Die Israel-Reise der Kanzlerin hatte auch schon vor der Rede am Dienstag viele markante Punkte. Beispielsweise gleich nach der Landung am Sonntag der Besuch am Grab von Staatsgründer David Ben Gurion in der Negev-Wüste. Oder tags darauf die ersten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Jerusalem.
Doch während des ganzen Aufenthalts war Merkel anzumerken, dass für sie der Auftritt im israelischen Parlament der eigentliche Höhepunkt war. Die Reise zum 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels konnte für sie nur dann ein Erfolg sein, wenn auch dieser Schlussstein gelang.
Langsam betritt Merkel an diesem Nachmittag den Saal und nimmt Platz neben der Parlamentspräsidentin Dalia Izik. Hoch über den Abgeordneten verfolgt die Kanzlerin aus Deutschland bewegt, wie die Parlamentarier in der Sondersitzung die israelische Nationalhymne singen. Sie wirkt berührt in diesem Moment. „Frau Präsidentin, ich danke, hier zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich empfinde dies als große Ehre“, sind ihre ersten Worte. Merkel spricht auf Hebräisch. Die Abgeordneten klatschen – unüblich in der Knesset.
Dann dankt die Kanzlerin, auf Deutsch reden zu dürfen. Der nationalistische Abgeordnete Ariel Eldad hat demonstrativ den Saal verlassen. Vor Beginn der Sitzung rief er erregt, dass er die Rede in der Sprache der Täter nicht hören wolle, weil seine Großeltern von Nationalsozialisten umgebracht worden seien. Weitere Abgeordnete sind gar nicht erst gekommen. Sie sind die Minderheit.
Merkel hatte sich lange mit der Rede beschäftigt. Dass sie der erste ausländische Regierungschef sein sollte, der vor der Knesset zu einer Rede eingeladen war, empfand sie als Herausforderung. Zu Beginn erinnert Merkel an den Holocaust, und nennt ihn „die moralische Katastrophe in der deutschen Geschichte“.
Merkels Rede unterscheidet sich von denen der Bundespräsidenten Johannes Rau und Horst Köhler, die vor der Knesset 2000 und 2005 als erste deutsche Politiker gesprochen hatten. Rau hatte vor allem das Bekenntnis abgelegt, dass Deutschland zu seiner Geschichte stehe: „Es gibt kein Leben ohne Erinnerung.“ Köhler sprach fünf Jahre danach schon von einer Zukunftspartnerschaft.
Daran knüpft Merkel an. Auch ihr Blick gilt vor allem der Gegenwart und der Zukunft. „Erinnerung muss sich immer wieder neu bewähren. Aus Gedanken müssen Worte werden. Und aus Worten Taten.“ Sie entwickelt in den 20 Minuten die Vision einer engen Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel. Sie bekräftigt ihr Bekenntnis zum Eintreten für die Sicherheit Israels auch gegen eine mögliche Bedrohung durch iranische Atombomben. Die Sicherheit sei für sie nicht verhandelbar, sagt sie.
Zuvor hat Parlamentspräsidentin Izik an Merkel appelliert: „Vom Haus der Überlebenden rufe ich Sie auf, uns die Hand zu reichen, das Todesurteil aus der Welt zu schaffen.“ Sie meinte damit iranische Atomwaffen.
Die eigentliche Überraschung der Rede ist, wie direkt Merkel Israelis und Palästinenser zum Kompromiss in den Friedensverhandlungen aufruft. „Es bedarf der Kraft auch zu schmerzlichen Zugeständnissen.“ So deutlich ist ein deutscher Politiker selten geworden. Es ist an diesem Tag ein Wagnis. Doch Merkel kommt in Israel gut an, mit Ministerpräsident Ehud Olmert pflegt sie ein Vertrauensverhältnis. Als sie die Knesset verlässt, scheinen die Abgeordneten zufrieden mit der Verbündeten aus Deutschland. Zum Schluss hatte die Kanzlerin Israel auf Hebräisch gratuliert. Ihr letztes Wort: Schalom.