Es soll ein fröhlich-beschwingter Ausflug nach Funchal werden, der Hauptstadt der „Blumeninsel“ Madeira. In einem Restaurant erwartet die Urlauber ein Abendessen mit kulinarischen Spezialitäten der Region. Vom schmucken Hotel „Quinta Splendida“, das mit seinem üppigen botanischen Garten wirbt, bricht die Gruppe am frühen Abend mit einem Reisebus in das nur wenige Kilometer entfernte Lokal auf. Schon kurze Zeit später endet die Fahrt in einer Tragödie: Nach nur 300 Metern, in der ersten, abfallenden Linkskurve der Serpentinenstraße, kommt das voll besetzte Fahrzeug von der Straße ab, durchbricht ein Geländer, überschlägt sich und stürzt etwa acht Meter in die Tiefe.
Die Opfer kamen angeblich aus ganz Deutschland
Die furchtbare Bilanz: 29 Menschen – davon vermutlich 27 aus Deutschland – verlieren kurz vor Ostern ihr Leben. Fast genausoviele sind verletzt, einige sehr schwer. Der Fahrer und der Reiseleiter, beide aus Portugal, sind unter den Überlebenden. Sie müssen ebenfalls im Krankenhaus behandelt werden. Die Touristen haben die Reise bei dem deutschen Reiseveranstalter Trendtours Touristik GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main gebucht. Das Unternehmen bestätigt, dass 51 seiner Kunden in dem Unglücksbus saßen. Sie alle wollen auf der portugiesischen Insel ihren Osterurlaub verbringen. Die Gäste sollen zwischen 40 und 60 Jahre alt sein. Es habe sich nicht um eine feste Gruppe gehandelt, sondern um Urlauber aus ganz Deutschland, sagt eine Mitarbeiterin des Vier-Sterne-Hotels.
Der Reiseveranstalter zeigt sich erschüttert über die Tragödie. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern und deren Angehörigen“, heißt es in einer Mitteilung. „Wir stehen mit dem Auswärtigen Amt und anderen Behörden in Verbindung und haben bereits ein Unterstützungs-Team nach Madeira entsandt, um den Unfallopfern schnellstmöglich persönlich zur Seite zu stehen.“
Die Vulkaninsel gilt als Wanderparadies
Madeira ist noch ruhig in diesen Tagen, es ist Vorsaison. Aber es grünt und blüht bereits an allen Ecken – nicht umsonst begeistern sich vor allem Botanik-Fans für die Insel. Wegen des subtropischen Klimas herrschen das ganze Jahr über angenehme Temperaturen, die Vulkaninsel gilt als Wanderparadies. Mit der Algarve gehört Madeira zu den beliebtesten Urlaubsregionen Portugals. Schon Kaiserin Elisabeth von Österreich, besser bekannt als Sisi, wusste die klimatischen Vorzüge zu schätzen und weilte hier 1860 zur Lungen-Kur.
Zwei Tage vor Karfreitag aber gibt es auf Madeira Regenschauer, viel Wind und Temperaturen unter 20 Grad. Dieser Abend im April wird für die Urlauber zum Schicksalstag. Ihr Bus kommt nach dem Unfall erst in dem Moment auf der Seite liegend zum Stillstand, als er auf das rote Ziegeldach eines Wohnhauses prallt. Es steht zu dieser Zeit leer. Der Bewohner ist bei Verwandten – ein Glücksfall für den Mann. Zurück bleibt das eingestürzte Dach. An einer Wand unter dem klaffenden Loch ist ein Kreuz zu erkennen.
Augenzeugen des Unfalls stehen wie betäubt über der Böschung. Es sei eine „ohrenbetäubende Stille“ eingetreten, „ein Schrei aus Stille, wie in einem Schockzustand“, sagt Rita Castro, die das Geschehen nach eigenen Angaben aus der Nähe beobachtet hat, im portugiesischen Fernsehen. An einer Hauswand schräg gegenüber des Unfallortes sieht man Schrammen, die offenbar der Bus hinterlassen hat.
Der Fahrer erfahren, der Bus in gutem Zustand
Hat Fahrer José G. noch versucht, das außer Kontrolle geratene Fahrzeug gegen die Wand zu steuern, weil möglicherweise die Bremsen versagten? Der 55-jährige Busfahrer, der verletzt überlebte, gilt als sehr erfahren, sein fünf Jahre altes Gefährt soll sich in gutem Zustand befunden haben. Ein Alkoholtest beim Fahrer verlief negativ, berichtet die portugiesische Zeitung „Diário de Notícias“.
Auf einen technischen Fehler deutet auch die Aussage zweier deutscher Urlauber hin, die das Unglück weitgehend unverletzt überlebten: „Ich glaube, die Bremsen haben nicht funktioniert, ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen“, sagt Heinz Gaden gegenüber dem portugiesischen TV-Sender SIC. „Der Bus fuhr schneller und schneller und schlug gegen die Wand.“ Dann sei das voll besetzte Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen und in einer Kurve den Abhang hinuntergestürzt.
Eine andere Augenzeugin erzählt, der Bus sei „relativ langsam“ unterwegs gewesen, dann habe es einen lauten Knall gegeben. „Innerhalb von zehn Minuten waren Krankenwagen vor Ort“, sagt seine Frau und fügt tief betroffen hinzu: „Man kann nichts tun, man kann nur weinen.“. Mit Dutzenden Einsatzwagen rücken die Helfer an. Die Unglücksstelle wird weiträumig abgeriegelt. Verletzte werden geborgen und in Sicherheit gebracht, die Toten mit Tüchern bedeckt.
Dass das Ehepaar Gaden mit dem Leben davonkommt, haben die beiden offenbar auch jenen Sicherheitshinweisen zu verdanken, die ihnen die Stewardessen auf dem Hinflug nach Madeira für den Fall einer Notlandung gegeben hat. „Im Flugzeug sagten sie uns, was zu tun war. Wir kauerten uns zusammen wie die Babys. Und das war unser Glück“, sagt Brigitte Gaden. Zudem haben beide den Sicherheitsgurt angelegt; so wird verhindert, dass sie aus den Sitzen katapultiert werden, als der Bus sich überschlägt.
„Wir haben nur fünf Menschen im Bus geborgen“
Die meisten Fahrgäste haben weniger Glück. Antonio Escudo, Sprecher der Rettungskräfte, berichtet, dass die meisten Reisenden aus dem Bus herausgeschleudert worden seien, als dieser sich überschlug. „Wir haben nur fünf Menschen im Bus geborgen.“ Dies deute darauf hin, sagte Escudo, dass viele nicht angegurtet gewesen seien.
Caniço am Tag danach. Polizisten sichern Spuren am Unfallort. Sie suchen und sammeln Ausweise der Passagiere. Sicherheitskräfte kehren Scherben zusammen und versuchen, mitgerissene Strommasten wieder aufzurichten. Menschen stehen in der Nähe, haben Tränen in den Augen. Kränze und Blumengestecke liegen an der Stelle der abschüssigen Straße, an der der weiße Ausflugsbus die Böschung hinabstürzte. Das Unglücksfahrzeug ist bereits geborgen.
Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aufgenommen. Auch wenn manches auf ein Bremsversagen hinweist, werden andere Ursachen wie etwa überhöhte Geschwindigkeit nicht ausgeschlossen. Madeiras Vize-Regierungschef Pedro Calado warnt vor voreiligen Schlüssen und sagt, es gebe noch keine gesicherten Erkenntnisse. Das Transportunternehmen SAM, dem der Bus gehört, versichert, mit den Behörden zusammenzuarbeiten.
Das Reiseunternehmen Trendtours fliegt jetzt die Angehörigen der Opfer auf die Insel. „Erste Angehörige sind auf dem Weg nach Madeira und werden dort von den Fachkräften in Empfang genommen und unterstützt“, teilt der Reiseveranstalter am Freitag mit. Parallel werde der Rückflug für die reisefähigen Urlauber organisiert. „Wir haben für unsere Gäste ausreichend Flugkontingente organisiert, so dass jeder auf eigenen Wunsch nach Hause reisen kann.“
Vom Auswärtigen Amt heißt es, ein Flugzeug der Bundeswehr stehe für die Rückkehr der Verletzten bereit. Es werde eingesetzt, wenn ihre Heimreise sinnvoll und möglich sei. Im Moment aber würden die Verletzten noch im Hospital Dr. Nélio Mendonça in Funchal bleiben.
Außenminister Heiko Maas am Unfallort
Noch am Donnerstag ist Deutschlands Außenminister Heiko Maas nach Madeira geflogen. Am Unfallort im Ferienort Caniço legt er zusammen mit seinem portugiesischen Amtskollegen Augusto Santos Silva ein Blumengesteck nieder. Schweigend und mit starrer Miene blicken die beiden die Böschung hinunter, wo sie nur noch das beschädigte Haus sehen, das den Überschlag des Busses abgebremst hat.
Maas bestätigt, dass Beamte des Bundeskriminalamtes bei der Identifizierung der Todesopfer helfen. „Es ist eine sehr schwierige Arbeit, bei der keine Fehler gemacht werden dürfen.“ Nicht alle Verunglückten trugen zum Unfallzeitpunkt Ausweispapiere bei sich. Tomasia Alves, Sprecherin des Krankenhauses in der Inselhauptstadt Funchal sagt, man wolle versuchen, die Identifizierung an diesem Wochenende abzuschließen. Denn auch am Freitag ist noch nicht klar, ob alle 29 Tote Deutsche sind.
Örtliche Medien berichten, dass wenigstens ein portugiesischer Passant von dem außer Kontrolle geratenen Bus überrollt und getötet worden sein könnte. Von den Verletzten befanden sich am Freitag noch zwei auf der Intensivstation, elf weitere konnten inzwischen entlassen werden. Unter den Verletzten sind zwei Portugiesen: der Busfahrer und die örtliche Reiseleiterin.
Vom Glück der Verspätung
Die Deutschen Martina und Reinhard Ladewig bewahrte eine Fügung des Schicksals davor, am Hotel in den Unglücksbus einzusteigen. „Wir wollten die gleiche Tour mitmachen“, berichtet Ehemann Ladewig im TV-Sender RTL: „Wir sind etwas verspätet gekommen, weil meine Frau etwas länger für die Haare brauchte.“ Deswegen seien sie in einen zweiten Bus geklettert, der vor dem Hotel auf die Nachzügler wartete. Doch zur Abfahrt kommt es nach der Unfallnachricht nicht mehr. Ladewig: „Wir standen natürlich total geschockt da.“
Portugals Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa, der am Freitag zusammen mit Innenminister Maas an einer Trauerfeier für die Opfer teilnimmt, zeigt sich tief betroffen von der Tragödie. „Ich möchte im Namen aller Portugiesen den Familien der Opfer mein Beileid aussprechen.“ Es ist das schlimmste Unglück auf der Insel seit 2010, als nach einem schweren Unwetter Schlammlawinen mehr als 40 Menschen in den Tod rissen.
Nun also ein neuer Schock für die Blumeninsel, die für ihre Gastfreundschaft bekannt ist. Als Zeichen der Trauer werden die Fahnen auf Madeira bis Ostersonntag auf halbmast gesetzt.