Seit fast zehn Jahren ist die Bundeswehr nun schon im Einsatz am Hindukusch, und ebenso lange gibt es in der Öffentlichkeit Zweifel am Einsatz. Zuletzt hatte die Kritik an Schärfe gewonnen, da tut es den Soldaten offenbar besonders gut, wenn ihnen Bundespräsident Christian Wulff mit deutlichen Worten den Rücken stärkt. „Die deutsche Gesellschaft sollte Danke sagen und sich bewusst sein, was hier geleistet wird“, sagte Wulff am Montag bei seinem überraschenden Truppenbesuch in Masar-i-Sharif. Ziel aller militärischen und zivilen Anstrengungen müsse sein, „dass die Afghanen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen“, so der Bundespräsident. Bis Ende 2014 sollen die einheimischen Sicherheitskräfte im ganzen Land die Verantwortung von der NATO übernehmen.
„Die Zusammenarbeit mit der afghanischen Seite hat sich wesentlich verbessert“, sagt Bundeswehr-Oberst Peter Utsch. Der 54-Jährige aus dem unterfränkischen Eußenheim (Lkr. Main-Spessart) war bereits 2008 in Afghanistan und ist nun seit kurzem erneut als Kommandeur im Provincial Reconstruction Team (PTR) in Faizabad im Einsatz. Er befehligt rund 300 Soldaten in der Provinz Badakhshan, einer Region etwa so groß wie Niedersachsen. Das Gebiet ist gekennzeichnet von Hochgebirge, nur zu einem Drittel herrscht Zugang, die Straßen sind schlecht. In den vergangenen Tagen gab es die ersten intensiven Regenfälle seit langem, auf den über 3000 m hohen Berggipfeln zeigte sich der erste Schnee.
Richtiger Weg oder Vietnam-Trauma?
Mit seiner Einheit im Norden Afghanistans ist Utsch weniger an Kriegshandlungen beteiligt, die Aufgabe konzentriert sich vielmehr darauf, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden sowie den Aufbau von Armee und Polizei zu unterstützen. In Deutschland ist Utsch stellvertretender Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade 23 in Bad Reichenhall, jetzt hilft er mit, Afghanistan in den Frieden zu führen. Seine Erkenntnis: „Wir müssen uns Zeit nehmen für das Land“, sagt Utsch am Telefon. „Die Fortschritte bestärken mich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Aber ein Land mit dieser Vergangenheit ist nicht in zehn Jahren zu befrieden. Da bedarf es der Anstrengung einer Generation, bis zu 25 Jahre sollte man ansetzen.“
In Zukunft, so der Unterfranke, gehe es auch um die Glaubwürdigkeit deutscher Außenpolitik: „Die dürfen wir nicht aufs Spiel setzen, indem wir uns zu früh zurückziehen.“ Vor allem der ländliche Raum dürfe nicht vernachlässigt werden, „sonst wird das rasch wieder Aufmarschgebiet der Taliban“. Peter Utsch spricht sich dafür aus, den Einsatz über 2014 hinaus zu verlängern. Für sein Einsatzgebiet, die nordafghanische Provinz Badakhshan, sei es denkbar, zum beabsichtigten Datum „vielleicht einzelne Distrike an die Afghanen zu übergeben, aber noch nicht die Gesamtprovinz“, sagt der Oberst, „ein verfrühter Abzug deutscher Soldaten kann verheerende Auswirkungen auf die Sicherheit der ganzen Region haben“.
Allerdings herrscht auch innerhalb der Bundeswehr eine verschiedene Sichtweise, und jüngst erst hat einer von Utschs Kollegen intern für großes Aufsehen gesorgt. Während eines Podiumsgesprächs an der Evangelischen Akademie in Wittenberg hatte Oberst Michael Dederichs die deutsche Politik sowie das Spitzenmilitär hart kritisiert: Er habe das Gefühl, dass man dort „sein Großhirn nicht mit Detailkenntnissen plagt“, so der ehemalige Stabschef der deutschen ISAF-Truppen in Mazar-i-Sharif. „Wir müssten viel mehr Soldaten reinschicken, wir müssten viel mehr Geld reinstecken, wir müssten viel mehr zivile Expertise dort hinschicken. Aber man macht's nicht.“ Oft schon habe die Bundeswehr strategisch wichtige Gebiete freigekämpft, „dann aber nicht genügend Truppen gehabt, um sie halten zu können“.
Große Zweifel äußerte Dederichs auch am Aufbau der dortigen Armee: „Ich habe an der Effizienz und Glaubwürdigkeit der afghanischen Streitkräfte zumindest Bedenken – um es vorsichtig auszudrücken“, sagt der Militär der Zeitung, und wagte einen aufsehenerregenden Vergleich: „Ich sehe den Afghanistan-Einsatz heute ein bisschen so wie das Vietnam-Trauma in den USA.“ Der Einsatz sei halbherzig und müsse deshalb scheitern.
Oberst Peter Utsch zeigt sich „überrascht über die Wortwahl“ seines Kollegen, „auch wenn man natürlich auch als Betroffener den Einsatz kritisch sehen kann“. Es sei am Hindukusch nicht alles so, wie es sein könnte, „aber wir haben immer eine hohe Akzeptanz gespürt. Aber auch die Politik unterliegt Zwängen, das darf man nicht vergessen“, sagt der Eußenheimer, der selbst kommunalpolitisch bei den Freien Wählern aktiv ist. Gelernt hat er im Einsatz am Hindukusch vor allem, sich Zeit zu nehmen: Gastfreundschaft ist in Afghanistan ein hohes Gut, „und dazu gehört, dass man zuhört, dass man sich Zeit nimmt für den Gegenüber. Wer hier mit einer mitteleuropäischen Hektik auftaucht, hat schon verloren bevor das Gespräch begonnen hat“, sagt Utsch, unter dessen Leitung in der Region Badakhshan zahlreiche nachhaltige Projekte angestoßen wurden: Darunter der Bau einer Brücke über den Fluss Kokcha, die heute zahlreiche Dörfer miteinander verbindet.
Besucht hat der Familienvater bei seinem zweiten Einsatz am Hindukusch auch bereits das Provinzkrankenhaus in Faizabad, in dem die 36 vom Main-Spessart-Klinikum in Marktheidenfeld gespendeten Krankenbetten stehen. „Es freut mich, dass diese hier so viel Nutzen bringen“, sagt Utsch. Erst kürzlich eröffnete in dem afghanischen Krankenhaus eine Station für Frühgeborene.
Im Vergleich zu seinem ersten Einsatz vor drei Jahren sei in der Region eine stärkere alliierte Präsenz spürbar, das deutsche Kontingent allerdings ist deutlich kleiner geworden: Nur noch 300 statt damals 450 Soldaten sind vor Ort. „Wenn wir mehr hätten, täten wir uns leichter mit dem Ausbau einheimischer Sicherheitskräfte.“
Mit dem Besuch von Christian Wulff in der Region wird die Arbeit der Soldaten wieder ins Bewusstsein gerückt. Es war der erste Besuch eines deutschen Bundespräsidenten in Afghanistan seit 44 Jahren, Wulff traf in Masar-i-Sharif auch mit US-Soldaten zusammen. „Es war mir ein Bedürfnis, den Amerikanern zu danken“, sagte er, „viele deutsche Soldaten haben mir berichtet, dass sie nur deshalb noch leben, weil sie amerikanische Hubschrauber unter Beschuss aus Gefechtssituationen herausgeflogen haben.“
Bald schwebte der prominente Gast wieder der Heimat entgegen. Oberst Utsch bleibt noch fünf Monate in Afghanistan. Fünf Monate, in denen unter schwierigen Bedingungen ein Mandat erfüllt werden muss, über dessen Sinn in Deutschland erbittert diskutiert wird. Für Peter Utsch ist die Priorität klar: Das Wichtigste ist, sagt er, „dass alle Soldaten wieder gesund zu ihren Familien zurückkehren“. Mit Material von DPA
Bundeswehr in Afghanistan
22 Jahre lang herrschten in Afghanistan Krieg und Bürgerkrieg. Bis heute leidet das Land unter den Folgen wie schweren Zerstörungen, Verminung ganzer Landstriche, ethnischen Spannungen und organisierter Kriminalität. Die International Security Assistance Force (ISAF) unterstützt auf Basis eines UN-Mandates die afghanische Regierung bei der Herstellung der inneren Sicherheit und der Menschenrechte. Der Einsatz der ISAF erfolgt auf der Grundlage der Resolution 1386 des UN-Sicherheitsrates vom 20. Dezember 2001. Der Deutsche Bundestag hat dem ISAF-Einsatz der Bundeswehr erstmals am 22. Dezember 2001 zugestimmt. Bislang starben beim Einsatz in Afghanistan 52 Bundeswehr-Soldaten.