Es ist ein bisschen diesig heute. So als hätte sich der beißende schwarze Rauch noch immer nicht ganz verzogen. Was vermutlich auch so ist. Es hat wieder gebrannt in den vergangenen Wochen – an vielen Ecken und Enden der Stadt, auch im Zentrum. Neapel versinkt noch immer im Müll. Der dann angezündet wird, verbrennt, giftigen Rauch freisetzt. Die Luft ist verpestet, die Neapolitaner sind verzweifelt, wütend, ohnmächtig, gleichgültig, manche aber auch zufrieden. Je nachdem.
Schon bei der Ankunft hat man eine Meinung von dieser Stadt: Neapel ist der stinkende, kriminelle, bettelnde Penner unter Italiens Großstädten. Dem nicht mehr zu helfen ist. Und die Camorra ist bis hierher noch nicht einmal erwähnt worden. Wenn das tatsächlich so sein sollte, dann ist der schneidige Mann gegenüber am Schreibtisch aufrichtig zu bemitleiden. Es ist Luigi de Magistris, der neue Bürgermeister von Neapel, der Mann, der dem Penner in den Hintern treten möchte.
Er würde seine Geburtsstadt natürlich nie so bezeichnen. Der Palazzo San Giacomo, nicht weit vom Hafen, und das gediegene Arbeitszimmer sind auch nicht der Ort für solche Worte. De Magistris sagt: „Ich möchte die Wiedergeburt Neapels.“
Das ist ambitioniert: eine Wiedergeburt. Nicht mal der Beginn einer Wiedergeburt lässt sich in fünf Tagen regeln. Auch wenn de Magistris das direkt nach seiner Wahl angekündigt hatte: In fünf Tagen, so das Stadtoberhaupt, werde der Müll von den Straßen verschwunden sein. Der Mann ist hoch motiviert, nur wird er wohl Geduld haben müssen. „Ich bin seit 20 Tagen im Amt. Das ist alles sehr schwierig und hat sich über viele Jahre so entwickelt.“ Es geht um Kompetenzgerangel zwischen der Stadt Neapel, der Provinz, der Region Kampanien und der Regierung in Rom. „Das Thema Müll“, sagt de Magistris, „ist ganz grundlegend für die Wiedergeburt von Neapel.“
De Magistris ist zielstrebig. Er war Staatsanwalt in Kalabrien, ermittelte in Korruptionsfällen und sorgte damit für so viel Wirbel, dass er strafversetzt wurde. 2009 trat er der kleinen Anti-Mafia-Partei „Italien der Werte“ (IdV) bei. Jetzt ist er 44 Jahre alt, mit 65,4 Prozent der Stimmen gewählter Bürgermeister von Neapel und entsprechend selbstbewusst: „Die Stadt will den Wandel. Natürlich sind die verschiedenen Interessen sehr stark. Aber wir werden das schaffen.“ Führt er Krieg gegen die Camorra? „Auch.“ Hat er Angst? „Es gibt keine Alternative, zu den Dingen, die wir machen müssen“, sagt er.
Das sieht Signora Ferraro genauso. Die alte Dame lebt im vierten Stock des Hauses Nr. 49, Via Monte di Dio. Das ist eine der schickeren Gegenden von Neapel. Aber auch hier stapelte sich der Müll. In diesem Haus mit dem hohen Innenhof, in dem Signora Ferraro lebt, ist Staatspräsident Giorgio Napolitano aufgewachsen.
Glaube an den Aufbruch
Signora Ferraro kennt ihn noch von früher, wie sie erzählt. „Früher war das ein ruhiges Viertel, aber heute?“ Heute geht sie nur noch ohne Portemonnaie aus dem Haus. Sie hat Angst. Aber in diesen Tagen ist sie wieder etwas zuversichtlicher. Das liegt an dem Neuen im Rathaus. „Auf de Magistris hoffen wir sehr.“
Staatspräsident Napolitano kann nicht glücklich über das sein, was man in den vergangenen Jahren aus seiner Heimatstadt hörte. Immerhin ist seine alte Straße jetzt müllfrei. Weiter unten wird eine Ausfahrt mit dem Wasserschlauch sauber gespritzt. Hier in der reichen Gegend, wirkt Neapel schon so reinlich, wie es bald überall sein soll. Fast schon symbolisch stehen zwei Container zur Mülltrennung direkt vorm Haus.
Für de Magistris ist genau das der Ansatzpunkt: Mülltrennung. Eine so einfache wie alte Idee, die aber in Neapel bislang nur selten umgesetzt wurde. Der Schriftsteller Roberto Saviano beschrieb das Problem in der Wochenzeitung „Die Zeit“ unlängst so: „Die Mülltrennung funktioniert nicht etwa deswegen nicht, weil die Neapolitaner sich nicht beherrschten oder nicht wollten. Sie funktioniert nicht, weil das Geschäft mit dem Abfall blüht, so lange er nicht getrennt wird. Mülltrennung bedeutet weniger Abfall, und weniger Abfall bedeutet weniger Verdienst für die Müllwirtschaft, die mit dem organisierten Verbrechen verfilzt ist. So absurd es klingt: In Neapel ist Mülltrennung eine Anti-Mafia-Aktion. Bisher hat sich noch keine Stadtverwaltung getraut, das wirklich durchzusetzen.“ Jetzt traut sich also de Magistris. Im Rathaus ist die Stimmung gut. Im Vorzimmer sitzen vier junge Leute zusammen, die alle so wirken, als wären sie jetzt Teil von etwas Größerem. Freundlich lächelnd scheinen sie zu wissen, wofür sie arbeiten. Sie glauben an den Aufbruch.
Der Abfall stapelt sich
Eine andere Ecke der Stadt, nicht die Vororte, in denen sich der Müll heute noch hoch stapelt, sondern etwa zwei Kilometer vom Hauptbahnhof Neapels entfernt, Via Gianturco. Das ist keine Straße, sondern eine Müllkippe, auf der es kürzlich erst gebrannt hat. Es riecht auch so. Das ist zwar keine Wohngegend, aber es ist eine Straße in Zentrumsnähe. Dann passiert das: Ein gepflegter schwarzer Golf fährt vorbei. Am Steuer sitzt ein Herr in schicker Bürokleidung. Er bremst den Wagen, lässt das Fenster herunter. Ein Müllsack fliegt raus, noch einer. Dann fährt der Mann gemütlich weiter.
Nichts Besonderes, scheinbar. An der Piazza Bellini, einem der schönsten Plätze in der Altstadt von Neapel, liegt auch noch eine ganze Menge Müll herum. Bei der Kirche Santa Maria Maggiore alla Pietrasanta hat sich gerade eine ganze Reihe Leute zu einer Anti-Mafia-Demonstration zusammengefunden. Nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit in Neapel. Wie viele andere hofft auch Ulderico auf den neuen Bürgermeister de Magistris, dass sich endlich etwas ändert. Ulderico ist Aktionskünstler. In seinem Atelier ein paar Gassen weiter zeigt er, was er vor drei Jahren schon für eine visuelle Kunstausstellung inszeniert hat. Es heißt „Napoli 35 000 Kubikzentimeter“. Es ist ein Koffer, gefüllt mit eng verschnürtem Müll. Damit ist Ulderico nach Berlin abgereist. Das war sein Statement zu seiner Stadt.
Schwierige Entsorgung
Die Stadt Neapel bekommt ihre Müllentsorgung seit Jahren schon nicht in den Griff. Die umliegenden Deponien und Wiederaufbereitungsanlagen sind überlastet. Zudem wehren sich zahlreiche Anwohner gegen die weitere Nutzung oder Vergrößerung ohnehin schon überfüllter Deponien. In den vergangenen Wochen hatten sich wieder stinkende Müllberge aufgetürmt. Es hatte auch Streit mit einer benachbarten Kommune gegeben, die den neapolitanischen Müll nicht bei sich aufnehmen wollte. Der neue, Ende Mai gewählte Bürgermeister Luigi de Magistris (von der Anti-Korruptionspartei „Italien der Werte“) war sofort unter Druck. Er warf der mit der Müllwirtschaft verbundenen Mafia vor, gegen seine Reformen zu kämpfen und den Abtransport zu behindern. De Magistris setzt auf Mülltrennung schon in den Wohnungen, nicht erst auf der Müllkippe. Er will die Gesetze zur Entsorgung und zum Recycling von Abfällen verschärfen und der Mafia damit eine wichtige Geschäftsgrundlage entziehen. Text: Stefan Küpper