürfe es aber nicht bleiben, weshalb sich die Opposition bei einem Unglück wie einem Hochwasser schwerlich als Retter inszenieren könne. Zudem nutzen sich solche Selbstinszenierungen laut Schwab ab und werden irgendwann als Theater vom Wähler erkannt oder umgedeutet. „Frau Merkel hat sich beim aktuellen Hochwasser ganz richtig recht zurückhaltend inszeniert und ist damit einer zu erwartenden 'Gummistiefel-Häme' entgangen“, meint Schwab. Timing, Sensibilität und Taktgefühl seien entscheidend für eine erfolgreiche Politdramaturgie.

    Symbolisches Handeln bewirke dennoch viel. Und das Image sei entscheidend. Wie entscheidend, das zeigte die US-Präsidentschaftswahl 1960. Zum ersten Mal in der Geschichte trafen sich die beiden Kandidaten zu einem TV-Duell. Richard Nixon verzichtete auf Make-up, schwitzte im Scheinwerferlicht stark, wirkte kränklich, sein Bartschatten – darin war sich die Mehrheit der Amerikaner vor den Fernsehgeräten einig – verlieh ihm etwas Ganovenhaftes. Der braun gebrannte John F. Kennedy erwarb sich dagegen das Image eines jungen Mannes voller Elan. Und gewann nach Meinung der Beobachter das Rededuell – und später die Wahl.

    Der Politiker als Produkt

    „Politiker werden wie eine Marke verkauft, wie Persil oder ein Auto“, meint Schwab. Der Kandidat, nicht das Programm, ist das Produkt, das die Parteien an den Kunden, sprich den Wähler, bringen müssen. Daher ähnelt der Beraterstab, den Politiker um sich haben, einer Marketingabteilung. Zielgruppe des „Produktes Politiker“ seien dabei vor allem die Unentschlossenen; hier wirken die Kampagnen noch am deutlichsten. Zugleich wird diese Gruppe innerhalb des Wahlvolkes aber immer größer.

    Dass Medienberichte allerdings Stammwähler und damit den Ausgang einer Wahl maßgeblich beeinflussen können, bezweifelt Schwab. „Früher ist man davon ausgegangen, dass die Medien die Injektionsnadel von Wahlbotschaften für die Wähler sind. Das ist aber nicht so.“ Denn: Viele lesen gar nicht, was sie umstimmen könnte.

    Wahlkampfthemen seit 1949

    1949: Hauptthema ist die Frage nach der zukünftigen Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Union bekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft, die SPD setzt auf Planung und wird von Konrad Adenauer in die Nähe von Kommunisten gerückt.

    1953: Die Wahl ist eine Abstimmung über die Westintegration, die Wiederbewaffnung und die soziale Marktwirtschaft. Der Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953 wirkt auch auf den Wahlkampf, schürt Ängste vor dem Kommunismus und lässt die Zustimmung für Adenauers Politik wachsen.

    1957: Im Mittelpunkt steht der Ost-West-Konflikt. Mit der NATO-Mitgliedschaft und der Gründung der EWG war die Westbindung der Bundesrepublik besiegelt worden.

    1961: Großes Thema ist der Mauerbau im selben Jahr. SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von West-Berlin, konzentriert sich auf die Probleme der geteilten Stadt. Außerdem vollzieht die SPD eine Wende, bekennt sich im „Godesberger Programm“ zu Marktwirtschaft und NATO-Mitgliedschaft. Die Union bleibt zunächst bei wirtschaftspolitischen Themen. Adenauer führt einen persönlichen Feldzug gegen Brandt.

    1965: Die Wahlen stehen im Zeichen der Angst vor dem Ende des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Union setzt auf ihre Wahlkampflokomotive Ludwig Erhard, den „Vater des Wirtschaftswunders“.

    1969: Die Eskalation des Vietnam-Kriegs spielt auch in der Bundesrepublik eine Rolle. Die SPD wirbt mit Außenminister Willy Brandt und dem Slogan „Damit Sie auch morgen in Frieden leben können“. Kanzler Kurt Georg Kiesinger steht im Mittelpunkt der CDU-Kampagne.

    1972: Da die Wahlen wegen einer verlorenen Vertrauensfrage Willy Brandts durchgeführt werden mussten, erklärt die SPD die Wahl zur Vertrauensabstimmung über den Kanzler. Dessen Ostpolitik ist beherrschendes Wahlkampfthema. Die Opposition wirft ihm den Ausverkauf deutscher Interessen vor.

    1976: Die Weltwirtschaftskrise nach dem Ölschock 1973 hat Auswirkungen: Im Wahlkampf dreht sich alles um Arbeitslosigkeit und das geringere Wirtschaftswachstum. Auch der RAF-Terror ist Thema.

    1980: Die Sowjetunion marschiert in Afghanistan ein, die RAF hält das Land weiter in Atem. Frieden und innere Sicherheit sind die bestimmenden Wahlkampfthemen.

    1983: Den Wahlkampf dominieren Finanz- und Wirtschaftsfragen. Auch der NATO-Doppelbeschluss spielt eine große Rolle.

    1987: Neben den hohen Arbeitslosenzahlen bestimmen Umweltfragen den Wahlkampf. Hintergründe sind die Tschernobyl-Katastrophe und die Verseuchung des Rheins nach einem Brand in einer Chemiefabrik.

    1990: Überragendes Thema ist die Wiedervereinigung. Helmut Kohls Versprechen von „blühenden Landschaften“ stehen der Einschätzung der SPD gegenüber, die Steuererhöhungen für nötig hält, um die Einheit finanzieren zu können.

    1994: Der „Aufbau Ost“ geht langsamer voran, als gedacht. Wirtschaftliche und soziale Themen bestimmen den Wahlkampf.

    1998: Nach 16 Jahren mit Kohl an der Spitze der Regierung herrscht „Kanzlermüdigkeit“ im Land. Auch die hohen Arbeitslosenzahlen sind wieder Thema.

    2002: Die Arbeitslosigkeit, die Kanzler Gerhard Schröder nicht in den Griff bekommen hat, ist beherrschendes Wahlkampfthema. Erst das Nein zu einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg und das Elbe-Hochwasser bringen der SPD Pluspunkte. Die FDP macht mit ihrem „Spaßwahlkampf“ von sich reden: Spitzenkandidat Guido Westerwelle tourt mit seinem „Guidomobil“ durch die Republik.

    2005: Hauptthemen sind Reformen: soziale Sicherungssysteme, die Arbeitsmarktpolitik, die Föderalismusreform und die Steuerpolitik stehen auf dem Prüfstand.

    2009: Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise steht im Mittelpunkt. Text: ben

    ONLINE-TIPP

    Rot, Grün, Schwarz, Gelb – interessante Hintergründe zu allen Parteien der Bundestagswahl: www.mainpost.de/ bundestagswahl

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