Schwere Stahltüren, die sich quietschend öffnen. Drahtige Schweizergardisten, die geheime Codes in elektronische Türschlösser eingeben. Ein buckliger Bibliothekar, der einen schweinsledernen Band aus dem Regal zieht und den Staub vom Umschlag bläst. Forscher, die hinter klimatisierten Panzerglasvitrinen geheime Codes auf Pergament entziffern. All das kommt in den durch Abenteuerromane gespeisten Vorstellungen über das Vatikanische Geheimarchiv vor, nur wenig davon auch in seiner Wirklichkeit.
Um in das Archivum Secretum Vaticanum zu gelangen, wie das Archiv offiziell heißt, passiert man als angemeldeter Gast den Wachposten der Schweizergarde an der Porta Sankt Anna. Dann spaziert man an der vatikanischen Hauptpost, der Vatikanbank und der päpstlichen Feuerwehr im Belvedere-Hof vorbei. Hier betritt man an der Nordseite des Hofes den Apostolischen Palast durch eine schwere, mit Intarsien verzierte Holztür. Sperrangelweit steht sie offen – ein Zeichen dafür, dass der Vatikan mehr Wert auf eine Öffnung zur Außenwelt legt?
Die jüngsten Skandale in der Kirche haben die Männer der Kurie dazu bewogen, etwas an der Außendarstellung ihrer Behörde zu ändern. Vor kurzem wurde ein Kommunikationsberater für das Staatssekretariat eingestellt, die Vatikanbank hat sich auf ihre Transparenz von Experten des Europarates durchleuchten lassen. Immer häufiger werden auch Journalisten in die mysteriösen Gemächer vorgelassen. Imageverbesserung und Entmystifizierung stehen zurzeit ganz oben auf der vatikanischen To-do-Liste.
Fundgrube für Wissenschaftler
Das Archivium Secretum Vaticanum bietet sich da schon wegen seines Namens an. Wobei das lateinische „secretum“ ursprünglich weniger das Geheime, sondern nur bezeichnen sollte, dass es sich um das private Archiv des Papstes handelte. So erklärt es der Archivar Alfredo Tuzi, der in der Sala Leo XIII. die Gäste „im Namen seiner Exzellenz“, Archivleiter Sergio Kardinal Pagano, begrüßt. Hier stehen in hohen Metallregalen Aktenverzeichnisse, das Licht ist gedimmt. Hinter Tuzis Rücken, am Ausgabetisch, ist das Tippen eines jungen Bibliothekars zu hören, der Daten in einen modernen Computer eingibt. In einem Seitenraum sieht man konzentrierte Forscher, die in dicken Wälzern blättern oder Handschriften studieren. Es riecht nach altem Papier.
Hier, im Saal der Indices, der seinem Aussehen nach in jede bessere Staatsbibliothek passen würde, beginnt die Schatzsuche für die 1500 Wissenschaftler aus etwa 60 Ländern, die jedes Jahr das Geheimarchiv aufsuchen, das so geheim gar nicht mehr ist. Seit 1881 ist das Archiv nicht nur dem Papst und Mitarbeitern der Kurie zugänglich, sondern auch Universitätsforschern, die ein überzeugendes wissenschaftliches Anliegen präsentieren.
Der gegenwärtige Papst und Dan Brown wurden hier noch nicht gesichtet, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Benedikt XVI. hat seine Handlanger, der Bestsellerautor („Illuminati“) seine überbordende Fantasie. Außerdem sind die 85 Regalkilometer des Archivs für den zuletzt über Jesus von Nazareth forschenden Joseph Ratzinger von geringem Interesse, die ersten Dokumente stammen nämlich erst aus dem 9. Jahrhundert nach Christus. Vor genau 400 Jahren wurde es von Paul V. in der Engelsburg als Sammlung aller päpstlichen Dokumente gegründet. Heute umfasst es insgesamt 650 Teilarchive. Vatikan-Historiker sind sich deshalb sicher, dass es sich beim Geheimarchiv um das „weltweit wichtigste Zentrum für historische Recherchen“ handelt.
Tatsächlich können Wissenschaftler mit den anerkennenden Blicken ihrer Kollegen rechnen, wenn sie von ihrer Zulassung zum Archivio Segreto berichten. Sitzen sie dann aber erst einmal im Index-Saal, vergeht vielen das Lachen. Einen Zentralkatalog gibt es nicht, die 48 bereits digital erfassten Terabyte sind im Vergleich zur gesamten Archivmasse nur der Anfang. Wer etwa Dokumente über die Vorbereitung der Entdeckungsreisen von Christoph Columbus sucht, der könnte folgendermaßen vorgehen, erläutert Archivar Tuzi: Man schlägt den Schedario Garampi auf, ein aus kaum lesbaren Notizzetteln des 18. Jahrhunderts zusammengeklebtes, meterdickes Inhaltsverzeichnis, blättert zu den Einträgen, die Papst Innozenz VIII. (1484 bis 1492) und dessen Korrespondenz mit dem damaligen Nuntius in Spanien betreffen. „Dann geht es weiter“, sagt Tuzi.
55 Mitarbeiter auf der Suche
Das bedeutet, dass ein Archivar den entsprechenden Dokumentenstapel sucht und dem Forscher in den Lesesaal, die Sala Pio XI. bringt. Dabei ist nicht gesagt, dass der Stapel auch wirklich auffindbar ist. Aus Personalmangel sollen früher sogar die in botanischen Fragen durchaus qualifizierten vatikanischen Gärtner bei der Archivarbeit beteiligt gewesen sein. Außerdem gingen Dokumente verloren, als Napoleon das Archiv 1810 plündern ließ und nach Paris entführte. Heute tun 55 Mitarbeiter ihr Möglichstes, um Faszikel, Epistel und Breven aus zwölf Jahrhunderten aufzufinden.
Nicht selten kommt es zu Zufallsfunden. Eine deutsche Historikerin hielt vor nicht langer Zeit plötzlich den päpstlichen Freispruch für die Tempelritter von 1308 in den Händen. Schätze wie dieser sind in der Ausstellung Lux in Arcana in den Kapitolinischen Museen in Rom zu sehen, die am Wochenende zu Ende geht. Auch diese Schau ist Teil der neuen Öffentlichkeitsstrategie des Vatikans. Diese Zeugnisse lagern sonst im klimatisierten Pergamentsaal oder in den zwei Stockwerken des sogenannten Bunkers. Er befindet sich direkt unter dem für Besucher der Vatikanischen Museen zugänglichen Hof des Pinienzapfens („Cortile della Pigna“) und entschädigt diejenigen ein wenig, die sich das Archiv so vorgestellt haben, wie es Dan Brown beschreibt.
Hinter einer weinrot lackierten Brandschutztür tut sich ein 200 Meter langer, von Regalen gesäumter Gang auf. Die Wände sind aus grauem Stahlbeton, die Decken niedrig und mit Halogenleuchten versehen, auf dem Boden weisen gelbe Markierungen den Weg. Hier lagern alte Briefsammlungen, dicke Lederbände mit der Korrespondenz des Staatssekretariats. Diese Dokumente gehören zu dem Teil des Archivs, der noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist.
Derzeit bereiten die Archivare die Dokumente aus der Zeit Pius XII. (1939-1958) vor, die in zwei bis drei Jahren zugänglich gemacht werden sollen. Wissenschaftler erwarten sich dann Aufschluss über die umstrittene Rolle des Vatikans während der Nazizeit. Trotz aller Öffentlichkeitsarbeit bleibt der Vatikan hier seiner traditionellen Linie treu: Wann der Zeitpunkt zur Öffnung der teilweise brisanten Dokumente gekommen ist, entscheidet immer noch der Papst.