Die Technik hat jeder schnell raus: Wer keine nassen Socken riskieren will, bewegt sich bedächtig wie ein Storch. Den linken Fuß leicht anheben, nach vorne gegen das eiskalte Bergwasser pressen und wieder absetzen. Plitsch. Dann ist der rechte Fuß an der Reihe. Platsch. Schritt für Schritt mit eingezogenem Kopf geht es immer tiefer in den Stollen. Das Licht der Stirnlampe reicht vielleicht zehn Meter. Danach nur die Finsternis. Und dahinter auch – das ist das Abenteuer Schneeberg.
Hier in 2000 Metern Höhe und mehrere hundert Meter unter Tage gibt es kein Zurück. Wer Platzangst hat oder unter Schimmelallergie leidet, sollte besser im Tal bleiben. In der Beengtheit des Stollens bleibt keine Zeit zum Grübeln, so spannend ist es, sich mit Helm und Stirnlampe, in Schmutzmantel und Gummistiefeln im hochalpinen Industriedenkmal zu bewegen. Schräge Passagen müssen bewältigt werden, mal geht es mehrere Meter tief hinab über Stahlleitern. Der Rost klebt an den Händen. Mal muss der eigene Rucksack zum Vordermann gereicht werden, um seitlich durch die Engstellen zu kommen. Teilweise sind die alten Gänge nur 1,70 Meter hoch und nur eine Armlänge breit.
Gerade im Mittelalter, als am Schneeberg mit Fäustl und Keilhaue nach Silber, Blei und Zink gesucht wurde, wurde kein Quadratzentimeter zu tief in den Fels gehauen. Liegend schlugen die Knappen im Licht einer Ölfunzel das wertvolle Gestein aus dem Berg. Damals hat sich die Plackerei gelohnt. Der Ursprung für das Interesse am Bergbau hatte allerdings einen weltpolitischen Ursprung: Landesfürst Sigmund der Münzreiche hatte auf großem Fuß gelebt und sein Vermögen an Bayern verpfändet. Um die Schulden zu tilgen, musste Nachfolger Maximilian Geld von den Fuggern leihen. Hypothek war das Silbereinkommen. Ab 1524 stieg die Augsburger Handelsfamilie mit 15 Gruben direkt in den Bergbau am Schneeberg ein. Und noch mehr: Nach dem Tod Kaiser Maximilians wollten der Habsburger Karl V. und der König von Frankreich die Kaiserkrone. Jakob Fugger schoss den Habsburgern 600 000 Gulden vor – ein damals unglaublicher Batzen Geld. Er rettete ihnen damit den Thron. Das Darlehen wurde zum Großteil vom Ertrag der Tiroler Bergwerke zurückgezahlt.
Tiroler Silber als bestimmender Faktor der Weltgeschichte. Allerdings sah die Augsburger Handelsfamilie den Niedergang im Bergbau voraus und bot 1580 erstmals ihren gesamten Bergwerkshandel dem Landesfürsten zum Kauf an – ohne Erfolg. Manche Grube wurde in der Folge geschlossen. Knappen wurden entlassen oder mussten oft monatelang auf die Entlohnung warten.
Am Schneeberg arbeiteten um 1630 noch an die 160 Knappen. Das ist ein gewaltiger Rückgang, denn 1486 sollen es 1000 gewesen sein. Zur Hochblüte ging es wohl auch hoch her am Berg: Überliefert ist von damals noch die Ermahnung, dass die Bergleute an Sonn- und Feiertagen den Gottesdienst besuchen sollten, damit der Allmächtige nicht gereizt durch das lasterhafte Leben den Bergsegen abschneide. Tatsächlich gab es am Schneeberg ein Kirchlein, das Ruhe in die Berggemeinschaft bringen sollte. Dazu eine Gastwirtschaft, ein Spital und eine Leichenkammer, in der die Toten im Winter bis zum Transport ins Tal gefroren warten mussten. Um 1900 arbeiteten Männer (wie auch Frauen), Analphabeten, entlassene Sträflinge, Glücksritter, Alte und Junge am Schneeberg. Sogar eine Schulklasse mit 20 Kindern gab es, dazu für die Erwachsenen einen Schießstand der Schützenkompanie. Theaterabende sorgten für Unterhaltung, um Leben und Arbeit unter den extremen klimatischen Bedingungen erträglicher zu machen. St. Martin am Schneeberg sollte auf rund 2300 Metern wie ein normales Dorf funktionieren. Trotzdem waren die Bewohner abgeschnitten: Im Winter fielen teilweise über fünf Meter Schnee, weshalb schon im Herbst zwischen den Gebäuden Verbindungsstollen aus Holz angelegt werden mussten.
Mit dem Bus auf 2000 Meter
Einen Eindruck vom Dorf gibt es noch heute: Es ist zu Fuß auf gut begehbaren Wegen in knapp zwei Stunden von der Timmelsjochstraße (Passeiertal) und in vier Stunden von der sehenswerten Bergbauwelt in Maiern im Ridnauntal erreichbar. Dort hat die Abenteuer-Tour frühmorgens begonnen. Jeder Teilnehmer erhält seine Bergwerksausrüstung: Gummistiefel, Jacke und Stirnlampe.
Ein Bus bringt die Knappen-Anwärter zur Moareralm auf rund 2000 Metern. Dort stärkt ein kleines Frühstück. Passend gibt es frische Butterbrote mit den Bergwerksinsignien – aufgestreut mit Paprikapulver. Ein mehrstündiger Fußmarsch durch das Lazzacher Tal steht an. In der atemberaubenden Alpinwelt der Stubaier Alpen geht es vorbei an den stummen Zeugen des Bergbaus: verrostete Seilanlagen, mit denen das Gestein nach dem Ersten Weltkrieg zur Weiterverarbeitung nach Maiern im Ridnauntal transportiert wurde. Tief in den Boden eingelassen sind noch die Wege zu erkennen, die die Arbeiter benutzten, um Wind und Wetter zu trotzen. Heute haben sie nur noch für das Vieh eine Schutzfunktion. Weiter oben ein gigantisches Mauerwerk: eine monumentale Rampe aus Stein, auf der befüllte Wagen hinabgelassen und mit einem Gegengewicht gebremst wurden. So überwanden die Konstrukteure von damals gewaltige Höhenunterschiede.
Apropos Höhe: Viel Schweiß fließt, bis der Sattel mit seinen 2700 Metern überwunden ist und auf der anderen Seite die Erzgruben und die Millionen Kubikmeter rot-braunen Aushubs zu erkennen sind. Wer will, darf dort mit dem Geologenhammer selbst klopfen. Die Zeit vergeht wie im Flug. Trotzdem tut das Mittagessen im Schneeberg-Schutzhaus auf rund 2355 Metern not: Ein kräftiges Tiroler Gröstl muss es sein. Wer will, kann sich in der Geisterstadt umschauen. Dann beginnt der Abstieg Richtung Passeiertal: Über mächtige Abbauhalden und Transportwege geht es zum unscheinbaren Eingang des Karlstollen. Dort schlüpfen alle in ihre Knappenkluft, um auf direktem Weg im schier unendlichen Geflecht der Stollen zum Ausgangspunkt der Tour zu gelangen. Die letzten Kilometer fährt die wieder in Betrieb gebrachte Grubenbahn – sie rumpelt durch die Finsternis des Schneebergs mit seiner 800-jährigen Geschichte, dessen Bergwerk nach seiner Schließung 1985 kein bisschen von seinem einstigen Zauber verloren hat.
Tipps zum Trip
Anfahrt: Über den Brenner nach Sterzing, von dort Richtung Westen ins Ridnauntal. Nach etwa 20 Autominuten liegt am Talende das Bergbaumuseum. Das Ridnauntal ist ein 18 Kilometer langes Seitental des Eisacktals. Bergbaumuseum: Das Erlebnismuseum mit Schaustollen ist immer einen Besuch wert. Es gibt drei Touren, die Besuchern das einmalige Kapitel Industriegeschichte im Hochgebirge näherbringen. Auch für den Nachwuchs ist etwas geboten: Die „Schneeberg-Junior-Tour“ ist eine abenteuerliche Exkursion über und unter Tage. Die Führung ist behindertengerecht ausgebaut. Geöffnet ist das Bergbaumuseum von April bis November, Dienstag bis Sonntag von 9.30 bis 16.30 Uhr. Führungen finden um 9.30, 11.15, 13.30 und 15.15 Uhr statt. An Feiertagen und im August auch montags geöffnet. Große Tour: Wer die große Erlebnistour (mit Anmeldung) wagt, muss etwas Kondition haben und im Bergwandern geübt sein. Achtung: In die Stollen kann nur, wer keine Platzangst hat und nicht unter Schimmelallergie leidet. Übernachtung: In Sterzing genauso wie im Ridnauntal oder im benachbarten Ratschingser Tal gibt es eine Reihe von Hotels in allen Preisklassen. Wer will, kann im Schneeberghaus übernachten. Es ist ein ideales Ziel für Ausflüge aus dem Passeiertal und der Meraner Gegend, aus dem Ötztal und dem Ridnauntal.