Ein Präzedenzfall ist es nicht. Stephan Harbarth ist nicht der erste führende Politiker, der ohne eine Pause im „Abklingbecken“ von einem Verfassungsorgan zum anderen wechselt und auf direktem Wege Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird. Zuletzt gelang dieser Karrieresprung dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller von der CDU, der seit 2011 dem höchsten deutschen Gericht angehört und dort unter anderem Berichterstatter für das politisch brisante NPD-Verbotsverfahren war.
Nun verlässt auch der erst 46jährige stellvertretende Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Stephan Harbarth, die Politik, um als Hüter der Verfassung der Politik auf die Finger zu schauen und im Zweifelsfall Gesetze, an deren Mitwirkung er noch selber beteiligt war, daraufhin zu überprüfen, ob sie im Einklang mit dem Grundgesetz stehen. Am Donnerstag wählte ihn der Bundestag mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit zum Nachfolger von Ferdinand Kirchhof, dessen Amtszeit als Vorsitzender Richter des Ersten Senats und Vizepräsident bereits im Juni endete. Und am Freitag beschloss der Bundesrat ebenfalls mit Zwei-Drittel-Mehrheit, dass Harbarth im Jahr 2020 Präsident des Karlsruher Gerichts wird, wenn die Amtszeit von Andreas Voßkuhle endet.
Monatelanges Gezerre
Ganz so unumstritten, wie es die Abstimmungsergebnisse zum Ausdruck bringen, war die Wahl Harbarths allerdings nicht. Ihr ging ein monatelanges Gezerre hinter den Kulissen voraus, viele Namen waren für diesen ebenso einflussreichen wie mächtigen Posten im Gespräch, protokollarisch die Nummer fünf im Staate, die Grünen pochten auf ein Mitspracherecht und lehnten, wie zu hören war, den ursprünglichen Kandidaten der Union, Innenstaatssekretär Günther Krings, ab. So war der Weg für den gebürtigen Heidelberger Harbarth frei, der seit 2009 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Rhein-Neckar dem Bundestag angehört und seit Juni 2016 stellvertretender Fraktionschef für die Bereiche Innen, Recht und Verbraucherschutz ist. In dieser Funktion erwarb er sich für seine eher leisen, abwägenden und moderaten Töne Anerkennung in allen Fraktionen. Harbarth gehörte nie zu den Scharfmachern und Lautsprechern, sondern hatte stets das Machbare im Blick und suchte dabei den Kompromiss mit dem Koalitionspartner. Bei seiner Wiederwahl Ende September erhielt er das mit Abstand beste Ergebnis aller Fraktionsvizes der CDU.
Mehr noch als seine politische Tätigkeit machte ihn aber seine ausgewiesene Expertise als Wirtschaftsanwalt zum Kandidaten für das Verfassungsgericht. Harbarth, der in Heidelberg promovierte, blieb auch als Abgeordneter Vorstandsmitglied einer Mannheimer Sozietät, zudem ist der Vater von drei Kindern seit 2004 Lehrbeauftragter sowie seit März 2018 Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der renommierten Heidelberger Universität und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze im Bereich des Gesellschafts- und Kapitalrechts. Allerdings sorgte seine Tätigkeit als Anwalt immer wieder auch für Kritik. So prangerte die Opposition schon 2013 an, dass seine Kanzlei im Auftrag der Deutschen Bahn AG ein Gutachten zu den Haftungsrisiken beim Großprojekt Stuttgart 21 erstellt hatte. Und zuletzt verteidigte seine Sozietät den Volkswagenkonzern im Abgasskandal gegen Investorenklagen. Im zuständigen Ausschuss stimmte er für die Absetzung des Tagesordnungspunktes VW, ohne den Ausschuss über seinen Interessenkonflikt zu informieren.
Top-Verdiener im Bundestag
Seine anwaltliche Expertise machte am Ende den Weg für seine Wahl zum Verfassungsrichter frei. Sehr zur Freude des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Seit der Gründung des Bundesverfassungsgerichts hätten es gerade einmal drei Anwälte geschafft, nach Karlsruhe berufen zu werden, seit 13 Jahren gehöre kein Anwalt mehr der Richterschaft an, obwohl die Anwaltschaft die „größte Gruppe unter den volljuristischen Berufen“ darstelle, „Mit der Wahl Harbarths kann nun die Expertise der Anwaltschaft endlich wieder Einzug in das höchste deutsche Gericht finden“, jubelte DAV-Präsident Ulrich Schellenberg. Für Harbarth selber ist die Wahl zwar ein Karrieresprung, finanziell aber ein Abstieg. Im Bundestag gehörte der Anwalt zu den Top-Verdienern, der nach einem Bericht der FAZ Nebenverdienste von mindestens 650 000 Euro im Jahr hat. Als Richter kommt er dagegen ohne Zulagen auf eine Jahresbesoldung von nur knapp 200 000 Euro.