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Letzte Zeilen vor dem Untergang

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Letzte Zeilen vor dem Untergang

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    Der Luxusdampfer Titanicauf einem undatierten Foto.Foto: dpa
    Der Luxusdampfer Titanicauf einem undatierten Foto.Foto: dpa

    Telegramm ans Belmont Hotel in New York: „Reservieren Sie zwei Doppelzimmer mit Bad und Einzelzimmer. Kommen Mittwoch. Fortune“. Am Mittwoch war der kanadische Geschäftsmann Mark Fortune, dessen Name Glück bedeutet, tot, ebenso sein Sohn Charles. Sie starben beim Untergang der Titanic. Ihre Leichen wurden nie gefunden.

    Das Telegramm wurde am 14. April um 18.41 Uhr aus der Funkkabine des als unsinkbar geltenden Luxusdampfers gesendet. Fast auf die Minute genau fünf Stunden später kollidierte die Titanic mit einem Eisberg. Gegen 2.20 Uhr des 15. April versank das Passagierschiff der britischen Reederei White Star Line im Nordatlantik. Mark Fortune und sein Sohn sind zwei von über 1500 Opfern. Die meisten erfroren im minus ein bis zwei Grad Celsius kalten Wasser. Nur etwas mehr als 700 Menschen wurden gerettet.

    Der Untergang der Titanic auf ihrer Jungfernfahrt gilt bis heute als schlimmste Katastrophe der Seefahrt – obwohl es, was die Zahl der Opfer anbelangt, weitaus größere Schiffsunglücke gab. Die Titanic ist jedoch zum Mythos geworden. Ihr Ende war gleichzeitig der Beginn unzähliger Legenden.

    Durch die damals erst wenige Jahre alte Funktechnik hat sich das Ereignis in Windeseile quer über den Globus verbreitet. Das Museum für Kommunikation in Frankfurt zeigt aktuell die Ausstellung „Die letzten Telegramme der Titanic“. Es sind kurze Botschaften von Passagieren, die wenige Stunden später um ihr Leben kämpften.

    Zu den Glücklichen, die einen Platz in einem der Rettungsboote ergattert haben, gehört zum Beispiel Alfred Nourney aus Köln. Der junge Mann wurde von seiner verwitweten Mutter über den Großen Teich geschickt, weil er eine der Hausangestellten geschwängert hatte. Auf der Reise sollte er die unstandesgemäße Liebe wohl vergessen. Nourney hatte ein Ticket für die Zweite Klasse. Im französischen Cherbourg ging er an Bord der Titanic und zahlte einen enormen Aufpreis, um Erster Klasse reisen zu können – unter dem Pseudonym „Baron Alfred von Drachstedt“. Nourney war ein Hochstapler und professioneller Glücksspieler. Mit klingendem Namen wollte er in Kontakt mit reichen Passagieren kommen und sie abzocken. In der Unglücksnacht saß er im Rauchsalon mit einem Pelzhändler und einem Juwelier zusammen. Der Eisberg machte seine Pläne zunichte.

    Auch „Baron Alfred“ leistete es sich, mehrere kostspielige Nachrichten per Funk nach Hause zu senden. Laut Auskunft des Frankfurter Museums für Kommunikation kostete ein Telegramm mit zehn Worten nach heutigem Wert etwa 250 Euro. Demnach investierte Nourney mit fünf Worten die Hälfte, als er einer Dame einen Abend vor dem Desaster das Telegramm mit den Worten „Drahtlosen Kuss in liebe Alfred“ nach Köln übermitteln ließ. Sie hieß Jarkonska, wohnte in Rothgerberbach und soll seine Freundin gewesen sein – oder war es die Hausangestellte?

    Der falsche Baron wurde nach seiner Rettung wieder Alfred Nourney. Er lebte später in Bad Honnef als Autovertreter und starb 1972 in Köln. In einem Interview verglich er einmal die Schreie der Sterbenden mit dem durchdringenden Ton einer Sirene.

    Den Untergang nicht überlebt haben dagegen der deutschstämmige Amerikaner Isidor Straus, Eigentümer des New Yorker Kaufhauses Macy's, und seine Frau Ida. Die 63-Jährige saß bereits im Rettungsboot. Sie stieg jedoch wieder aus, als ihr Mann auf seinen Platz zugunsten anderer Passagiere verzichtete. Das ungeschriebene Gesetz bei einem Schiffsuntergang hieß: „Frauen und Kinder zuerst“. Da Isidor Straus bereits 67 war, wollte der Erste Offizier der Titanic, William Murdoch, der die Passagiere auf der Backbordseite in die Boote verteilte, eine Ausnahme machen. Straus nahm nicht an; der Ehrenkodex seiner Zeit und seines Standes verbot es ihm, sich retten zu lassen, wenn noch Frauen und Kinder an Bord waren.

    Zwei Offiziere waren in dieser Nacht die Herren über Leben und Tod. Murdoch, der zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Eisberg das Kommando hatte, ließ auf der linken Schiffsseite durchaus auch Männer einsteigen. Offizier Charles Herbert Lightoller auf der Steuerbordseite entschied dagegen rigoros, dass nur Frauen und Kinder einsteigen dürften– selbst dann, als durchaus noch Platz in den Booten war. So wurde es John Jacob Astor, dem damals reichsten Mann der USA, verwehrt, seine junge Ehefrau Madeleine zu begleiten. Höflich soll er Offizier Lightoller darum gebeten haben, weil Madeleine „in delikaten Umständen“, also schwanger, sei. All sein Reichtum war in diesem Moment nichts wert. Er fiel später ins eiskalte Wasser und wurde von einem der gigantischen Schornsteine erschlagen.

    Isidor und Ida Straus gingen gemeinsam in den Tod. „Wir haben so viele Jahre zusammengelebt. Wohin du gehst, gehe ich auch.“ Mit diesen Worten sollte sie unsterblich werden. Ida wurde nie gefunden. Der Leichnam ihres Mannes hat die Nummer 96. Akribisch wurde jedes Opfer erfasst. Straus hatte noch seine Golduhr bei sich, ein goldenes Etui für Stifte, einen silberfarbenen Flachmann und viel Geld. Insgesamt wurden 328 Tote aus dem Wasser geborgen, über 1200 Passagiere fanden ihr Grab im eiskalten Nass.

    Noch am Tag des Unglücks hatte das alte Ehepaar um 10.30 Uhr an seinen Sohn Jesse Strauss das Telegramm gesendet: „Schöne Reise, schönes Schiff, es geht uns gut, was gibt es Neues“. Jesse, der gerade mit seiner Familie auf einem anderen Transatlantikdampfer in Richtung Europa unterwegs war, antwortete: „Alle in New York grandios. Geht uns allen hervorragend. Schöne Reise.“ Sie sollte für seine Eltern nur noch wenige Stunden dauern.

    159 Telegramme aus der Unglücksnacht besitzt das Frankfurter Museum für Kommunikation – darunter auch etliche Eiswarnungen, die andere Schiffskapitäne an die Titanic gesendet haben. Die einzigartigen Dokumente stammen aus dem Archiv der Marconi Wireless Telegraph Co. und wurden von der Museumsstiftung 1992 auf einer Christie's-Auktion in London erworben.

    Auch dieses gehört zum Frankfurter Museumsbestand: „Kann kaum erwarten zurückzukommen, Telegramm machte mich furchtbar glücklich. In Liebe. Mutzie“. Dorothy Gibsons Botschaft schwirrte am Unglücksabend um 18.45 Uhr durch den Äther zum US-Filmproduzenten Jules E. Brulator. Er war verheiratet und das Starlet seine Geliebte. Kaum war sie in New York angekommen, verarbeitete Gibson ihre Rettung in dem Stummfilm „Saved from the Titanic“. Sie trug darin die gleichen Kleider wie in der Unglücksnacht. Genau einen Monat nach dem Unglück war der zehnminütige Film fertig – der erste von vielen.

    Diese Geschichte und andere Einzelschicksale sind es, die bis heute anrühren: die dramatischen Abschiedsszenen, der Heldenmut Einzelner, die angeblichen Bösewichter – und die Tatsache, dass auch viele wohlhabende Passagiere ihr Leben verloren. Die Klassenunterschiede auf der Titanic wurden als Spiegel der damaligen Gesellschaft, als Mikrokosmos angesehen. Oben in der Ersten und Zweiten Klasse waren die Reichen und Mächtigen, tief unten im Schiffsbauch die Armen und Unterdrückten.

    Starregisseur James Cameron hat 1997 mit seinem „Titanic“-Film zu diesem Szenario die ultimative Liebesgeschichte erfunden: die vom mittellosen Jack Dawson und der Tochter aus gutem Hause, Rose deWitt Bukater, gespielt von Leonardo DiCaprio und Kate Winslet. Das Bild, wie die beiden an der Reling stehen, gehört zu den märchenhaften Elementen des Mythos Titanic, der wohl niemals untergeht.

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