Mit einem Indianer, einem Bauarbeiter und einem Ritter fängt im Jahr 1974 alles an: In Zirndorf bei Nürnberg entwickeln der Mustermacher Hans Beck und der Unternehmer Horst Brandstätter die 7,5 Zentimeter großen Plastikfiguren ohne Nase, besser bekannt als Playmobil. Heute bevölkern geschätzt 2,7 Milliarden dieser Figuren die Kinderzimmer auf der ganzen Welt. „Playmobil spielen ist sicherlich das Prägendste, was unserer Generation passiert ist. Playmobil-Figuren sind unser großes gemeinsames Schlüsselerlebnis“, schreibt Florian Illies in seinem Buch „Generation Golf“.
Mein Bruder war schon bald dabei und hat 1977 zu Weihnachten die erste Ritterburg von Playmobil bekommen. Mit vier Rittern, einem Pferd, einem grünen Männchen, das aussah wie Robin Hood, vielen Fahnen, Schwertern, Schildern und einem Brunnen. Allein das Aufbauen der Burg hat Stunden gedauert und viel Spaß gemacht. Ein Burgfräulein mit spitzem Feenhut gehörte auch zum Personal. Zu Bauarbeitern, Rittern und Indianern gesellten sich ab 1976 Krankenschwestern, Indianerinnen und Königinnen. In 40 Jahren Firmengeschichte sind 3995 Figurenvarianten auf den Markt gekommen, darunter auch Prominente wie Rockstar Elvis Presley, die amerikanische Freiheitsstatue oder eine Figur, die an Lady Gaga erinnert.
„Playmobil ist ein fester Bestandteil unserer Lebenswelt, genau wie die Sendung mit der Maus oder Steiff-Teddybären“, sagt Eckart Köhne, Direktor des Historischen Museums der Pfalz in Speyer. Dort widmet sich eine Ausstellung dem Phänomen Playmobil. „Playmobil bildet unsere Welt ab wie kaum ein anderes Spielsystem“, sagt Köhne. Warum die immer lächelnden Figuren so gut in ein historisches Museum passen? „Playmobil eignet sich hervorragend, um historische Ereignisse zu erklären.“
Die Abenteuerreise um die Welt beginnt in Speyer in der Steinzeit. In großen Schaukästen wird mit Playmobil-Figuren Geschichte gezeigt: Steinzeitmenschen jagen Mammuts oder Cäsar trifft Kleopatra. Im ersten Ausstellungsraum ist eine große Galeere aufgebaut, darin darf sogar gespielt werden. „Wir möchten Kinder dazu anregen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen“, sagt Cathérine Biasini, zuständig für die Kinderausstellungen im Historischen Museum der Pfalz.
Zehn erwachsene Playmobil-Sammler zeigen in Speyer ihre Inszenierungen. Auf historische Themen hat sich Bruno Peeters aus Belgien spezialisiert. Gleich im Eingangsbereich präsentiert er einen Schaukasten zum „Hambacher Fest“ von 1832. Die Plastikfiguren hat der Sammler in Kleinstarbeit optisch dem 19. Jahrhundert angepasst. Auf rund drei Quadratmetern Fläche windet sich ein Zug aus 400 friedlich für Freiheit demonstrierenden Playmobilfiguren nach oben zum Schloss. „Kindgerechter kann Geschichte kaum vermittelt werden“, ist sich Museumsdirektor Köhne sicher.
Auf 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche wird die Geschichte von Playmobil lebendig. Es geht um historische Welten, fremde Kulturen und modernes Leben. „Diese Spielbereiche gab es von Anfang an und sie erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit“, sagt Biasini. Zu den beliebtesten Spieleklassikern gehört das Piratenschiff, das 1978 in See sticht. Bis heute haben 16 Millionen solcher Schiffe die Badewannen erobert. Playmobil ist für Drei- bis Achtjährige konzipiert, seit 1990 gibt es auch kleinkindgerechte Figuren. Das Firmengeheimnis: Im Laufe der Jahre werden die Figuren nur leicht verändert – so kommen bewegliche Hände und verschiedene Frisuren oder Bärte hinzu. Was bleibt, ist die unverkennbare Form und die Reduziertheit. Mit Erfolg: 2012 machte das Unternehmen, das 3700 Mitarbeiter beschäftigt, einen Umsatz von 531 Millionen Euro, der Auslandsanteil beträgt dabei 70 Prozent. Das Wachstumspotenzial liegt vor allem in Asien, in China, Indien und Japan.
Wie große Wimmelbilder wirken die Playmobil-Welten in der Ausstellung in Speyer. Höhepunkte sind das „Dinosaurier Forschercamp“ und ein Ozeanum von Familie Hengel aus Luxemburg. Die vierköpfige Familie hat in liebevoller Kleinstarbeit einen Zoo mitsamt Aquarium geschaffen, den es in dieser Form nie gegeben hat. Viele Figuren wie auch die Dinosaurier werden erst auf Wunsch der Kinder realisiert, das zeigen Briefe in der Ausstellung. Ein anderer Sammler, Oliver Schaffer aus Hamburg, hat sich auf das Thema Zirkus spezialisiert: Er zeigt neun Zirkusmanegen inklusive Darbietungen aus den Jahren 1978 bis 2007. Alexander Krauß aus Worms ist im Besitz einer seltenen Achterbahn, die 1989 als Lizenzprodukt in Japan auf den Markt kam.
60 Prozent aller Playmobil-Artikel werden in Dietenhofen gut 20 Kilometer westlich von Zirndorf produziert. Auch im oberfränkischen Selb befindet sich ein Standort. Der Rest wird in eigenen Werken auf der Mittelmeerinsel Malta, in Tschechien oder Spanien gefertigt. Seit dem Jahr 2000 gibt es in Zirndorf auch einen eigenen Freizeitpark, den Playmobil-Fun-Park. Inzwischen wurden weitere Fun-Parks in Paris, auf Malta, in Athen und in Palm Beach in den USA eröffnet. Eine Playmobil-Figur besteht aus sieben Einzelteilen: Frisur, Kopf, Innenteil, zwei Arme, Oberkörper, Unterkörper. Heute gibt es für jeden Geschmack Spielthemen: Westernstadt, Polizei, Feuerwehr, Bauernhof, Prinzessinnenschloss oder Piraten. „War Playmobil am Anfang eher ein reines Jungenspielzeut, so erreichen wir heute einen Mädchenanteil von 40 Prozent“, erklärt Playmobil-Geschäftsführerin Andrea Schauer.
Die Playmobil-Ausstellung soll nach Angaben von Museumsdirektor Eckart Köhne keinesfalls als Produktschau verstanden werden. Gezeigt würden viele Dinge, die es in Spielwarenläden so definitiv nicht zu kaufen gebe. Außerdem liegt ein Schwerpunkt der Ausstellung auch auf der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Spielwarenklassiker. Gezeigt werden Gemälde, Fotoserien und Grafiken. So veröffentlicht die brasilianische Künstlerin Maria Moysés auf ihrer Facebook-Seite täglich ein Foto im quadratischen Format, das Playmobil-Figuren in ungewöhnlichen Situationen zeigt. So zum Beispiel eine Figur, die auf einer Sackkarre ein riesengroßes Überraschungsei schiebt. Oder einen Playmobil-Surfer, der mit seinem Surfbrett an einem echten Strand steht.
2009 hat meine Tochter zu Weihnachten eine Ritterburg bekommen. Im Vergleich zu 1977 hat sich viel verändert, nur die Mauern sehen heute noch genauso aus. Die Burg ist detailreicher gestaltet und viel größer. Zur Freude der Kleinen herrscht dort ein richtiges Königspaar mitsamt Thron. Höhepunkt ist eine Kutsche mit vier Pferden, in der sich eine Schatztruhe mit Goldtalern befindet.
Spielwaren und Helden, die Erwachsene aus ihrer Kindheit kennen, erleben gerade ein Revival. Laut einer Pressemitteilung der Spielwarenmesse schenken Eltern ihren Kindern gerne Spielsachen, mit denen sie selber positive Kindheitserinnerungen verbinden. Klar, dass die Neuauflagen mit neuen Raffinessen ausgestattet sind. Genau diese Klientel versteht Playmobil zu bedienen. Was vor 40 Jahren mit einem Bauarbeiter, einem Indianer und einem Ritter anfing, hat sich zum größten deutschen Spielwarenhersteller entwickelt. Wir gratulieren!
Die Ausstellung
Das Historische Museum der Pfalz in Speyer nimmt seine Besucher noch bis zum 22. Juni 2014 mit auf eine Abenteuerreise durch die Welt: Playmobil wird 40 Jahre! Auf rund 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden unzählige, teils raumfüllende und sehr detailreiche Installationen zu historischen und aktuellen Themen gezeigt. Zehn in den Ausstellungsaufbau involvierte Sammler lassen die Besucher an ihrer Leidenschaft teilhaben. Eine begehbare Höhle, eine römische Galeere und ein Cargo-Schiff sind Beispiele spannender Spielstationen, die junge Besucher zum Mitmachen und Erforschen einladen. Aber wie wird eigentlich Playmobil gemacht? Die Ausstellung stellt die Entwicklung eines Spielsets von der Idee bis zum fertigen Artikel in einzelnen Schritten dar. Die Ausstellung ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr zu besichtigen. Weitere Informationen und das vollständige Begleitprogramm unter: www.playmobil-ausstellung.de
„Playmobilfiguren sind unser großes gemeinsames Schlüsselerlebnis.“
Buchautor Florian Illies in „Generation Golf“