Wer ist das blonde Mädchen aus dem Roma-Lager, wo sind die Eltern des Kindes, das auf den Namen Maria hört? Rund 8000 telefonische Anfragen hat die Hilfsorganisation „Das Lächeln des Kindes“, in deren Obhut sich das kleine Mädchen seit dem Wochenende befindet, bereits bekommen. Mehr als 200 000 Mal wurde in den vergangenen Tagen die Internetseite der Organisation besucht, und Ehepaare aus sieben Ländern haben DNA-Proben nach Griechenland geschickt – in der Hoffnung, dass es sich bei der kleinen Maria um ihre vermisste Tochter handelt. Aber immer noch ist die Geschichte des „blonden Engels ohne Identität“, so die Zeitung „Ta Nea“, ein Rätsel. Unterdessen scheint sich das tatsächliche Alter des Kindes zu klären. Wie der Vorsitzende der Hilfsorganisation „Das Lächeln des Kindes“ erklärte, lassen zahnärztliche Untersuchungen auf ein Alter von fünf bis sechs Jahren schließen.
Polizisten hatten das Kind vergangene Woche während einer Routine-Razzia bei einer Roma-Familie im mittelgriechischen Farsala entdeckt. Das Roma-Paar gab das blonde Kind zunächst als sein eigenes aus, was aber durch Genanalysen widerlegt wurde. Die 40-jährige Frau und ihr 39 Jahre alter Mann befinden sich im Polizeigewahrsam. Sie wurden am Montagmittag dem Ermittlungsrichter vorgeführt.
Gegenüber dem Ermittlungsrichter erklärte das Ehepaar, bei den leiblichen Eltern des Mädchens handele es sich um Roma aus Bulgarien, die ihnen das Kind anvertraut hätten, weil sie es selbst nicht versorgen konnten. Die bulgarischen Eltern sollen angeblich in Griechenland leben. In den bisherigen Vernehmungen hatten sich die Eheleute in immer neue Widersprüche verwickelt: Mal erklärten sie, das Kind stamme aus einer außerehelichen Affäre der Mutter mit einem kanadischen Touristen, dann hieß es, sie hätten das Kind vor einem Supermarkt gefunden. Gegen das Paar wird nun wegen Kindesentführung und Kinderhandel ermittelt.
Erschlichene Kindergeldbezüge
Der Fall der kleinen Maria wirft ein Schlaglicht auf den in Griechenland offenbar weit verbreiteten Sozialbetrug mit erschlichenen Kindergeldbezügen. Die Roma-Frau hatte zwei Personalausweise und zwei Familienstammbücher. Sie will angeblich in zwanzig Monaten nacheinander sechs Kinder zur Welt gebracht haben. Ihr Mann hat ein weiteres Stammbuch mit vier Kindern.
Insgesamt hatte das Paar in drei verschiedenen Gemeinden 14 Kinder angemeldet, für die es nach Angaben aus Polizeikreisen fast 2800 Euro Kindergeld im Monat kassierte. In der Behausung der Familie traf die Polizei aber nur vier Kinder an, darunter die kleine Maria. Die Ermittler vermuten, dass die anderen zehn Kinder nur auf dem Papier existieren. Es sei mancherorts durchaus üblich, dass man sich gegenseitig Kinder „ausleiht“, um sie bei den Behörden zu registrieren, sagen Kenner der Szene. So könnten mehrere Familien für ein und dasselbe Kind Zuschüsse kassieren.
Viele Kinder kriegen und viel Kindergeld kassieren ist in Griechenland nicht schwer, denn man kann bei den Behörden nach Belieben Kinder melden, die angeblich in der eigenen Wohnung zur Welt gekommen sind. Eine eidesstattliche Erklärung der angeblichen Mutter und die Bestätigung durch zwei Zeugen reichten bisher aus. Nach diesem Verfahren ließ das Roma-Paar offenbar auch die kleine Maria als ihr Kind registrieren.
Normalerweise müssen Kinder in den ersten zehn Tagen nach der Geburt gemeldet werden. Gegen Zahlung eines Verspätungszuschlags von 300 Euro kann man aber auch nach Ablauf dieser Frist Nachwuchs registrieren lassen. Es gebe Fälle, in denen sogar Zwölfjährige nachträglich neu gemeldet würden, heißt es im griechischen Innenministerium. Jetzt will die Regierung die Vorschriften ändern: Mutter und Kind müssen sich künftig einem DNA-Test unterziehen.
Die jetzt festgenommene 40-jährige Roma-Frau, die sich als Mutter der kleinen Maria ausgab, scheint besonders dreist vorgegangen zu sein: Dank ihrer zwei Personalausweise soll sie mehrfach sogar bei den Behörden in einer Doppelrolle aufgetreten sein, als Mutter und als Zeugin.
Deutscher Kinderschutzbund
Das Mädchen Maria, das vermutlich entführt und in Griechenland entdeckt wurde, hat aus Sicht des Deutschen Kinderschutzbundes gute Chancen auf ein normales Familienleben mit seinen leiblichen Eltern, sofern diese ausfindig gemacht werden können. Das Kind habe eine „gute Prognose“, sagte Geschäftsführerin Paula Honkanen-Schoberth der Nachrichtenagentur dpa. Nötig sei aber eine psychologische Betreuung. Die Annäherung sollte sehr behutsam und Schritt für Schritt angegangen werden. Es sollte Treffen geben, bei denen Kind und Eltern sich langsam kennenlernen können. Nach und nach kann man diese Treffen verlängern und intensivieren. Wenn Eltern und Kind nicht dieselbe Sprache sprechen, gelte es auch diese Barriere zu überwinden. Auch die Kultur, aus der das Mädchen kommt, ist vermutlich eine andere als die der Eltern. Auch in dieser Hinsicht gebe es große Veränderungen.
In vielen Städten hat der Kinderschutzbund das Angebot „Begleiteter Umgang“. Es richtet sich an Kinder und Elternteile, die sich aus verschiedenen Gründen lange nicht gesehen haben. Der Kinderschutzbund habe geschulte Begleitpersonen, die Kontakte zwischen Eltern und Kindern in einem geschützten Rahmen und Raum ermöglichen. Text: dpa