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In Südrussland wächst die Terrorangst

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In Südrussland wächst die Terrorangst

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    Bild des Grauens: Ein vom Innenministerium veröffentlichtes Foto nach dem Busanschlag von Wolgograd lässt die Zerstörungskraft der Bombe ahnen.
    Bild des Grauens: Ein vom Innenministerium veröffentlichtes Foto nach dem Busanschlag von Wolgograd lässt die Zerstörungskraft der Bombe ahnen. Foto: Foto: dpa

    Den neuerlichen Anschlag von Wolgograd mit vielen Toten empfinden viele Russen vor den Olympischen Spielen als eine „Kriegserklärung“ an den Kreml. „Zeit und Ort sind bewusst gewählt – die Terroristen wollen im ehemaligen Stalingrad, Russlands Schicksalsstadt, dem Kreml vor seinem Prestigeprojekt Olympia die Stirn bieten“, sagt der Politologe Gleb Pawlowski.

    Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden erschüttert ein Anschlag die Stadt Wolgograd: Ein Selbstmordattentäter reißt mit einer Bombe in einem voll besetzten Bus mindestens 14 Menschen mit in den Tod. Wie am Vortag, als ein Sprengsatz im örtlichen Bahnhof detoniert, führt die Spur der Bluttat zu Islamisten in den Nordkaukasus.

    Kremlchef Wladimir Putin kündigt nun eine harte Offensive an. Doch schon jetzt tobt in der bergigen Vielvölkerregion ein mörderisches Ringen. Kaum ein Tag vergeht in dem Gebiet rund 2000 Kilometer südlich von Moskau ohne Meldungen über Gefechte zwischen Kremleinheiten und Extremisten.

    Die Lage im russischen Kernland galt lange als stabil – bis zum Beginn einer Anschlagsserie vor vier Jahren. Seitdem wurden vor allem Transportmittel zum Ziel der Extremisten. Auf sie sind die Menschen im größten Land der Erde aufgrund der oft weiten Entfernungen besonders angewiesen. Sprengsätze explodierten in Moskau in einem Flughafen und in der Metro, in Wolgograd im Bahnhof, im Bus und am Gleisbett des Luxuszugs „Newski Express“ zwischen Moskau und St. Petersburg. Hinter vielen Anschlägen vermutet der Inlandsgeheimdienst FSB den tschetschenischen Top-Terroristen Doku Umarow. Erst vor wenigen Monaten hatte „Russlands Bin Laden“ damit gedroht, die Olympischen Winterspiele im Februar in Sotschi mit Attacken zu torpedieren. Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Umarow ist Russlands Staatsfeind Nummer eins, auch wenn sein Einfluss mittlerweile umstritten ist.

    Sicherheitsexperten in Moskau meinen, dass die Kampfkraft der Terroristen heute nicht mehr reicht für Attentate wie im Moskauer Theater Nord-Ost (2002) oder in der Schule von Beslan (2004). „Die Terroristen sind nicht mehr stark genug für große Kommandoaktionen, sie können aber einzeln immer noch Angst und Schrecken verbreiten – wie in Wolgograd“, meint FSB-Chef Alexander Bortnikow.

    Im Frühjahr 2012 schickte Moskau 30 000 zusätzliche Soldaten in die Teilrepublik Dagestan – für Experten ein Zeichen, dass die lokalen Behörden nicht mehr Herr der Lage sind. Doch nicht nur mit Panzern versucht der Kreml, die Konfliktregion zu beruhigen. Milliarden pumpt der Staat derzeit in das Gebiet, damit ein geplantes Ski- und Wandergebiet künftig „Touristen statt Terroristen“ in die schöne Gegend lockt und dort Arbeitsplätze schafft. Daneben investiert der Oligarch Sulejman Kerimow riesige Summen in Fußballschulen des Erstligisten Anschi Machatschkala, um arbeitslosen Jugendlichen in Dagestan eine Perspektive zu geben – und sie dem Einfluss der Islamisten zu entziehen. Doch Kommentatoren sind skeptisch. Der Kreml schaffe sich mit Geld eine „nordkaukasische Utopie“, meint etwa die Moskauer Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“.

    Im Nordkaukasus, wo die Lage einem Pulverfass gleiche, finde die Zentralregierung bisher kein Mittel gegen die Gewalt, meint der Radiosender Echo Moskwy. Die Steuergelder, die Moskau jedes Jahr in das Gebiet pumpe, versickerten in den Taschen korrupter Beamter. Menschenrechtler klagen zudem, dass auch Militär, Polizei und Geheimdienst zu brutalen Mitteln griffen. Die Bevölkerung werde so immer weiter radikalisiert.

    Bomben und Geiselnahmen

    Anschläge in Russland – meist von Attentätern aus dem Kaukasus – haben schon Hunderte Menschen das Leben gekostet. Einige Fälle: Oktober 2013: Mit einer Bombe in einem Linienbus in Wolgograd tötet eine Selbstmordattentäterin sechs Insassen und sich selbst. Mehr als 30 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Fahnder vermuten Islamisten aus dem Nordkaukasus als Drahtzieher. Januar 2011: Bei einem Selbstmordanschlag auf Moskaus Flughafen Domodedowo sterben mindestens 37 Menschen. Drahtzieher ist der tschetschenische Terrorist Doku Umarow, der mit weiteren Anschlägen droht. März 2010: Selbstmordattentäterinnen sprengen sich in zwei Zügen der Moskauer U-Bahn in die Luft, mindestens 40 Menschen sterben. Auch hinter diesem Anschlag steckt Umarow. November 2009: Bei einem Sprengstoffanschlag auf den Schnellzug Moskau-St. Petersburg kommen mindestens 26 Menschen ums Leben. Umarow bekennt sich zu dem Anschlag. September 2004: Bewaffnete überfallen eine Schule in Beslan (Nordossetien) und nehmen 1100 Menschen als Geiseln. Das Drama endet mit 360 Toten. Als Drahtzieher gilt der tschetschenische Rebellenführer Schamil Bassajew. August 2004: Zwei russische Passagiermaschinen stürzen ab, alle 90 Menschen an Bord kommen um. Selbstmordattentäterinnen aus Tschetschenien hatten Bomben gezündet. Oktober 2002: Tschetschenen überfallen ein Moskauer Musical-Theater und nehmen mehr als 800 Geiseln. Nach drei Tagen stürmt die Polizei das Gebäude. 129 Geiseln und alle 41 Terroristen sterben. Text: DPA

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