Die Lage ist ernst, so ernst wie schon lange nicht mehr. Und Angela Merkel unternimmt erst gar keinen Versuch, irgendetwas zu beschönigen oder gar zu verharmlosen. Sie sei tief bewegt über den mutmaßlichen Abschuss des malaysischen Passagierflugzeuges über der Ostukraine und den Tod von 298 Menschen, sagt die Bundeskanzlerin gleich zum Auftakt ihrer traditionellen Pressekonferenz zur Sommerpause. „Unsere Gedanken sind bei den Opfern“. Eben habe sie mit ihrem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte telefoniert und ihm ihr Beileid ausgesprochen.
Und dann lässt sie keinen Zweifel aufkommen, dass dieser Vorgang nicht ohne Konsequenzen bleiben darf. „Es geht jetzt darum, dass schnellstmöglich eine unabhängige Untersuchung eingeleitet wird“, fordert sie, danach müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Ausdrücklich nimmt sie dabei auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Pflicht, ohne ihn direkt beim Namen zu nennen: „Es geht auch um die Verantwortung Russlands für das, was in der Ukraine vor sich geht.“ Der russische Präsident und die russische Regierung müssten ihren Beitrag dazu leisten, „dass es zu einer politischen Lösung kommt“.
Zum 18. Male in ihrer mittlerweile bald neunjährigen Kanzlerschaft stellt sich Angela Merkel am Freitag im bis auf den letzten Platz besetzten Saal der Bundespressekonferenz den Fragen der inländischen und ausländischen Hauptstadtjournalisten. Traditionell steht bei diesem Schlagabtausch die Innenpolitik im Mittelpunkt. Doch in diesem Jahr ist alles anders.
In einem Maße wie schon seit langem nicht mehr dominieren die Fragen zur Außenpolitik. Der Stand des deutsch-amerikanischen Verhältnisses nach den jüngsten Spionagefällen ist ebenso ein Thema wie der Ukraine-Konflikt und die Eskalation im Nahen Osten. Eindringlich wirbt die Kanzlerin für politische Lösungen dieser Konflikte. Weder in der Ukraine noch im Nahen Osten gebe es zum Dialog eine Alternative, auch wenn dies ein „schwerer Weg“ sei, der von den Konfliktparteien viel abverlange. Offen räumt Merkel ein, dass sich zwischen der EU und Russland ein tiefer politischer Graben aufgetan habe. „Wir haben tief greifende Meinungsverschiedenheiten mit Russland in der Frage der territorialen Integrität eines Landes“, sagt sie. Russlands Politik sei auf die Sicherung von Einflusssphären ausgerichtet. „Dieses Denken ist mir und ist uns in der Europäischen Union fremd.“
Gleichzeitig verhehlt Merkel nicht, dass die Beziehungen zu den USA als Folge der Spionageaffäre deutlich abgekühlt sind. Die Vertrauenskrise sei „nicht über Nacht“ zu lösen, vielmehr sei ein langer Atem notwendig. „Das Vertrauen kann nur durch Gespräche und bestimmte Absprachen wiederhergestellt werden.“ Gleichwohl würden die USA der wichtigste Partner Deutschlands bleiben, die Zusammenarbeit auch der Geheimdienste sei unverzichtbar. Dies sei allerdings eine Beziehung auf Gegenseitigkeit. Es gibt heute kein internationales Problem mehr, das ein Land alleine lösen kann – auch nicht die USA.“ Um Innenpolitik geht es auch, wenn auch nur am Rande. Merkel lobt die Arbeit der Großen Koalition. In den ersten acht Monaten hätten Union und SPD „sehr viel schon auf den Weg gebracht“, sagt sie mit Blick auf die EEG-Reform, das Rentenpaket, den Beschluss zum Mindestlohn und die Vorlage des ersten Haushalts ohne neue Schulden seit 46 Jahren. Gleichwohl gebe es noch viel zu tun, so weitere Reformen beim EEG, die Einführung der Pkw-Maut und die Umsetzung des Bildungspakets.
„Es geht auch um die Verantwortung Russlands für das, was in der Ukraine vor sich geht.“
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Den Forderungen nach einem Abbau der kalten Progression im Steuerrecht erteilt sie eine klare Absage. „Dafür gibt es keine Spielräume.“ Den Drohnen-Plänen von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sichert sie ihre volle Unterstützung zu. Und von weiteren Restriktionen bei Waffenexporten will sie nichts wissen. Die Richtlinien für Ausfuhren seien schon jetzt sehr streng.
Einen Tag nach ihrem 60. Geburtstag beendet die Kanzlerin auch alle Spekulationen über einen möglichen vorzeitigen Rücktritt im Laufe der Legislaturperiode. Sie habe bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst versprochen, für die ganze Legislaturperiode anzutreten. „Die Menschen in Deutschland können sich erst mal darauf verlassen, dass ich das, was ich ihnen gesagt habe, auch tue.“ Es sei noch nicht einmal das erste Jahr vorbei, zudem gebe es noch viel Arbeit zu tun. „Alles Weitere später.“ Wann das sei, lässt sie offen: „Mit Sicherheit nicht heute.“