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BAIKONUR: Gersts Himmelfahrt an Himmelfahrt

BAIKONUR

Gersts Himmelfahrt an Himmelfahrt

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    Ein Bild wie aus einem Science-Fiction-Film: Die Sojus TMA-13M mit Alexander Gerst an Bord hebt in Baikonur ab zur Internationalen Raumstation ISS.
    Ein Bild wie aus einem Science-Fiction-Film: Die Sojus TMA-13M mit Alexander Gerst an Bord hebt in Baikonur ab zur Internationalen Raumstation ISS. Foto: Foto: KIRILL KUDRYAVTSEV, dpa

    Der Raketenstart des deutschen Astronauten Alexander Gerst ins Weltall ist wie ein plötzlicher Sonnenaufgang – mitten in tiefer Nacht über der zentralasiatischen Steppe. Auf einem grellen Feuerschweif stemmt sich die Sojus aus der Rampe in den Himmel über Baikonur. Die gewaltige Schubkraft stößt den trägen Koloss immer höher in Richtung Orbit. Erst jetzt walzt auf die zwei Kilometer entfernte Zuschauertribüne der Krach der Triebwerke zu, die in einem Feuersturm fast 300 Tonnen Treibstoff verbrennen. Die Sojus wird schneller und schneller und verschwindet als heller Punkt über Kasachstan – eine Rauchwolke im Sternenlicht zurücklassend.

    Acht Stunden später tritt Himmelfahrer Gerst seinen Dienst auf der Internationalen Raumstation ISS an – am Feiertag Christi Himmelfahrt. Als nach der Ankunft der Sojus die Luken geöffnet werden, schwebt der Geophysiker mit seinen Kollegen Maxim Surajew aus Russland und Reid Wiseman aus den USA lachend herüber auf den Außenposten der Menschheit.

    „Der Blick auf die Erde ist super“, sagt Gerst in einer ersten Videokonferenz aus gut 400 Kilometern Höhe. „Der Flug war fantastisch. Ich kann es noch nicht glauben, es ist wie im Traum“, sagt er bei der Live-Schaltung zum Weltraumbahnhof Baikonur. Gerst ist der elfte Deutsche im All und nach Thomas Reiter und Hans Schlegel der dritte Deutsche auf der ISS. Während seiner 166 Tage langen Mission soll er zahlreiche Experimente betreuen und mindestens einmal zu einem Außeneinsatz ins All aussteigen. „Ich denke, dass es einen Menschen generell verändern muss, wenn er dort oben war“, sagt der 38-Jährige. Sein Anfang im All wird weniger pathetisch. „Raumfahrerrealität: Meine allererste Aufgabe an Bord der Station wird das Auswechseln des Urinbehälters der Toilette sein“, schreibt er in einem Internetblog.

    Die Gelegenheit, den Blick auf die Erde in gut 400 Kilometern Höhe zu genießen, wird Gerst nur in seiner Freizeit haben. Das Programm ist eng. Der Forscher aus Künzelsau (Baden-Württemberg) soll unter anderem den Alterungsprozess der Haut beobachten, einen europäischen Raumtransporter einparken und Kinderfragen in der „Sendung mit der Maus“ beantworten. Dafür werde er gerne zum „Maustronauten“, sagt der Raumfahrer mit dem kahlgeschorenen Schädel. Sein Kindheitstraum sei schließlich Astronaut gewesen – und gehe jetzt in Erfüllung.

    „Blue Dot“ („Blauer Punkt“) hat Gerst seine Mission getauft. Das bezieht sich auf den US-Astrophysiker Carl Sagan, der die Erde aus dem Weltraum als „pale blue dot“ („blassblauen Punkt“) bezeichnete. „Die Raumfahrt ermöglicht uns, die Erde aus einer anderen Perspektive zu sehen – letztendlich ist unser Planet nur eine Kugel aus Stein, ein kleiner blauer Punkt im All – mit uns als Passagieren. Insofern sind wir alle eigentlich Astronauten“, sagt Deutschlands Mann im All.

    „Sobald ich auf etwas stoße, was ich nicht sofort verstehe, bin ich interessiert. Und der Weltraum ist eben das Größte um uns herum, das wir nicht verstehen“, erzählte Gerst vor dem Abflug. Der studierte Vulkanologe versteht seine Reise zu den Sternen durchaus als gesellschaftspolitische Mission. Inmitten der Ukraine-Krise wirbt er für mehr internationale Zusammenarbeit im Kosmos. „Wir fliegen als Mannschaft in den Weltraum, nicht als Vertreter einzelner Staaten“, unterstreicht er. Russland hatte angekündigt, ab 2020 nicht mehr am ISS-Projekt mitarbeiten zu wollen – und damit auch bei der deutschen Raumfahrtlegende Sigmund Jähn Kopfschütteln ausgelöst. „Wir haben hier drei Männer aus drei verschiedenen Staaten mit einem einzigen Ziel: Sie wollen gemeinsam in den Weltraum fliegen“, sagt Jähn, der 1978 von Baikonur aus als erster Deutscher ins All geflogen war. „Das aufs Spiel zu setzen, wäre das Dümmste, was passieren könnte, allein schon aus Gründen der Völkerverständigung“, meint der 77-Jährige, der zum Start von Gerst nach Kasachstan kam.

    Raumfahrer waren oft Kampfflieger und Ingenieure, weil ihnen Technik naheliegt. Gerst ist Wissenschaftler. Er hat in Karlsruhe Geophysik studiert und forschte an der Universität Hamburg. „Wenn das mit der Bewerbung als Astronaut nicht geklappt hätte, wäre ich wohl nach Alaska gezogen, um Vulkane zu erkunden“, sagte er. Für seine Doktorarbeit über den antarktischen Vulkan Mount Erebus harrte er sechs Wochen lang bei minus 45 Grad Celsius aus. „Dort habe ich erstmals erlebt, was Einsamkeit wirklich bedeutet.“

    Nach der Ankunft der Sojus rasen nun sechs Menschen in der ISS um die Erde: drei Russen, zwei US-Amerikaner und Gerst. Über ein Thema wird die Besatzung sicher leidenschaftlich diskutieren – die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Wiseman neckte Gerst vor kurzem, als die USA Deutschland im Eishockey schlugen. Dieser blieb die Antwort nicht schuldig: „Gratuliere, aber warten wir den 26. Juni ab.“ Dann spielt Deutschland bei der WM gegen die USA – und vielleicht interessiert Gerst die Lederkugel dann zumindest kurzzeitig mehr als der blassblaue Punkt.

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