Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Eigentlich hatte sich die Linkspartei vorgenommen, über ihr künftiges Spitzenduo erst nach den beiden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Mai zu diskutieren. Mit ihrem überraschenden Rücktritt allerdings hat Parteichefin Gesine Lötzsch diese Absichten nun jäh durchkreuzt. Seit Dienstagnacht beschäftigt die Linke vor allem eine Frage: Kommt Oskar Lafontaine wieder zurück?
„Ich habe nicht vor, halbe Sachen zu machen.“ Nachdem ihr Mann Ronald Ende März in die Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses eingeliefert werden musste, hatte Gesine Lötzsch bereits mehrere Wahlkampfauftritte an der Küste abgesagt. In den knapp zwei Wochen, die seitdem vergangen sind, ist ihr dann allerdings klar geworden, dass beides zusammen auf Dauer nicht geht – eine schwer gebeutelte Partei zu führen und sich gleichzeitig um einen alten, kranken Mann zu kümmern.
„Meine familiäre Situation lässt eine häufige Abwesenheit von meinem Wohnort Berlin nicht mehr zu“, schreibt die 50-Jährige in ihrer kurzen Rücktrittserklärung. Nach reiflicher Überlegung habe sie sich deshalb entschieden, den Parteivorsitz niederzulegen. Ihr Mandat als Bundestagsabgeordnete will sie jedoch behalten.
Gesine Lötzsch wäre vor ihrer Wahl zur Chefin der Linkspartei 2010 fast über die Vergangenheit ihres Mannes Ronald gestolpert. Der Vater von vier Söhnen aus zwei Ehen war ab 1962 über 20 Jahre lang inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit, mit dem Codenamen „Heinz“. Ronald Lötzsch hatte Sprachwissenschaft in der damaligen Sowjetunion studiert. Begeistert vom Marxismus und der UdSSR kritisierte das SED-Mitglied allerdings früh die Politik der DDR-Führung. 1957 kam er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Universität Leipzig, ein Jahr später wurde er als „Verräter“ verhaftet. Drei Jahre saß er im Zuchthaus Bautzen. 1961 forschte er wieder als Wissenschaftler, bezeichnete den Mauerbau als „objektiven Differenzierungsprozess“. 1964 wurde seine Strafe getilgt. Die Stasi hatte ihn zwei Jahre zuvor angeworben. Ronald Lötzsch heiratete 1987 zum dritten Mal: die 30 Jahre jüngere Gesine.
Bundespolitiker haben schon in mehreren Fällen aus gesundheitlichen Gründen ihr Amt niedergelegt. Einige waren selbst erkrankt, andere nannten die Erkrankung eines Angehörigen als Rücktrittsgrund.
Der an Krebs erkrankte Linke-Parteichef Oskar Lafontaine hatte im Januar 2010 angekündigt, nicht mehr für den Vorsitz zu kandidieren. Er schiet auch aus dem Bundestag aus. Inzwischen hat er seine Krankheit überwunden.
SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering trat 2007 von der Berliner Politik-Bühne ab, um seine schwer krebskranke Frau Ankepetra zu pflegen. Kurz nach deren Tod im Juli 2008 meldete er sich in der Partei zurück.
Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck verzichtete 2006 nach nur 146 Tagen im Amt auf den SPD-Vorsitz. Auf einen Hörsturz folgte ein Nervenzusammenbruch. Mit Material von dpa