Das britische Unterhaus hat am Dienstag den mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag zum zweiten Mal abgelehnt. Am Mittwoch stand im Parlament in London ein Brexit ohne Deal zur Abstimmung – ein Umstand, der nicht nur Brüssel in tiefe Verwirrung stürzte.
"Wir wollen in dieser sehr schädlichen Situation so wenig Schaden wie möglich anrichten“, erklärte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Manfred Weber, Spitzenkandidat der Christdemokraten für die Europawahl und bis dahin Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Straßburger Parlament, sprach sich bereits für ein zweites Referendum aus. Währungskommissar Pierre Moscovici fiel nur noch ein, dass die „Briten endlich sagen sollen, was sie wollen“. Das könnte wohl heißen: Sie wollen mehr Zeit.
Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Schon beim Treffen zwischen Premierministerin Theresa May und Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Montag in Straßburg hatte der festgestellt, dass es keine Verlängerung über den 23. Mai hinaus geben könne. Der Grund: An dem Tag beginnen die Europawahlen in den ersten Mitgliedstaaten. Sollte das Königreich dann noch vollwertiges EU-Mitglied sein, müsste es ebenfalls Abgeordnete wählen, was der Bevölkerung niemand erklären könnte. Mit anderen Worten: Die Briten würden – wenn überhaupt – eine Schonfrist von gerade mal zwei Monaten bekommen – minus mindestens zwei Wochen über Ostern, in denen Brüssel urlaubt.
Schließlich bedarf der Antrag, der am Mittwoch anstand, erst noch einer Genehmigung durch die Union. „London muss erklären, warum ein Aufschub gewünscht wird und sagen, warum dieser notwendig ist“, betonte EU-Chefunterhändler Michel Barnier im Europäischen Parlament in Straßburg. Tatsächlich gibt es nämlich Verträge, an die sich sogar Briten halten müssen. Die einschlägigen Regelwerke legen fest: Eine Verlängerung der zweijährigen Frist zwischen Abgabe einer Austrittserklärung und dem Vollzug bedarf der einstimmigen Billigung des Europäischen Rates, wie der EU-Gipfel offiziell heißt. Und: Er muss begründet werden.
Plausible Erklärungen könnten beispielsweise Neuwahlen oder ein neues Referendum sein. Außerdem sollte klar werden, warum die zusätzliche Frist Fortschritte bringen könnte. „Es muss etwas Greifbares dahinterstecken“, formulierte es Luxemburgs Außenamtschef Jean Asselborn am Mittwoch. Das kann in Brüssel aber derzeit niemand erkennen. Zwar wären die 27 Staats- und Regierungschefs durchaus in der Lage, bei ihrem Treffen Ende nächster Woche in Brüssel einen solchen Beschluss zu fassen.
Aber die Stimmung gegenüber Premierministerin May (so betonte ein hochrangiges Mitglied der Kommission), gilt derzeit als „bestenfalls schlecht“. Ihr werden schwere taktische und strategische Fehler im eigenen Haus vorgeworfen. „Sie hat den Karren vor die Wand gefahren“, hieß es. Tatsächlich habe sich die britische Regierungschefin – so wird in der EU-Metropole betont – selbst aufs Abstellgleis manövriert. Zum einen stellt sich die EU stur und winkt schon bei der ersten Andeutung zu weiteren Nachverhandlungen ab. Zum anderen kann May nun keinen Brexit mehr ohne Deal zulassen, einen Deal aber bekommt sie bis zum 24. Mai auch nicht mehr hin. Ein britischer EU-Diplomat, zugegebenermaßen ein Befürworter des Verbleibs in der Union, meinte am Mittwoch: „Unser britischer Humor ist ja sprichwörtlich sehr schwarz. Aber selbst der ist mir längst vergangen.“