EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat sich durchgesetzt. Als erste ausländische Diplomatin traf sie in Kairo den gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und führte mit ihm eine zweistündige „freundliche und sehr offene Diskussion“. Mursi gehe es gut, er habe Zugang zu Fernsehen und Zeitungen, sei also über die Vorgänge im Land unterrichtet, erklärte Ashton, ohne allerdings irgendwelche Details über ihre Gespräche preiszugeben.
Sie habe Mursi „die guten Wünsche von Menschen hier“ übermittelt, und Mursi habe sie gebeten, die Wünsche zu erwidern. Seit fünf Wochen haben weder Familienmitglieder noch Rechtsanwälte oder Vertraute aus den Reihen der Muslimbruderschaft Zugang zu dem abgesetzten Staatschef. Bei Ashtons erstem Besuch vor zwei Wochen hatten ihr die Militärs noch ein Zusammentreffen mit Mursi verwehrt.
Diesmal willigten sie ein, weil die EU-Chefdiplomatin dies zur Bedingung einer neuerlichen Visite gemacht hatte. Und so wurde sie mit einem Armeehubschrauber zu dem nach wie vor unbekannten Ort geflogen, wo der Ex-Präsident gefangen gehalten wird. Am Mittwoch wird auch Außenminister Guido Westerwelle am Nil erwartet.
Ashton war am Sonntagsabend in Kairo eingetroffen und hatte am Montag bereits mit Armeechef Abdel Fattah El-Sissi, Übergangspräsident Adly Mansour und dessen Stellvertreter Mohamed ElBaradei gesprochen ebenso wie mit Vertretern des Pro-Mursi-Lagers und der Rebellenbewegung „Tamarod“. Sie bringe keine eigene Botschaft mit, wolle die beiden Seiten nicht an den Verhandlungstisch zwingen, versicherte Ashton. Sie hoffe aber, sie könne allen Beteiligten behilflich sein beim Zusammentragen von Ideen.
„Ich bin nicht gekommen, irgendjemandem zu sagen, was er tun soll“, sagte sie auf einer Pressekonferenz am Dienstag. Sie habe jedoch sämtlichen Gesprächspartnern dringend geraten, „sehr sorgfältig darüber nachzudenken, wie man alle politischen Kräfte in den künftigen Übergangsprozess integrieren kann.“ Mohamed ElBaradei erklärte nach dem Gespräch mit Ashton, Mursi habe versagt und werde anders als die Muslimbruderschaft im künftigen Ägypten keine Rolle mehr spielen.
Ein Sprecher der Pro-Mursi-Koalition erklärte, man habe mit Ashton „keine Initiativen“ diskutiert, mit der sich die Krise lösen ließe. Das ägyptische Volk werde Straßen und Plätze erst dann verlassen, wenn die verfassungsmäßige Legitimität wieder hergestellt sei. Man sei bereit, mit jedem zu reden, sehe aber keinerlei positive Zeichen von der anderen Seite, sagte Amr Darrag, Mitglied der Führung der Muslimbruderschaft.
Die Staatsanwaltschaft hatte letzten Freitag Haftbefehl gegen Mursi erlassen. Gegen ihn wird nun offiziell ermittelt wegen des Gefängnisausbruchs kurz nach dem Beginn der Revolution gegen Hosni Mubarak im Januar 2011. Damals waren, vermutlich auf Anordnung des Regimes, mehr als 20 000 Gefängnisinsassen aus den Haftanstalten entwichen, deren Rückkehr auf die Straße die Bevölkerung einschüchtern und von weiteren Protesten abhalten sollte. Unter den Befreiten waren auch zahlreiche führende Mitglieder der Muslimbruderschaft, einer von ihnen Mohammed Mursi.