Die scharfen Sicherheitsvorkehrungen rund um den G-20-Gipfel im südtürkischen Antalya vergangene Woche haben einen unerwarteten Nebeneffekt gehabt. Wie erst jetzt bekannt wurde, brachte eine Straßenkontrolle während des Gipfels die türkische Polizei auf die Fährte eines mutmaßliche Extremisten des Islamischen Staates (IS), der zu den Helfern der Attentäter von Paris gehört haben soll. Der Fall in Antalya wirft ein Schlaglicht auf den Pendelverkehr einiger IS-Mitglieder zwischen Europa und Syrien – mit der Türkei als Hauptknotenpunkt.
Bei der Straßenkontrolle am vergangenen Montag stoppten türkische Polizisten einen Wagen mit zwei syrischen Insassen, die den gefälschten Pass eines dritten Mannes bei sich hatten. Durch ein Verhör und durch die Untersuchung der Textnachrichten auf den Handys der Verdächtigen erfuhren die Beamten, dass die beiden Syrer eine Art Willkommens-Delegation für einen aus Europa angereisten Islamisten darstellten: Sie wollten den 26-jährigen Ahmad Dahmani, einen Belgier marokkanischer Abstammung, in Antalya abholen und nach Syrien geleiten.
Dahmani wurde wenig später in einem Luxushotel gefasst. Er soll mit den Attentätern von Paris in Kontakt gestanden haben. In einigen Presseberichten wird er als Tatort-Kundschafter der Terroristen bezeichnet, die am 13. November an mehreren Stellen der französischen Hauptstadt losschlugen. Dahmani reiste einen Tag nach dem Massaker von Amsterdam aus in die Türkei. Inzwischen sitzen er und die beiden Syrer in Untersuchungshaft. Frankreich soll die Auslieferung des Belgiers beantragt haben.
Nicht nur Dahmani machte sich die Reisefreiheit für Europäer in der Türkei zunutze. Der französische IS-Extremist Omer Ismail Mostefei, der ebenfalls an den Anschlägen von Paris beteiligt war, reiste nach Angaben der Regierung in Ankara vor zwei Jahren in die Türkei ein und später auf bisher noch ungeklärte Weise wieder in die EU ein.
IS-Mitglieder wie Dahmani und Mostefei können sich mit ihren EU-Pässen bequem mit dem Flugzeug zwischen der EU und der Türkei hin und her bewegen. Antalya gehört zu den häufigen Zielen von IS-Kämpfern, die hoffen, in der Anonymität der jährlich rund zwölf Millionen Urlauber in der Stadt unentdeckt zu bleiben. Zwar liegt Antalya 500 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, doch meiden IS-Mitglieder wegen der Polizeiüberwachung türkische Flughäfen in Grenznähe.
Auch der Landweg wird benutzt: Im März vergangenen Jahres gerieten der Deutsche Benjamin Xu, der Schweizer Cendrim Ramadi und der Mazedonier Mohammed Zakiri mit ihrem Wagen in Zentralanatolien in eine Straßenkontrolle der Polizei. Das Trio war auf dem Rückweg von Syrien in die EU. An der Straßensperre eröffneten die IS-Mitglieder das Feuer und töteten drei Menschen. Sie stehen derzeit vor Gericht.
Andere IS-Extremisten mischen sich unter die syrischen Flüchtlinge, die zu Tausenden über die Ägäis nach Griechenland fahren. Nach französischen Angaben gelangten zwei Attentäter von Paris über die Türkei und Griechenland nach Frankreich.
Die türkischen Behörden haben nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren mehrere Tausend mutmaßliche IS-Sympathisanten aus dem Ausland abgefangen. Allein in den vergangenen Wochen wurden fast 50 Marokkaner, die auf dem Weg nach Syrien per Flugzeug in Istanbul ankamen, wieder nach Hause geschickt. Der US-Geheimdienst CIA schätzte im vergangenen Jahr, dass Ausländer rund die Hälfte der IS-Kämpfer stellen.
Aus türkischen Regierungskreisen verlautete am Wochenende, derzeit stünden die Namen von 26 600 Menschen auf einer schwarzen Liste von Terrorverdächtigen, denen automatisch die Einreise verweigert wird. Die allermeisten Namen auf der Liste stammen von den Behörden jener Länder, aus denen die Verdächtigen stammen.
Doch reibungslos verläuft die Zusammenarbeit keineswegs. Immer wieder wirft die Türkei ihren europäischen Partnern vor, zu wenig oder zu spät über die Reisen mutmaßlicher IS-Mitglieder zu informieren. Allerdings wissen die europäischen Sicherheitsbehörden häufig nicht, dass sich Verdächtige Richtung Türkei abgesetzt haben. So kann ein deutscher IS-Anhänger ohne Grenzkontrollen nach Amsterdam, Brüssel oder Paris reisen und von dort aus nach Istanbul oder Antalya fliegen.