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ANKARA: Die Türken vor dem Schicksalsvotum

ANKARA

Die Türken vor dem Schicksalsvotum

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    55,3 Millionen wahlberechtigte Türken sind am Sonntag aufgerufen, in einer Volksabstimmung über eine neue Verfassungsordnung zu entscheiden. Es geht um die Einführung eines Präsidialsystems, das Staatschef Recep Tayyip Erdogan wesentlich erweiterte Befugnisse geben und das Parlament weitgehend entmachten würde. Der Ausgang des Referendums könnte gravierende Folgen für die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes haben. Setzt sich Erdogan mit seinen Plänen durch und führt er, wie angekündigt, die Todesstrafe wieder ein, würde die Türkei ihren Status als EU-Beitrittskandidat verlieren. Das könnte auch Auswirkungen auf das Flüchtlingsabkommen haben.

    Zum Abschluss des Wahlkampfes ritt Erdogan neue Attacken gegen Europa. „Die Schminke im Gesicht Europas löst sich auf“, rief der Präsident bei einer Kundgebung in Giresun an der Schwarzmeerküste. „Unter dem Make-Up kommt das faschistische, rassistische, fremdenfeindliche und islamfeindliche Gesicht zum Vorschein“, so Erdogan.

    Im Wahlkampf dominierte ein Wort: „Evet“, Ja – also die Zustimmung zum Präsidialsystem. In den überwiegend regierungstreuen Medien kam die Nein-Kampagne, die vor allem von Nichtregierungsorganisationen und der größten Oppositionspartei CHP getragen wird, fast gar nicht zu Wort. Die pro-kurdische Oppositionspartei HDP, die ebenfalls für ein Nein wirbt, kritisierte den Wahlkampf als unfair. 13 Abgeordnete und mehr als 1400 Funktionäre der Partei sitzen in Haft, unter ihnen der Vorsitzende Selahattin Demirtas. Er erklärte in einer Botschaft aus dem Gefängnis: „Der einzige Grund unserer Verhaftung war, zu verhindern, dass wir uns von den Plätzen und in den Medien ans Volk wenden.“

    „Die Schminke im Gesicht Europas löst sich auf.“

    Recep Tayyip Erdogan fährt neue Attacken gegen die EU

    Unter dem vorgeschlagenen Präsidialsystem könnte Erdogan Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, ohne das Parlament zu fragen. Auch bei der Berufung und Entlassung von Ministern und der Aufstellung des Staatshaushalts würde das Parlament nicht mehr mitwirken. Erdogan wäre in Personalunion Staatsoberhaupt, Regierungschef und Parteivorsitzender.

    Er könnte die Rektoren der Universitäten, hochrangige Staatsbeamte und die Mehrzahl der obersten Richter ernennen, den Notstand ausrufen und das Parlament nach Gutdünken auflösen.

    35 Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) beobachten die Wahl. In den Wahllokalen können Vertreter aller Parteien die Abstimmung und die Stimmenauszählung verfolgen. Wann Auszählungsergebnisse veröffentlicht werden dürfen, entscheidet der Oberste Wahlrat. Mit ersten Teil-Resultaten wird am Sonntagabend gerechnet.

    Die Umfragen lassen keine gesicherte Prognose zum Ausgang der Abstimmung zu. Nach einer jüngsten Erhebung des als seriös geltenden Meinungsforschungsinstituts Gezici wollen am Sonntag 51,3 Prozent mit Ja und 48,8 Prozent mit Nein stimmen. Die Differenz zwischen Zustimmung und Ablehnung liegt jedoch innerhalb der Fehlertoleranz.

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