Niemand kann genau sagen, wie viele Muslime in Deutschland leben. Es gibt nur Schätzungen, die auf Hochrechnungen basieren. Den 24,170 Millionen Katholiken und 23,35 Millionen Protestanten in Deutschland stehen 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime gegenüber, schätzte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einer Studie, die im Jahr 2009 im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz erstellt worden war. Sie gilt unverändert als Grundlage der politischen Diskussion. Damit beläuft sich der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung auf zwischen 4,6 und 5,2 Prozent.
Es gibt allerdings auch andere Zahlen. Beim Zensus 2011 gaben lediglich 1,9 Prozent der Befragten an, muslimischen Glaubens zu sein, was als unrealistisch gilt. Dagegen schätzte die Deutsche Islamkonferenz 2012 den Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung auf sieben Prozent, was rund 5,7 Millionen Menschen wären.
Die in Deutschland lebenden Muslime, von denen mittlerweile rund 45 Prozent die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, stammen aus 49 Ländern, die meisten kommen aus der Türkei (rund 2,5 Millionen), dem früheren Jugoslawien (346 000), dem Nahen Osten (110 000) und Nordafrika (90 000).
Keine Zahlen beim Statistischen Bundesamt
Das Statistische Bundesamt, das ansonsten alles über das Leben der Deutschen erfasst, hat keine eigenen Zahlen. Denn im Gegensatz zu den Katholiken und Protestanten in Deutschland, deren Zahl sich durch die Taufregister der Pfarrgemeinden exakt ermitteln lässt, gibt es im Islam keine Taufe: Muslim ist man durch Geburt und ein ganzes Leben lang, ein Austritt ist nicht möglich. Zudem ist der Islam im Gegensatz zu den beiden großen christlichen Religionen oder dem Judentum bislang in Deutschland weder als Religionsgemeinschaft noch durch entsprechende Staatsverträge als eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt; es fehlt also eine „Amtskirche“ mit dem entsprechenden Apparat, kirchlichen Repräsentanten, Ansprechpartnern, klaren Strukturen, Gemeinden und Mitgliederverzeichnissen. Muslime müssen daher auch keine Kirchensteuern bezahlen.
Die Zahlen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge daher 2009 veröffentlichte, stützen sich auf die Hochrechnung der Befragung repräsentativ ausgewählter Haushalte mit Migrationshintergrund. 53 Prozent der Muslime sind demnach Männer, 47 Prozent Frauen, so gut wie alle, nämlich 98 Prozent, leben in der alten Bundesrepublik, davon ein Drittel in Nordrhein-Westfalen (Baden-Württemberg 16,6 Prozent, Bayern 13,2, Hessen 10,3), nur zwei Prozent in den neuen Ländern. Da sie im Durchschnitt mehr Kinder als die Deutschen haben (2,1 zu 1,3), der Anteil der Senioren aber nur knapp halb so hoch ist, ist auch ihr Altersdurchschnitt rund zwölf Jahre jünger als der Gesamtdurchschnitt.
86 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime bezeichnen sich als „gläubig“, 36 Prozent sogar als „sehr stark gläubig“, nur vier Prozent schätzen sich als „gar nicht gläubig“ ein. Von den Deutschen sagen im Vergleich dazu nur 18 Prozent von sich, gläubig zu sein.
Muslim ist allerdings nicht gleich Muslim, in Deutschland leben Sunniten (72 Prozent), Aleviten (14 Prozent) und Schiiten (sieben Prozent) sowie Angehörige anderer Glaubensrichtungen wie Ahmadiyya, Sufi oder Ibaditen. Mit den entsprechenden Folgen: Während 42 Prozent der Sunniten angeben, täglich zu beten, antworten genauso viele Aleviten, dass sie nie beten würden, bei den Schiiten aus dem Iran sind es sogar 54,4 Prozent. Frauen beten mehr als Männer (39 zu 29 Prozent), Araber mehr als Türken (33,7 zu 15,7 Prozent). Den Fastenmonat Ramadan halten 57 Prozent der Muslime uneingeschränkt ein, 24 Prozent dagegen verzichten auf das Fasten.
Den 24 000 katholischen und 21 000 evangelischen Kirchen stehen in Deutschland etwas mehr als 200 Moscheen mit Minarett und Kuppel sowie 2600 Gebetsstätten gegenüber, weitere Moscheen sind in Bau. Die meisten der Moscheegemeinden sind in Form von Vereinen organisiert, die auch die Prediger auswählen. In den Vereinen sind jedoch nur etwa 20 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime organisiert. Die Moscheevereine bieten auch privaten Koran-Unterricht für Kinder und Jugendliche an. Finanziert werden sie ausschließlich durch Spenden. Vor allem das strenggläubige Königreich Saudi-Arabien hat sich in den letzten Jahren massiv bei der Errichtung von Moscheen und Koranschulen engagiert.
35 Prozent der Muslime geben an, häufig in die Moschee zu gehen, 35,9 Prozent selten und 29 Prozent nie. Wobei es auch hier regionale Unterschiede gibt. Während 40 Prozent der türkischen Muslime mehrmals monatlich eine religiöse Veranstaltung besuchen, tun dies 72 Prozent der aus dem Iran stammenden Muslime niemals.
Wer hat die Federführung?
Die Frage, wer die zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime in Deutschland vertritt, kann nicht beantwortet werden. Der Zentralrat der Muslime etwa vertritt nur eine Minderheit, vor allem die Nicht-Türken. Die türkische Gemeinde in Deutschland versteht sich im Gegensatz dazu nicht als religiöser Verband, sondern ausdrücklich als eine säkulare politische Interessenvertretung der hier lebenden Türken oder türkischstämmigen Deutschen. Und der im Jahr 2007 gegründete Koordinationsrat der Muslime ist als bloße Arbeitsplattform der vier größten Verbände viel zu heterogen, um mit einer Stimme zu sprechen.
Das Gesicht des Islam in Deutschland ist im Augenblick dennoch der 45-jährige Deutsch-Syrer Aiman Mazyek. Als deutscher Muslim ist er in beiden Kulturen zu Hause, er tritt offensiv für einen aufgeklärten, säkularen Islam ein und distanziert sich von Fanatismus und Extremismus. Sein Vorpreschen nach den Attentaten in Paris – er übernahm die Federführung für die Mahnwache vor dem Brandenburger Tor – könnte sich so als Chance für die Muslime in Deutschland erweisen: Er hat ihnen eine Stimme gegeben – eine Stimme der Vernunft, gegen Hass und Gewalt.