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MAINFRANKEN: Europäischer Depressionstag am 1. Oktober

MAINFRANKEN

Europäischer Depressionstag am 1. Oktober

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    ARCHIV - Eine Frau sitzt am 19.08.2015 bei verregnetem Wetter unter einem Regenschirm am Ammersee in Herrsching (Bayern). Foto: Matthias Balk/dpa (zu dpa "Der Herbst kommt: die schönen und die tristen Seiten" vom 31.08.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++
    ARCHIV - Eine Frau sitzt am 19.08.2015 bei verregnetem Wetter unter einem Regenschirm am Ammersee in Herrsching (Bayern). Foto: Matthias Balk/dpa (zu dpa "Der Herbst kommt: die schönen und die tristen Seiten" vom 31.08.2015) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Foto: Matthias Balk (dpa)

    Er ist der „bergische Jung“. Beim Kölner Karneval bringt Willibald Pauels Menschen zum Lachen. Irgendwann war es bei dem Clown vorbei mit der guten Laune. „Wenn dir das Lachen vergeht“ lautet der Titel seines gerade erschienenen Buches. Darin beschreibt Pauels, wie er seine Depression überwunden hat und seinen Umgang mit dem „schwarzen Hund“. Es sei sehr wichtig, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, auch offen über ihre Depression sprechen, sagt die Würzburger Professorin Katharina Domschke. Noch immer seien psychische Erkrankungen mit einem Tabu belegt. Für die stellvertretende Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums und Leiterin des Würzburger Bündnisses gegen Depression stehen Aufklärung und Prävention an erster Stelle. Zum Europäischen Depressionstag an diesem Donnerstag informiert Domschke über eine Volkskrankheit, über die in der Bevölkerung noch immer viel Unwissen und Irrtümer verbreitet sind.

    Viele Menschen leiden unter Depressionen. Dennoch reden viele nicht darüber. Warum ist das so?

    Psychische Erkrankungen sind immer noch mit einem Stigma behaftet. Bei organischen Erkrankungen zögern dagegen die wenigsten Menschen, zum Hausarzt zu gehen. Dabei ist es enorm wichtig, dass eine Depression frühzeitig behandelt wird. Viele Betroffene verschweigen jedoch lieber ihre Probleme und versuchen, selbst herumzulaborieren – was kaum gelingen kann. Noch besser ist es natürlich, wenn die Depression erst gar nicht zum Ausbruch kommt. Denn sie beeinträchtigt das Leben sehr.

    Wie verbreitet sind Depressionen?

    Die Zahlen sind alarmierend: In Deutschland erkranken jährlich etwa 4,9 Millionen Menschen, in Europa 30 Millionen; das entspricht einem Bevölkerungsanteil von sieben Prozent. Aufgrund einer hohen Dunkelziffer schätzt man die Gesamtzahl der Betroffenen sogar auf 50 Millionen. Depressionen zählen zu den zweithäufigsten chronischen Erkrankungen. Sie sind die teuersten Erkrankungen auf neuropsychiatrischem Gebiet. Das spiegelt sich auch im Gesundheitssystem in den hohen Arbeitsausfallkosten oder bei der Zahl der Frühverrentungen wider.

    Was sind die Erkennungszeichen einer Depression?

    Eine Depression hat viele Gesichter, sie kann sich schleichend entwickeln oder plötzlich auftreten. Unterschieden werden drei Hauptsymptome. Sie müssen mindestens zwei Wochen anhalten. Dazu zählt die Antriebslosigkeit. Schwer Depressive haben ein Morgentief und zum Beispiel nicht die Kraft aufzustehen, sich zu duschen oder die Haare zu waschen. Ein weiteres Hauptsymptom ist eine tief sitzende Interessen- und Freudlosigkeit: Betroffene kann nichts von ihrem Tief ablenken. Sie ziehen sich zurück, vernachlässigen Hobbys, sind leicht überfordert. Drittes Hauptsymptom ist Niedergeschlagenheit beziehungsweise Traurigkeit: Manche Depressive können aber nicht mal mehr weinen, sie fühlen sich innerlich leer, wirken wie versteinert.

    Gibt es neben den Hauptsymptomen auch Nebensymptome?

    Der häufig verwendete Begriff Nebensymptome wird der Schwere der Symptome nicht gerecht. Neben den Hauptsymptomen gibt es weitere häufige Erkennungsmerkmale, die die Beeinträchtigung durch die Erkrankung erheblich mitbedingen. Dazu zählen kognitive Symptome wie schwere Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen sowie Gedächtnisstörungen. Aber auch vegetative Symptome wie Rücken- oder rheumaähnliche Schmerzen, Gewichtsverlust, wenig Appetit, ausgeprägte Einschlaf- und Durchschlafstörungen können Anzeichen einer psychischen Erkrankung sein.

    Ebenso der Verlust der Libido. Unter psychomotorischen Symptomen versteht man nicht nur das In-sich-versunken-Sein, sondern auch die innere Unruhe. Betroffene sind nervös, getrieben, aber äußerlich starr. Sie sind wie ein Auto im Leerlauf – wenn man gleichzeitig aufs Gaspedal drückt, bewegt sich nichts.

    Über sexuelle Lustlosigkeit zu sprechen, ist für viele Menschen ebenfalls ein Tabu.

    Störungen in der Sexualität werden meist nicht mit einer depressiven Episode in Verbindung gebracht, sind aber entscheidende Symptome. Es ist deshalb wichtig, über das Tabuthema Libidoverlust zu reden. Wenn im Leben der Antrieb fehlt, dann auch im sexuellen Bereich. Das Gefühl der Liebe kann vermindert sein, dadurch auch die Kommunikation und der Kontakt zwischen den Partnern. Wenn die Depression nicht erkannt wird, dann gefährdet das die Partnerschaft sehr.

    Gibt es Unterschiede zwischen Depressionen bei Frauen und bei Männern?

    Es heißt, Frauen haben zwei- bis dreimal häufiger Depressionen als Männer. Ob das tatsächlich zutrifft, ist nicht eindeutig geklärt. Es gibt Hinweise, dass es bei Frauen biologische Risikofaktoren für eine Depression gibt, etwa Gene, die mit Östrogen interagieren. Auch nach einer Geburt kann es wegen hormonellen Belastungen zur postpartalen Depression kommen, zur sogenannten Wochenbettdepression. Dann empfinden Frauen keine Liebe für ihr Kind, aber große Schuld. Das lässt sich gut behandeln – man muss nur wissen, dass es so etwas gibt. Generell gesehen, sind Frauen eher bereit über ihre Gefühlslagen zu sprechen als Männer. Sie können beschreiben, dass sie niedergeschlagen oder antriebslos sind und gehen häufig auch damit zu ihrem Arzt. Männer beklagen eher Konzentrationsstörungen und Rückgang von Leistungsfähigkeit. Das Hilfe-Suchverhalten ist bei Männern auch anders. Sie reagieren auf depressive Verstimmungen oft mit Aggressionen, sie treiben mehr Sport oder trinken als Selbstmedikation Alkohol. Dann besteht zusätzlich die Gefahr einer Suchterkrankung.

    Wie hängen Suizide mit Depressionen zusammen?

    70 Prozent aller Suizide lassen sich auf Depressionen zurückführen. Das heißt im Umkehrschluss: 70 Prozent aller Suizide lassen sich verhindern, wenn die Depression erst gar nicht entsteht oder sie schnell behandelt wird. Der Gedanke an eine Selbsttötung kommt auf, weil bei einer schweren depressiven Erkrankung fast wahnhafte Überzeugungen entstehen können; etwa, dass man verarmt oder große Schuld hat. Darin zeigt sich der Ausdruck einer tiefen Verzweiflung. Aber auch in diesen schweren Fällen ist Hilfe möglich, um wieder Licht ins Dunkel zu bringen.

    Wie kommt es zu einer Depression?

    Die Depression ist zu etwa 30 bis 40 Prozent genetisch bedingt. Neben diesen biologischen Faktoren gibt es Umweltfaktoren, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Dazu gehören traumatische Erfahrungen, Stresssituationen wie ständiger Zeitdruck oder Mobbing am Arbeitsplatz, ebenso Arbeitslosigkeit beziehungsweise der Verlust der Tagesstruktur und Kontakte zu Kollegen, aber auch die Trauer über den Verlust eines nahen Angehörigen oder die Pflege eines behinderten Kindes. Ein anderer relevanter Risikofaktor ist ein verschobener Schlafrhythmus, etwa bei Schichtarbeit oder Jetlag bei häufigen Flugreisen.

    Auch Cannabis-Konsum kann Depressionen auslösen. Wenn man diese Risikofaktoren in seinem Leben identifiziert, wahrnimmt und annimmt, dann ist dies der erste Schritt, frühzeitig Symptome zu erkennen oder sogar bei rechtzeitiger Inanspruchnahme von Hilfe den Ausbruch einer Depression zu verhindern.

    Sind Depressionsgene bereits identifiziert und können „ausgeschaltet“ werden?

    Wir forschen an der Uniklinik, welche Gene Depressionen auslösen können, wobei wir nicht von Depressionsgenen sprechen können. Es müssen Hunderte Gene zusammenkommen, damit sie eine Depression auslösen. Erst ein paar davon sind identifiziert. Jedes dieser Gene erhöht das Erkrankungsrisiko nur um ein bis zwei Prozent. Bessere Aussagen kann man über klinisch-genetische beziehungsweise biologische Faktoren treffen. So ist die Wahrscheinlichkeit höher, an einer Depression zu erkranken, wenn man bereits eine Angsterkrankung hatte. Die Angsterkrankung ist die Zwillingsschwester der Depression.

    Wann handelt es sich um das Burnout-Syndrom, wann um eine Depression?

    Burnout ist nichts anderes als eine Depression, denn er hat die gleichen Symptome. Burnout bezeichnet eine Erschöpfungsdepression. Der Begriff wird jedoch leichter in den Mund genommen als das Wort Depression. Das liegt womöglich daran, dass das „Ausgebranntsein“ ja beinhaltet, dass jemand für etwas gebrannt hat, und dass er wieder entzündbar ist für etwas. Das ist ja im Grunde genommen etwas Positives, gerade für Menschen, die sehr leistungsorientiert sind. Wenn man Menschen in Führungspositionen jedoch sagt, sie haben eine Depression, dann fürchten sie den Gesichtsverlust. Gerade bei Männern geht das häufig einher mit dem Gefühl des Totalabstiegs.

    Gibt es neben diesen Risikofaktoren noch andere frühzeitige Erkennungszeichen für eine Depression?

    Aktuell wird an der Würzburger Klinik in enger Kooperation mit Haus- und Allgemeinärzten in Unterfranken eine von der Europäischen Union geförderte Studie geplant mit dem Namen „PREDICT“. Über einen einfachen neuropsychologischen Test – das Bewerten von emotionalen Gesichtsausdrücken – soll die Therapie einer Depression gesteuert werden.

    Zielgruppe sind dabei Menschen mit einem besonderen Fokus auf negative Reize. Sie scheinen ein erhöhtes Risiko für eine Depression zu haben. Wenn sich diese Studienergebnisse bewähren, können in Zukunft mit diesem Test eventuell sogar ein erhöhtes Risiko für eine Depression frühzeitig erkannt und in diesem Fall dann präventive Maßnahmen ergriffen werden, die das Entstehen der Erkrankung verhindern.

    Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

    Der erste Schritt ist der Besuch beim Hausarzt und die genaue Schilderung des Gemütszustandes. Bei leichteren Episoden genügt oft eine Krankschreibung, ein Urlaub, das Erlernen von Entspannungsübungen oder auch eine psychotherapeutische Behandlung. So bekommt man die Verstimmung schnell nach ein paar Wochen wieder in den Griff. Das ist in der Regel auch bei mittelschweren Depressionen der Fall. Die Therapie besteht aus einer durch einen Facharzt oder Psychotherapeuten begleiteten Therapie sowie Medikamenten. Schwere Depressionen können stationär für fünf bis sechs Wochen in der Klinik behandelt werden. Generell lautet die Botschaft: Es gibt erfolgreiche therapeutische Maßnahmen und Strategien gegen eine Depression.

    Noch besser ist es, sie zu vermeiden. Dazu gibt es verschiedene psychotherapeutische Methoden, die auch vorbeugend angewendet werden können – wenn Risikofaktoren bestehen oder um einen erneuten Ausbruch zu verhindern. 

    „Depressionen sind gut behandelbare Erkrankungen.“

    Professorin Katharina Domschke, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie


    Antidepressiva haben bei vielen Menschen einen schlechten Ruf.
    Antidepressive verändern die Persönlichkeit nicht. Sie machen weder manisch noch traurig und auch nicht abhängig. Antidepressiva sind chemische Substanzen, die gezielt und individuell differenziert eingesetzt werden. Die Wirkung tritt nach etwa zwei Wochen ein. Benzodiazepine gehören dagegen zu den Psychopharmaka, die abhängig machen. Sie werden deshalb nur kurzfristig bei Akutfällen und nur unter ärztlicher Kontrolle eingesetzt.

    Studien belegen, dass schwer depressive Patienten nicht angemessen behandelt werden, weil die Wartezeiten beim Arzt zu lange sind.

    Die schlechte Versorgungslage bei psychischen Erkrankungen ist lange bekannt. Vor allem auf dem Land ist die Situation dramatisch. Für psychisch Erkrankte ist allerdings eine wohnortnahe Behandlung für die Gesundung wichtig. Patienten sollten deshalb einen Hausarzt, Psychiater oder Psychotherapeuten in der Nähe haben.

    Bei Fachärzten sind die Wartezeiten allerdings oft nicht ganz so lange wie bei Psychotherapeuten. Die ungenügende Versorgungssituation lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass eine Depression nicht gut therapierbar ist. In der Mehrzahl der Fälle bekommt man sie laut Professorin Katharina Domschke exzellent in den Griff.

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