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Keine Heilung aus der Petrischale

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Keine Heilung aus der Petrischale

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    Keine Heilung aus der Petrischale
    Keine Heilung aus der Petrischale

    Dem 18-jährigen Sean (Name geändert) aus einem Londoner Vorort ist das Grundsatzurteil aus Luxemburg ziemlich egal. Seit Jahren leidet er unter der Augenkrankheit Morbus Stargardt, die bei Jugendlichen zur Erblindung führen kann. Vor wenigen Wochen gab die britische Gesundheitsbehörde ihre Zustimmung zu klinischen Tests, bei denen zunächst Sean und elf weiteren Patienten Zellen in den Augapfel verpflanzt werden. Sie wurden aus embryonalen Stammzellen gewonnen. Aber nicht in Europa, sondern in den USA. Dort ist nämlich erlaubt, was das höchste europäische Gericht EuGH am Dienstag untersagte.

    Das Gewinnen von embryonalen Stammzellen widerspricht der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnischer Erfindungen. Insbesondere dann, wenn – wie es der Bonner Stammzellenforscher und Neurobiologe Oliver Brüstle beantragt hatte – das Verfahren auch noch geschützt werden soll. Der Gesetzgeber habe nämlich eine Patentierung ausschließen wollen, „sobald dadurch die der Menschenwürde geschuldete Achtung beeinträchtigt werden könnte“, heißt es im Richterspruch.

    Bonner Neurobiologe enttäuscht

    Dazu legten die Luxemburger Juristen den Begriff „menschliches Embryo“ sehr weit aus: „Jede menschliche Eizelle muss vom Stadium ihrer Befruchtung an“ rechtlich als menschlicher Embryo gesehen werden, „da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen“. Einen Patentschutz könne es im Übrigen auch deshalb nicht geben, weil dieser selbst dann, wenn er wissenschaftlich begründet wird, „grundsätzlich die industrielle und kommerzielle Verwertung einschließt“.

    Tatsächlich hatten zahlreiche Pharmakonzerne große Erwartungen in die Ergebnisse der Stammzellenforschung. Der Bonner Hirnforscher Brüstle versprach sich beispielsweise spürbare Fortschritte bei seiner Arbeit im Kampf gegen Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Multiple Sklerose. Er nannte den Richterspruch „ein ganz schlechtes Signal für Wissenschaftler in Europa“ und eine „Stigmatisierung eines ganzen Forschungszweiges“. Zwar darf die universitäre Grundlagenforschung weitergeführt werden, die Technik darf Brüstle sich aber nicht patentieren lassen. Damit ist sie für viele Pharmafirmen uninteressant geworden. „Aber uns geht es ja gerade um die Brücke zu Verfahren, Produkten und Unternehmen. Patente sind dafür wichtig.“ Für den Biotechnologie-Standort Europa sei dies „eine ganz schlechte Situation“.

    Die Befürchtung ist berechtigt. Biotech-Unternehmen könnten nun ins Nicht-EU-Ausland abwandern, vor allem nach Ostasien oder in die USA, wo die Stammzellenforschung sogar mit staatlichen Fördergeldern rechnen darf. In Europa werde man dann die teuer entwickelten Präparate kaufen müssen, hieß es am Dienstag in Luxemburg aus Beobachterkreisen. „Das sei doppelte Moral.“

    Tatsächlich gehört Europa zu den schärfsten Gegnern der Entnahme von Zellen im embryonalen Frühstadium. In einigen Mitgliedstaaten darf ausschließlich mit überzähligen Embryonen geforscht werden, die nicht mehr zur Fortpflanzung benötigt werden. In Polen wird die Zerstörung eines Embryos gar mit Abtreibung gleichgesetzt und ist mit hohen Strafen belegt. Auch in Bonn wollte Brüstle lediglich solche Zellen benutzen, die aus künstlicher Befruchtung gewonnen werden.

    Das Echo auf das Urteil war in Brüssel geteilt. Während konservative Politiker offen von einem Sieg „der Menschenwürde über den Profit“ sprachen, hieß es vor allem aus medizinischen Kreisen, dass gerade Patienten mit schweren Erkrankungen wie Leukämie, Alzheimer, Diabetes oder Herzinfarkten nun deutlich länger auf medikamentöse Hilfe warten müssten.

    In Berlin begrüßte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) das Urteil. Auch aus anderen Bundestagsfraktionen kam Zustimmung: Die Entscheidung sei ein großer Erfolg, hieß es bei den Grünen; die SPD begrüßte das Urteil als „vernünftig“.

    Aktenzeichen: EuGH Rechtsache C-34/10

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