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Frisuren in Rekordzeit

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Frisuren in Rekordzeit

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    Warum musst du denn noch lernen, Mama?“, fragt Steffis Tochter Stella alle paar Tage wieder. „Du kannst doch schon alles.“ Da seufzt Steffi. Sie weiß, dass sie viel kann. Aber alles?

    Da ist zum Beispiel die Sache mit der Tür. Wer geht zuerst? Steffis Dame, eine langwimprige, auftoupierte Blondine im tief dekolletierten, türkisen Kleid, schwarzen Lederjäckchen und hochhackigen, schwarzen Lederstiefeln? Oder Steffi selbst, im braven blauen Pullover? „Das müssen Sie schon selber entscheiden“, sagt die knallrot gefärbte Kursleiterin Helga Büttner, die alle Aktionen der Kandidatinnen mit kritischem Blick verfolgt und per Videokamera aufnimmt. Steffi entscheidet sich dafür, als Erste durch die Türe zu gehen. Kursleiterin Büttner nickt leicht. „Und Sie sind?“, fragt Büttner. „Steffi Pfeifer, Spiegelnummer 7“, sagt Steffi. „Ich möchte Ihnen mein Projektmodell vorstellen mit dem Thema Rock'n Roll.“

    Sanft greift sie in die Haare der Rock'n Roll-Biene, reibt eine üppigst mit Haarspray gehärtete Strähne der Blondine zwischen Daumen und Zeigefinger: „Platin, mit zwölf Prozent heller gefärbt“, beginnt Steffi, „vorne unter dem langen asymmetrischen Pony habe ich eine türkise Strähne im Untergrund gemacht; und hinten auf den beiden Seiten – auch im Untergrund – weitere türkisfarbene Strähnchen, um die türkise Farbe wieder aufzugreifen.“ Während Steffi sie vom Haaransatz bis in die Spitzen beschreibt, von den falschen Wimpern bis zu den rot bemalten Lippen, vom türkisen Tattoo auf der Wange bis hin zu angeklebten und angemalten Fingernägeln, steht die Blondine stumm herum, darf kein Strähnchen ändern, darf höchstens lächeln. Blondie ist ganz und gar Steffis Werk. Ihre Projektarbeit. Quasi ihr Meisterstück, mit dem Steffi die Friseurinnen-Meisterprüfung, auf die sie jetzt seit zwei Jahren hinarbeitet, bestehen will. Rund 35 ambitionierte Männer und Frauen stellen sich jedes Jahr dieser Prüfung vor der Handwerkskammer Würzburg-Schweinfurt. 16 davon machen den Meister in Teilzeit – wie Steffi.

    „Wahnsinn! Warum tust du dir das an?“, fragen gelegentlich Freundinnen oder Kundinnen. Nicht dass Steffi schlechte Chancen hätte, die Prüfung zu bestehen – im Gegenteil. Schon die Note ihrer Gesellenprüfung war so gut, dass sie für den Teilzeitmeisterkurs, den sie besucht, ein Nachwuchsstipendium erhalten hat und deswegen die 3865 Euro betragenden Meisterkurs-Gebühren erlassen bekommt. Und obwohl erst 26 Jahre alt, hat Steffi auch ein realistisches Bild von der Arbeit, die als Meisterin auf sie zukommt – sie hat ihre Mutter als Vorbild. Die Mutter, Ursula Seeger, führt einen Friseurladen in Würzburg-Heidingsfeld – einen Laden, in dem noch „Kaffee“ angeboten wird statt „Moccaccino“ und in den Stammkundinnen eher zum Waschen und Legen kommen als zum Färben türkiser Strähnchen. Zwischen Spiegeln und Waschbecken, zwischen Trockenhaube und Kasse ist Steffi groß geworden – genau wie ihre Tochter Stella jetzt. „Die Frau Schmidt, die wird doch sonst nie gewaschen“, kräht Stella zur Erheiterung der Kundinnen, als ihre Mutter die Frau Schmidt zum Waschbecken bittet. „Stella!“, sagt Steffi, leicht beschämt, „jetzt zähl noch mal die Lockenwickler; dann kommt gleich die Uroma und holt dich ab.“

    Sprühen, bis die Modelle leiden

    Stella allein kann schon anstrengend sein; aber Steffi hat auch noch die einjährige Kim. Zwei Töchter, die Arbeit im Salon, die Meisterschule, die Prüfungsvorbereitung – der Druck, unter dem Steffi steht, ist groß. „Wir haben vor einiger Zeit einen neuen Salon in Bütthard eröffnet“, sagt Steffi, „und um den Salon zu führen, brauchen wir einen Meister. Finanziell ist das natürlich sinnvoller, wenn ich den Laden führe, anstatt dass wir einen Meister bezahlen.“ So gesehen hängt an Steffis Meisterplänen das finanzielle Wohlergehen der Familie.

    Haarspray hängt dick im Raum. 16 angehende Meisterinnen scheiteln, gelen, kämmen, sprühen, was das Zeug hält; lassen Föhne röhren und Modelle leiden: „Oh Gott, ich hab' was im Auge“, jammert Steffis Modell. „Keine Angst, das ist nur der Dampf von dem Kleber“, sagt Steffi unaufgeregt und fährt damit fort, mit der Pinzette Strasssteinchen aufzupicken, den Klebstoff aufzutragen und die Steinchen auf die Haut des Modells zu pappen. Seit sechs Stunden steht sie nun schon an ihrem Frisierplatz; dort hat sie zwei Herren die Haare geschnitten; sie hat einem Modellkopf Haare samt Haarteil kunstvoll aufgesteckt und gefärbt, hat außerdem eine Dame manikürt, geschminkt und dauergewellt. Blöderweise haben die Haare des Dauerwellen-Modells anders reagiert als erwartet; sie haben sich nicht so schnell gelockt wie sie sollten – jetzt muss Steffi Zeit gutmachen. Kurzer Blick zu den Mitstreiterinnen: Melanie Müller vom „Spiegelplatz“ nebenan hat ihr Projektmodell schon in eine Venezianerin verwandelt – sie drückt der Edlen gerade die schwarze Maske zwischen die Finger und schiebt sie neben einen gegelten Schönling, der den Venezianer mimt. Überm Gang wartet – erkennbar am Krönchen – ein ganz in Lindgrün gehaltenes, fix und fertig frisiertes Weinprinzenpaar auf seine Präsentation. Und Sandras Haare stecken noch in Lockenwicklern! Steffi muss sich jetzt wirklich ranhalten.

    Sandra Hermentin ist Steffis Cousine. Von Natur aus ist Sandra eigentlich aschblond. Platinblond glänzt sie nur deshalb, weil Steffi seit Monaten an ihrem dicken, dichten Haar die prüfungsrelevanten Färbetechniken übt. Damit die Projektfrisur haargenau in Minimalzeit gelingt, hat Sandra Steffi viele Übungssamstagnachmittage geschenkt: Gefärbt werden statt ausgehen – was für ein Leben. „Wir sind zu nah verwandt, als dass ich hätte Nein sagen können“, sagt Sandra; sie tut gottergeben – aber sie grinst. Die Cousinen hatten beim Üben schon ihren Spaß. Jetzt aber bleibt keine Zeit für Witze, jetzt läuft die Zeit gleich ab. Steffi zieht Sandras Haare noch schnell mit der Bürste glatt, wirft den Fön an, nebelt Sandra mit Haarspray ein. „Taschentuch!“, keucht Sandra, tupft aus den gereizten Augen ein Tränchen.

    Strähnchen im Schlaf

    Und dann treten die beiden Cousinen durch die Tür: Erst Steffi mit herabhängenden braunen Haaren im braven blauen Pullover, dann ihre Dame: Sandra als blonder Rock-'n'-Roll-Traum. Was sie mit den Haaren ihrer Blondine gemacht hat, hat Steffi bereits erklärt, sie erläutert jetzt die Schminktechnik, das Nageldesign. Und dann muss sie sogar die Frisur des männlichen Rock-'n'-Roll-Modells beschreiben, das zur Generalprobe gar nicht aufgetaucht ist.

    Steffis Leistung? „Wäre von der Präsentation her eine Eins gewesen“, sagt Kursleiterin Büttner. Schade, dass heute nur Generalprobe war. Morgen wird noch mal am Modellkopf geübt; übermorgen werden die Meisterinnen in spe ihre Präsentation auf Video angucken, um Fehler bei der Meisterprüfung zu vermeiden. Und bald ist wirklich Prüfung. Das männliche Rock'n-Roll-Modell wird dann hoffentlich erscheinen. Sandra bleibt bis dahin platinblond; Steffi übt vermutlich noch im Schlaf türkise Strähnchen. Und Stella sagt: „Aber Mama, warum lernst du denn noch? Du kannst doch schon alles!“

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