Es ist die größte kommunale Pleite in der Geschichte der USA: Die ehemals stolze Industriestadt Detroit (US-Bundesstaat Michigan) hat Konkurs angemeldet. Der Schritt ist der vorläufige Tiefpunkt eines jahrzehntelangen Niedergangs. Er stürzt nicht nur Rentner und städtische Angestellte ins Ungewisse, sondern auch Gläubiger und Teile des landesweiten Kreditmarkts. Falls er erfolgreich ist, könnten ihn andere Städte kopieren.
„Dies ist ein schwieriger Schritt, aber der einzige gangbare Weg, um einem Problem zu begegnen, dessen Wurzeln sechs Jahrzehnte zurückliegen“, sagte Michigans Gouverneur Rick Snyder. Er hatte der Stadt bereits im März die Finanzkontrolle entzogen und nun den Konkurs genehmigt. Seit den 50er Jahren ist die Einwohnerzahl der Metropole von 1,8 Millionen auf 680 000 gestürzt, allein seit 1990 hat Detroit ein Drittel seiner Bürger verloren und damit auch deren Steuern. In weiten Teilen ihrer 360 Quadratkilometer riesigen Fläche kann die Kommune nicht einmal mehr die Grundversorgung sicherstellen. 78 000 Gebäude stehen leer, ein Drittel der Wohnfläche ist verödet.
Detroits Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Wer jung und gesund war, ist längst gegangen. Den explodierenden Sozialkosten ist die Stadt jahrelang mit weiteren Schulden begegnet. Heute weiß niemand genau, wie hoch die Außenstände eigentlich sind. Zwischen 18 und 20 Milliarden Dollar, schätzt Zwangsverwalter Kevyn Orr. Gouverneur Snyder hat ihn der Stadtverwaltung im März vor die Nase gesetzt, aber auch Orr ist es nicht gelungen, mit Gläubigern und Gewerkschaften eine Einigung zu erzielen, die die Verpflichtungen ausreichend gesenkt hätten. Seit Donnerstag fungiert er als Insolvenzverwalter.
Orr hat klargestellt, dass die Stadt ihre Angestellten und ihre Rechnungen vorerst weiter bezahlen wird – erst muss ein Gericht den Konkursantrag noch absegnen. Mittelfristig müssen sich Mitarbeiter, Rentner und Gläubiger aber auf harte Einschnitte einstellen. Gewerkschaften und Sozialverbände befürchten Präzedenzfälle: Einen kommunalen Konkurs in dieser Größe hat es noch nie gegeben. Gut 60 Gemeinden und Bezirke haben seit den 50ern zwar offiziell ihre Zahlungsunfähigkeit eingestanden. Aber die Dimensionen sind ohne Vorbild: Nach Schulden war Jefferson County in Alabama bislang der Rekordhalter, dort fehlten insgesamt vier Milliarden Dollar. Als größte Stadt war die kalifornische 290 000-Einwohner-Gemeinde Stockton in Konkurs gegangen.
Die Restrukturierung der Stadtfinanzen dürfte Jahre dauern. Sollte sie aber Erfolg haben, könnte sie die Hemmschwelle für andere Krisenstädte senken. Auch an den Finanzmärkten wird die Entwicklung aufmerksam verfolgt. Anders als weithin üblich haben die Verantwortlichen vor Ort die Absicht angedeutet, Kommunalkredite nicht vorrangig zu bedienen – Eigentümer bestimmter Schuldverschreibungen könnten dann nur mit Bruchteilen rechnen. Bislang gelten solche Anleihen als sichere Anlageform; dieses Image könnte sich bedeutend verschlechtern.
Der schleichende Niedergang des produzierenden Gewerbes in den USA hat die Auto- und Musikstadt Detroit härter getroffen als die meisten anderen Gebiete der USA. Als nach der Immobilienkrise auch noch zwei der drei großen amerikanischen Autobauer Konkurs anmeldeten, wurde aus dem Abschwung ein Teufelskreis. Der Schnitt soll den durchaus vorhandenen Reformansätzen nun Luft zum Atmen verschaffen.
General Motors und Chrysler fahren heute wieder satte Gewinne ein; mit der Fabrik Jefferson North betreibt Chrysler im Osten Detroits sogar eines seiner größten und profitabelsten Werke. Die Autobranche wurde allerdings 2009 von einem 80-Milliarden-Dollar-Paket aus Washington gestützt – und das Weiße Haus hat bereits deutlich gemacht, dass dergleichen diesmal nicht zu erwarten ist.
Deutsche Städte geschützt
Anders als Detroit können deutsche Städte nicht pleite gehen. „In Deutschland ist die Insolvenz von öffentlichen Gebietskörperschaften gesetzlich ausgeschlossen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, am Freitag. Es existiere ein gesamtstaatlicher Haftungsverbund aus Bund, Ländern und Kommunen. „Das heißt, dass im Extremfall die Länder für die Kommunen einstehen müssen.“ Zum Ausdruck komme das Prinzip auch bei Entschuldungshilfen, die mehrere Bundesländer für finanziell notleidende Kommunen aufgelegt haben. „Die katastrophale Situation von Detroit ist auch aus anderen Gründen mit der Lage deutscher Städte nicht vergleichbar“, sagte Articus. Er nannte den gewaltigen Verlust von Einwohnern: Detroit habe in den vergangenen 40 Jahren eine Million Einwohner verloren, mit dramatischen Auswirkungen auch auf die Finanzlage. Der Städtetag wies darauf hin, dass es auch in einer Reihe von deutschen Städten gravierende Finanzprobleme gebe. Mit fast 48 Milliarden Euro wurde laut Articus im vergangenen Jahr ein neuer Negativrekord bei den kommunalen Kassenkrediten erreicht. Text: dpa