Am Samstag wird in Würzburg der America Day 2013 gefeiert. Die deutsch-amerikanische Gesellschaft verleiht an diesem Tag die Lucius D. Clay–Medaille an Menschen, die sich um die deutsch-amerikanische Freundschaft verdient gemacht haben. Heuer erhält die Auszeichnung in Würzburg ein außergewöhnlicher Zeitzeuge: Werner Michael Blumenthal, heute Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Am Sonntag ist Europäischer Tag der Jüdischen Kultur, Blumenthal wurde als Jude in Brandenburg geboren, floh vor den Nazis und machte in den USA Karriere in Wirtschaft und Politik.
Frage: Sie kommen zur Verleihung extra nach Würzburg. Ist das Ihr erster Besuch hier?
Werner Michael Blumenthal: Nein. Ich war vor einigen Jahren einmal in Würzburg und habe Ihr jüdisches Zentrum besucht. Das war sehr eindrucksvoll, und ich erinnere mich gern an den Besuch in Ihrer wunderschönen Stadt.
Wenn Sie heute nach Deutschland kommen, wie ist das? Ist das noch so etwas wie Heimat?
Blumenthal: Das ist eine wunderbare Frage, aber schwer zu beantworten. Ein fremdes Land ist es natürlich nicht, Deutsch war meine erste Sprache. Ich fühle mich heute sehr wohl hier und ich blicke auf 300 Jahre Familiengeschichte in Deutschland zurück. Aber ich habe Deutschland mit 13 Jahren verlassen. Meine Bildung, die Universität, mein Berufsleben, meine Familie all das ist amerikanisch. Ich lebe nun seit über 60 Jahren in Amerika. Meine Heimat ist Princeton, New Jersey und New York City. In den vergangenen 15 Jahren ist aber auch Deutschland zu meiner zweiten Heimat geworden.
Wie sehen Sie Deutschland heute?
Blumenthal: Das wiedervereinigte Deutschland hat sich so rasant und positiv entwickelt. Ich war Anfang der 50er Jahre in Deutschland, als noch alles zerstört war. Ich komme heute gerne wieder nach Berlin, ich habe eine Wohnung hier. Und ich sehe mit Respekt und Bewunderung, was für ein erfolgreiches, schönes Land nach der schrecklichen Nazi-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Die Deutschen können stolz sein, was sie geschaffen haben.
Mit Ihrem Hintergrund ist die deutsch-amerikanische Freundschaft eine Herzensangelegenheit. Wie steht es um die Freundschaft zwischen Deutschland und Amerika. Man hat oft das Gefühl, dass sie im Kalten Krieg besser und enger war?
Blumenthal: Meiner Meinung nach ist diese Freundschaft genauso wichtig wie in Zeiten des Kalten Krieges. Aber sie wird in einem Umfeld gepflegt, das sich sehr verändert hat. Früher war Deutschland einer der Brennpunkte des Kalten Krieges und stand im Mittelpunkt der US-Außenpolitik. Heute besteht unser engstes Bündnis immer noch mit Europa, gerade in Wirtschaftsfragen. Aber wir sind eine Weltmacht und das Weltgeschehen hat sich nach Asien verlagert. Mit dem Aufstieg von China liegt heute eines der Hauptaugenmerke der USA auf dem Fernen Osten und dem Pazifik. Dazu kommt der Nahe Osten. Das ist eine neuralgische Region mit großen Gefahren.
Manchmal fühlen wir uns vernachlässigt . . .
Blumenthal: Natürlich will man auch in der Politik geliebt werden, und natürlich konnten die Amerikaner die Deutschen früher leichter von einer Position überzeugen. Heute sagen die Deutschen eher mal, wir denken anders als ihr. Ich kann verstehen, wenn man angesichts der vielseitigen Interessen Amerikas hierzulande glaubt, die Amerikaner interessieren sich nicht mehr für Deutschland. Stimmt aber nicht. Europa ist ein wichtiges Element in der Welt, und in Europa ist Deutschland das stärkste Land – wirtschaftlich und politisch. Wenn Sie sich ansehen, wie eng Wirtschafts- und Finanzpolitik weltweit zusammenhängen, liegt es auf der Hand, dass man zusammenarbeiten muss. Nehmen Sie die finanzielle Krise im Euroraum. Die ist ohne Deutschland nicht zu überwinden. Unsere Interessen sind eng verwoben.
Sie haben gerade die Finanz- und Schuldenkrise angesprochen. Sie waren selbst Finanzminister. Halten Sie die Finanzkrise auch für überstanden?
Blumenthal: Ich glaube, dass die unmittelbare Gefahr überstanden ist, dass alle mit in die Tiefe gerissen werden. Die Grundprobleme existieren noch, vor allem strukturelle. Daran muss weiter gearbeitet werden. Aber auch das geht nur miteinander, wenn die Kanzlerin ein gutes Verhältnis zu Barack Obama hat und die beiden Finanzminister gut miteinander können.
Auch die Amerikaner sind nicht frei von Sorgen, was ihre Staatsverschuldung angeht. Gerade geht der politische Poker in eine neue Runde.
Blumenthal: Diese dauernden Schuldenstreitereien in Amerika, die jetzt gerade wieder stattfinden, sind eine sehr große Belastung. Das ganze Land leidet unter den politischen Kämpfen.
Sie hatten ein erfolgreiches Berufsleben, als Sie 1997 Direktor des Jüdischen Museums Berlin geworden sind. Was hat Sie daran gereizt?
Blumenthal: Die Chance, das größte und wichtigste Museum der jüdischen Kultur in Europa mitzugestalten. Es geht darum, die lange Geschichte der deutschen Juden und ihrer Verdienste für den Erfolg des Landes zu zeigen und den Bürgern vor Augen zu führen. Das ist ein großes Glück für mich. Es freut mich, dass man jungen Menschen, die in der Schule vom Holocaust hören, zeigen kann, dass Juden nicht immer nur Opfer waren, sondern, dass Juden ein Teil der deutschen Kultur sind – sei es Wissenschaft, Politik, Kunst oder Wirtschaft. Ich habe es auch gemacht, weil ich an meine eigene Familie gedacht habe. Mein Vater, der Deutschland verlassen musste, wäre so stolz, wenn er wüsste, dass ich nicht nur zurückgekehrt bin, sondern auch die jüdische Kultur in Deutschland pflege. Meine Vorfahren haben sich nicht als Juden, sondern als Deutsche gefühlt.
Fürchten Sie Antisemitismus oder anti-israelische Stimmungen?
Blumenthal: Das muss man unterscheiden. Antisemitismus gibt es auf der ganzen Welt, in Deutschland vielleicht weniger als in anderen europäischen Ländern. Wir haben hier am Jüdischen Museum Berlin eine Akademie, an der wir solche Phänomene auch mit Schülern diskutieren. Gerade, wenn es um das Zusammenleben von verschiedenen Kulturen, zum Beispiel auch mit Muslimen, geht. Antisemitismus wird oft mit der Kritik an Israel vermischt. Das ist nicht richtig. Man darf Israel kritisieren, ich selbst tue es auch. Aber deswegen bin ich kein Antisemit.
Werner Michael Blumenthal
Er war Finanzminister unter dem US-Präsidenten Jimmy Carter und Präsidentschaftsberater unter John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. Geboren wurde er 1926 im brandenburgischen Oranienburg, von wo seine jüdische Familie 1939 vor den Nazis über Singapur in die USA floh. Er studierte, ging in die Wirtschaft, dann in die Politik. Seit 1997 ist er Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. FOTO: Sönke Tollkühn, Jüdisches Museum