US-Präsident Donald Trump gilt als unberechenbar und impulsiv. Der ehemalige US-Korrespondent Christoph von Marshall erklärt, warum dieses Bild nicht immer stimmt.
Frage: Herr von Marschall, wie begründet sich die Begeisterung für Trump in den USA, obwohl er international so sehr in der Kritik steht?
Christoph von Marshall: Das ist ein sehr deutscher Blickwinkel. Die Umfragewerte Trumps sind in Europa nicht überall so schlecht wie in Deutschland. Es ist auch nicht so, als ob Trump eine Mehrheit der Amerikaner hinter sich hätte. Er hatte nie über 50 Prozent Zustimmung, auch heute nicht. Aber er kann sich eben doch halten, weil die Art, wie er Politik vertritt, einen Resonanzboden in der amerikanischen Bevölkerung findet – gegen die traditionelle Politik und gegen Washington. So wie die meisten in Europa gegen Brüssel sind, führt man in den USA Wahlkampf gegen Washington.
Was unterscheidet Trump bei dieser Taktik von seinen Vorgängern?
von Marshall: Das Gefühl gegen die politische Klasse hat Trump sehr gut auf sich kanalisiert. Er verschärft die Spaltung durch Angriffe auf die Medien, „die Lügenpresse“, und indem er sich gegen beide etablierten Parteien stellt, Demokraten wie Republikaner. So konnte er andere Kandidaten aus dem Feld schlagen. Das ist seine Aura – einer, der nicht aus der politischen Klasse kommt, der die Interessen des Volks gegen „die da oben“ vertritt. Trump vereint nicht unbedingt eine Mehrheit für seine politischen Ziele hinter sich, sondern eher gegen etwas: gegen die Einwanderung, gegen die angeblich schlechten Handelsverträge, gegen ein internationales Diktat beim Klima.
Lässt er sich überhaupt steuern? Es heißt ja, wichtige Papiere werden ihm vorenthalten, damit er keine unüberlegten Entscheidungen treffen kann.
von Marshall: Trump entscheidet aus dem Bauch heraus und lässt sich nicht lange von Sachargumenten und Dossiers aufhalten, wenn er schon eine vorgefasste Meinung dazu hat, die er als Mann über 70 auch nicht mehr ändert. Zu diesen festen Meinungen gehört zum Beispiel, dass Amerika in der Handelspolitik unfair behandelt wird, dass er eine Aversion gegen Migration hat, dass er mit der muslimischen Welt nichts anfangen kann. In Einzelbereichen ist er aber doch beweglich.
Woran denken Sie da?
von Marshall: Trump hat die Nato als obsolet bezeichnet und infrage gestellt, ob Amerika seinen Beistandsverpflichtungen nachkommt. Trotzdem hat er nun Truppen nach Polen geschickt und mehr Geld in die Nato in Polen investiert als sein Vorgänger Barack Obama versprochen hat. Beim nordamerikanischen Handelsabkommen Nafta war seine Ursprungshaltung, dass er es abschaffen möchte. Nun hat er sich dazu entschieden, es nachzubessern. Kurzum: Er hat festgefasste Meinungen in bestimmten Bereichen, in anderen ist er beweglich. Bei Nordkorea ist es auch ein ständiges Schwanken – wenn er das Gefühl hat, er erreicht etwas, dann ist alles ganz toll, wenn die Nordkoreaner eine Zusage nicht einhalten, packt er die Keule aus.
Wie ist sein Verhältnis zu Europa?
von Marshall: Das schwankt, aber ein gewisses Ressentiment gegen Deutschland und die EU gibt es sicher. Trump kommt in dritter Generation aus Deutschland, sein Großvater ist emigriert. Das hatte aber keinerlei Auswirkungen auf sein Bild von Deutschland. Umgekehrt hat diese Tatsache bei den Deutschen keine Wirkung gezeigt – niemand ist stolz darauf, dass ein Mann mit deutschen Wurzeln US-Präsident geworden ist.
Warum ist eine Wiederwahl Trumps für viele Deutsche abwegig?
von Marshall: Die deutsche Haltung war, dass die Wahl von jemandem wie Trump bestenfalls ein Betriebsunfall gewesen sein konnte. Einmal irren dürfen sich die Amerikaner, aber wenn sie das noch einmal tun, sind wir durch mit ihnen – das ist in etwa die Stimmung hierzulande. Das Erstaunliche für die meisten Deutschen ist deshalb, dass es offen, aber nicht ausgeschlossen ist, dass Trump wiedergewählt wird.
Das heißt, er könnte wirklich eine zweite Amtszeit gewinnen?
von Marshall: Es hängt immer davon ab, was die Gegenseite anbietet. Viele Demokraten werden um die Spitzenkandidatur buhlen, aber wir haben noch keinen klaren Favoriten. Das ist ganz anders als vor zwölf Jahren. Präsident George W. Bush war in seiner zweiten Amtszeit und wir wussten, dass Barack Obama als erster Schwarzer oder Hillary Clinton als erste Frau für die Demokraten antreten würden. Wenn wir heute schauen, gibt es bei den Demokraten niemanden, der Begeisterung und Erwartungen auslöst.
Was wäre denn der ideale Kandidat?
von Marshall: Ich würde mir wünschen, dass es einen charismatischen jungen Latino aus Texas oder Arizona gibt, der für den bürgerlichen Teil der Demokraten steht – also nicht zu weit links, weil Wahlen in der bürgerlichen Mitte gewonnen werden. Die Vorstellung, man müsse nur noch mehr Anti-Trump sein, reicht nicht in Amerika. Es muss jemand sein, zu dem man Vertrauen hat, der für Brot-und-Butter-Themen eintritt. Die Wirtschaft muss laufen. Das brauchen Sie, um Trump aus dem Rennen zu werfen. Die Amerikaner warten darauf: Trump finden sie auch nicht so toll, aber sie brauchen jemand Besseren im Angebot.
Christoph von Marshall (59) ist promovierter Historiker, Journalist und Sachbuchautor. Seit 1991 arbeitet er für den Berliner „Tagesspiegel“. In seinem gerade erschienenen Buch „Wir verstehen die Welt nicht mehr“ analysiert von Marshall die internationale Handlungsfähigkeit Deutschlands.