Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Essen, was man retten will

Politik

Essen, was man retten will

    • |
    • |
    Essen, was man retten will
    Essen, was man retten will

    Das Bunte Bentheimer Schwein nimmt nicht schnell genug zu. Mager genug ist es auch nicht, sein Fleisch ist von Fettäderchen geradezu durchzogen. Und das Murnau-Werdenfelser Rind mag ja widerstandsfähig sein und mit dem rauen Klima der Voralpen gut zurechtkommen. Doch es gibt einfach zu wenig Milch, als Fleischlieferant kann es mit den modernen Hochleistungsrinderrassen auch nicht konkurrieren. Nein, das niedersächsische Borsten- und das bayerische Rindvieh haben in der ökonomisierten Landwirtschaft keinen Platz.

    Ein Schicksal, das sie mit Nutzpflanzen teilen: Die Bamberger Hörnchen sind zu klein. Jedenfalls so klein, dass sie durch den Kartoffelvollernter fallen. Anfällig für Schädlinge sind sie auch. Und das Spitzkraut, das über Jahrhunderte auf der Filder-Hochebene südlich von Stuttgart angebaut wurde, mag zart sein. Mag Tradition haben. Aber halt auch einen viel zu langen, kräftigen Strunk. Die Sauerkonservenindustrie verlangt Rundkraut. Weil das weniger saftig ist und sich komplett maschinell verarbeiten lässt.

    Zu unwirtschaftlich. Zu pflegebedürftig. Zu wenig Ertrag. Zu viel Speck. Viele Nutztierrassen und Pflanzenarten sind deshalb bedeutungslos geworden und fast in Vergessenheit geraten. Fast vergessen war, dass sich das Fleisch des Murnau-Werdenfelser Rinds mit seinem außergewöhnlichen Aroma bestens für Suppen und Schmorgerichte eignet. Dass die Wurst vom Bunten Bentheimer saftig und herzhaft daherkommt und bei der Herstellung kein externes Fett zugesetzt werden muss. Dass das Bamberger Hörnle ob seiner speckigen Konsistenz als die Salatkartoffel schlechthin gilt.

    Keine Anti-Bewegung

    Und genau deshalb stehen fränkische Kartoffel, Stuttgarter Kraut und Alpen-Rind auf der Passagierliste der „Arche des Geschmacks“. So wie die Weiße gehörnte Heidschnucke und das Teltower Rübchen. So wie die Stuttgarter Birne namens „Geishirtle“ und die Höri Bülle, eine milde rote Zwiebel vom Bodensee. „Slow Food“, die weltweite „Vereinigung von bewussten Genießern und mündigen Konsumenten“, hat die Arche vom Stapel gelassen.

    Die Bewegung, die vor gut 20 Jahren in Italien begann, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Ess- und Trink-Kultur zu pflegen und lebendig zu halten. Die Mitglieder – 100 000 weltweit, rund 10 000 in Deutschland – kommen in Convivien, den regionalen „Tafelrunden“, zusammen. Und auch wenn man den Namen bewusst der Burger-Futterei und dem schnellen Verschlingen von schnell aufgewärmten Fertiggerichten entgegengesetzt hatte: Von Beginn an wollte „Slow Food“ keine Anti-Bewegung sein, kein moralisierender Verein. „Wir sind für das Gute“, sagt der Schweinfurter Hans-Werner Bunz vom Vorstand des Conviviums Mainfranken-Tauber-Hohenlohe. „Was wir machen ist nicht spektakulär. Wir klassifizieren nicht. Wir empfehlen nur. Oder eben nicht.“

    Erinnerung an regionale Spezialitäten

    „Slow Food“ sollte und wollte im positiven Sinne für etwas stehen. Deshalb die Arche: Jede Region hat ihre Nutztiere, Gemüsesorten, Obstarten oder Produkte, die aus der Mode gekommen sind. Die Alblinse beispielsweise, eine uralte Nahrungspflanze, die Mitte der 20. Jahrhunderts nahezu völlig verschwand, weil die Erträge niedrig und der Aufwand für Ernte und Reinigung so groß war. Seit 2005 ist die kleine Hülsenfrucht von der Schwäbischen Alb nun Passagier in der Arche des Geschmacks – und wird wieder von 30 Betrieben angebaut.

    Die Voraussetzung auf die Arche zu kommen? Die regionalen Lebensmittel müssen vom Aussterben bedroht, kulinarisch wertvoll und geschmacklich erstklassig sein. Sie müssen eine lange Historie haben und für eine bestimmte Region mit einer identitätsstiftenden Tradition verbunden sein. Und, sagt Bunz: „Sie müssen erwerbbar sein.“

    So wie die kleine Gruppe von handwerklich nach alter Tradition hergestellten Lebensmittel, die „Slow Food“ auch schützen will. Die Nordhessische Ahle Wurscht beispielsweise, eine lange gereifte Rohwurst aus Schweinefleisch. Oder wie der Ostheimer Leberkäs, eine gebackene Fleischterrine, in deren Herstellung bis heute nur Ostheimer Metzger eingeweiht sind.

    Elf weitere fränkische Kandidaten

    „Die Arche des Geschmacks ist zunächst nur eine sammelnde, beschreibende Aktivität“, sagt Bunz. Es gilt Belege zu suchen, die Erzeugung einst und heute zu dokumentieren – „eine halbwissenschaftliche Arbeit“. Für das Rhönschaf, das Bamberger Hörnla, den Ostheimer Leberkäs, den Weideochse vom Limpurger Rind aus dem Hohenlohischen und den Tauberschwarz, eine alteingesessene Rebsorte aus dem Taubertal, hat das hiesige Convivium diese Arbeit erfolgreich geleistet. Fünf Lebensmittel und Sorten aus der Großregion – so viele Passagiere hat in Deutschland sonst nur die Tafelrunde aus Stuttgart auf die Arche gebracht. Aber der Slow-Food-Kreis aus Mainfranken-Hohenlohe ist mit 544 Mitgliedern auch der größte bundesweit. Noch vor den Tafelrunden in München und Berlin.

    „Wir arbeiten an elf weiteren“, sagt Hans-Werner Bunz. Viel Gemüse steht auf der Kandidatenliste: Knoblauch, Rettich und Spitzwirsing aus der Bamberger Region. Dazu die Schwarzblaue aus dem Frankenwald, eine uralte Kartoffelsorte, und der Schiefertrüffel. Auch für die hell- und dunkelbäuchige Frankenziege und das Schwäbisch-Hällische Landschwein haben die Slow-Food-Mitglieder mit der Dokumentation begonnen. Dazu könnten die Astheimer Perlquitte, der Blaue Silvaner, das Bamberger Butterhörnla und das Bamberger Rauchbier bald Aufnahme in der Geschmacks-Arche finden.

    Wenn es so weit ist, gilt es Förderer zu finden und die Vermarktung voranzubringen. „Essen, was man retten will“ ist der Slogan bei Slow Food. Doch die Arche ist eben nur eine einfache, gut gemeinte Liste. Davon allein wird noch kein Schwein, keine alte Birne vor dem Aussterben bewahrt. Die Slow-Food-Pioniere aus Italien erkannten bald, dass die alten Spezialitäten engagierte Förderung und echten Schutz brauchten. Mit dem Kapaun aus dem piemontesischen Dörfchen Morozzo, einem kastrierten Federvieh, fing vor zehn Jahren alles an: Slow-Food-Gründer Carlo Petrini und seine Mitstreiter starteten die Gründung von Presidi. Zu Deutsch: von Förderkreisen.

    Förderkreise für die Vermarktung

    300 solcher anerkannter „Schutzwälle“ haben sich weltweit inzwischen gebildet – sie alle wollen den Erzeugern des jeweiligen Archepassagiers ein passables Einkommen sichern. Es gilt Abnehmer zu finden, Gastronomen auf den Geschmack zu bringen. „Das ist eine Marketing-Aufgabe im umfassenden Sinne“, sagt Gerd Sych, der Leiter des hiesigen Conviviums. Im zweitwichtigsten Slow-Food-Land Deutschland gibt es bislang nur drei Förderkreise: für die Champagner-Bratbirne vom Albtrauf, die sich zu einem eleganten Schaumwein verarbeiten lässt. Und – „eine Art Ritterschlag“, sagt Hans-Werner Bunz – für das Bamberger Hörnla und den Limpurger Weideochsen. Der Kartoffel-Presidio kümmert sich jetzt mit der Bayerischen Landesanstalt für Gemüsebau darum, langfristig eine virenfreie Saatkartoffel mit besserem Ertrag zu bekommen. Das Hörnchen mit dem nussigen Geschmack war in seiner mindestens 200-jährigen Geschichte nie züchterisch bearbeitet worden.

    Die Arche des Geschmacks und ihre Passagiere

    Arche-Kampagne Die Arche des Geschmacks entstand Mitte der 90er Jahre als internationales Projekt von Slow Food – und ist ein eingetragenes Warenzeichen. Lokale und regionale Lebensmittel, Nutztier- und Nutzpflanzenarten, die kaum Chancen auf dem Markt haben oder „aus der Mode gekommen sind“, sollen vor dem Vergessen gerettet werden. Arche- Passagiere müssen eine lange Historie haben, die Aufnahmeprüfung ist streng. Von den weltweit über 800 Lebensmitteln, Tieren und Pflanzen auf der Passagier-Liste kommen 29 aus Deutschland – fünf sind aus der Slow-Food-Region Mainfranken-Hohenlohe (*).

    Die Passagierliste

    Alblinse, Albschnecke, Angler Rind, Angler Sattelschwein, Bamberger Hörnla *, Blauer Frühburgunder, Buntes Bentheimer, Champagner Bratbirne, Diepholzer Moorschnucke, Filder-Spitzkraut, Fränkischer Grünkern, Geishirtle, Glanrind, Hinterwälder Rind, Klingelberger, Höri Bülle, Maiwirsing, Murnau-Werdenfelser Rind, Musmehl, Nieheimer Käse, Nordhessische Ahle Wurscht, Ostheimer Leberkäs *, Rhönschaf *, Teltower Rübchen, Tauberschwarz * Limpurger Weideochse *, Weiße Gehörnte Heidschnucke, Weißlacker, Würchwitzer Milbenkäse Presidi Der Name geht auf das italienische „presidiare“ (durch eine Festung schützen) zurück. Ein Presidio ist ein eigenständiger Förderkreis, der den jeweiligen Archepassagier fördern und schützen will. Ziel ist es, den Erzeugern ein gesichertes Einkommen zu ermöglichen und gleichzeitig die Qualität zu sichern und zu verbessern. Rund 300 Presidi gibt es bislang weltweit – in Deutschland erst drei: für die Champagner Bratbirne von der Schwäbischen Alb, das Bamberger Hörnla und für den Limpurger Weideochsen. Über die Presidi wacht eine von Slow Food gegründete Stiftung für Biodiversität.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden