Schon seit Jahren setzt das Bayerische Pilgerbüro nach Lourdes eigene Charterflüge ein, um die vielen Pilger an den Gnadenort zu bringen. Über sechs Millionen Menschen sind es jedes Jahr, die aus der ganzen Welt nach Lourdes pilgern. Der kleine Ort am Fuße der französischen Pyrenäen ist heute nach Rom und zusammen mit Guadalupe in Mexiko einer der bedeutendsten katholischen Wallfahrtsorte, weil hier vor 150 Jahren einer armen Müllerstochter die Muttergottes erschienen ist. 2008 wird dieses Jubiläum groß gefeiert.
Die Geschichte der Bernadette
Die Müllerstochter hieß Bernadette Soubirous und das ist ihre Geschichte: Es war der 11. Februar 1858. Bernadette war damals 14 Jahre alt und sollte mit ihrer Schwester und deren Freundin Feuerholz sammeln. Die drei Kinder liefen zum Ufer des Gave, wo sich der Felsen Massabielle mit der Grotte erhebt. Da spürte Bernadette plötzlich ein paar heftige Windstöße und erblickte in der Felsnische oberhalb der Grotte jene „schöne Dame“, die sich später als die „unbefleckte Empfängnis“ offenbarte. Noch 17-mal erschien dem Kind in den Folgemonaten die Jungfrau Maria. Die Quelle, die Bernadette auf Geheiß der Muttergottes an dieser Stelle frei grub, sprudelt seitdem ununterbrochen. Und weil noch zur Zeit der Erscheinungen Kranke, die an der Grotte beteten, gesund wurden, sprach man von Wundern.
Bernadette verließ später ihren Geburtsort und ging ins Kloster. Ihr war der Rummel zu viel, der sich schon bald um die Grotte entwickelte. Am 3. Juli 1866 suchte sie ein letztes Mal die Grotte auf, küsste den Felsen und ging weg. Später soll sie mal gesagt haben: „Ach wenn ich ein Vöglein wäre, dann würde ich heimlich in die Grotte fliegen.“ Bernadette starb 1879 an einer Knochentuberkulose. Sie wurde nur 35 Jahre alt und 1933 heilig gesprochen.
Madonna in Plastik
„Drei Dinge muss ein Lourdes-Pilger tun“, erklärt Domvikar Reinhard Kürzinger, unser geistlicher Begleiter, bevor das Flugzeug zur Landung ansetzt: „Den Stein der Grotte berühren, sich mit dem Wasser der Quelle benetzen und eine Kerze an der Grotte anzünden.“ Die Münchnerin gibt mir noch den Rat: „Nehmen Sie mit, was für Sie wertvoll ist.“
Mein erster Eindruck von Lourdes ist – zugegeben – blankes Entsetzen. Alle Straßen zum heiligen Bezirk sind zugepflastert mit Souvenirläden. Dort gibt es die Jungfrau Maria in allen Variationen, von Kitsch bis Kunst. Der absolute Hit unter den Devotionalien aber ist die Plastikmadonna mit der abschraubbaren Krone auf dem Kopf. In den Körper kann man Lourdes-Wasser füllen. Ein Pilger neben mir ist irritiert: „Das ist ja das katholische Las Vegas.“
Hat man die engen Gassen hinter sich gelassen und betritt den heiligen Bezirk, ist man in einer anderen Welt. Der Blick fällt auf die 2,50 Meter hohe Statue der gekrönten Madonna in der Mitte der Esplanade. Sie ist Treffpunkt aller Pilger und von Blumen überhäuft. Fast jeder Pilger bringt einen Rosenstrauß mit, den es an den unzähligen Blumenständen am Eingangstor zu kaufen gibt. Jeder macht eben auf seine Weise ein Geschäft mit den Wundern von Lourdes.
Im heiligen Bezirk ist Kommerz verboten. Nur Kerzen kann man erwerben – gegen eine Spende. Kerzen jeder Größe: kleine, große, dicke, dünne. Ein Spanier läuft an der Muttergottes vorbei mit einem Bündel an Kerzen. Es sind so viele und so große, dass er sie schultern muss.
Von der gekrönten Madonna aus blickt man auf das beeindruckende Kirchen-Ensemble am Ende des Platzes, wo direkt über der Grotte drei Gotteshäuser in den Himmel ragen. Schon 1862 begann man damit, den oberen Teil des Felsens Massabielle für das Fundament einer großen Wallfahrtskirche zu ebnen. Denn die Jungfrau hatte Bernadette bei einer ihrer Erscheinungen gebeten, die Priester mit einem Kapellenbau an der Grotte zu beauftragen. So wurde 1866 im Beisein von Bernadette die Krypta geweiht, 1876 die Obere Basilika.
1896 war wegen der vielen Pilger ein weiterer Kirchenbau nötig. Die Weihe der Rosenkranz-Basilika mit ihren imposanten Rampen, die wie ausgebreitete Arme die Pilgerscharen empfangen, erlebte Bernadette nicht mehr mit. „Die Kirchen sind nur eine Beigabe, das Entscheidende ist die Grotte“, meint ein Pilger.
Ich erinnere mich an die Worte unseres geistlichen Begleiters, dass es nachts an der Grotte am stimmungsvollsten ist, und spare mir deshalb den Besuch für Mitternacht auf. Einstimmen lässt man sich darauf bei der Lichterprozession, die allabendlich zur gekrönten Madonna zieht und die Esplanade in ein Lichtermeer verwandelt. Dabei wird gesungen und gebetet in allen Sprachen der Welt.
Nach Mitternacht leert sich allmählich der Platz, an der Grotte herrscht immer noch Andrang. Ergreifende Szenen spielen sich dort ab. Eine Frau will sich gar nicht mehr von der Felswand lösen. Immer wieder drückt sie ihre Gehstöcke ans Gestein, fleht zu Maria und kniet weinend an der Quelle nieder, die heute hinter Glas sprudelt. Eine Brasilianerin hat bündelweise Bittbriefe mitgebracht, die sie an der Quelle ablegt. Sie werden gesammelt und fließen in die Fürbitten der Priester mit ein.
Es ist zwei Uhr und noch immer stehen Menschen an der Grotte. Im Fußboden ist mit einer beschrifteten Steinplatte jene Stelle gekennzeichnet, von der aus Bernadette die Gottesmutter erblickte. Heute steht ein riesiger Kerzenbaum daneben. Meine Hand fährt über den Stein der Grotte, Wasser fließt an ihren Wänden herab. Die Frau vor mir benetzt damit ihr Taschentuch, drückt es immer wieder an die Stirn und betet. Inzwischen hat sich die Esplanade geleert, auch an der Grotte sind nur noch vereinzelt Pilger. Jetzt ist es tatsächlich am stimmungsvollsten. Jetzt, wenn man ungestört seinen Gedanken nachhängen kann.
Außerhalb des heiligen Bezirks ist noch immer keine Nachtruhe eingekehrt. Es gibt tatsächlich Läden, die um drei Uhr noch offen haben. Spontan kaufe ich so eine Plastikmadonna, um sie vor meiner Rückreise mit Lourdes-Wasser zu füllen. Je nach Größe ist sie schon für 50 Cent zu haben.
Frühmesse im Stundentakt
Es wird Morgen. Schon früh dringt der für Lourdes typische Klangteppich ins Hotelzimmer. Die ersten Pilger sind bereits unterwegs zur Frühmesse an der Grotte. Jede Nation hat ihre Zeit. Zuerst sind die Spanier dran, eine Stunde später die Deutschen. Alle haben sie ihren Priester dabei, die Spanier sogar einen Bischof. Zum Jubiläumsjahr hat sich Papst Benedikt XVI. angesagt. Sein Vorgänger, Paul Johannes II., besuchte Lourdes im Jahr 2004. Ein kleines Medaillon über der Zimmertür in der Krankenherberge Notre-Dame erinnert daran, dass hier der Papst übernachtet hat.
Auf zwei Jahre im Voraus ist das 900-Betten-Hospiz am anderen Ufer des Gave mit Blick auf die Grotte ausgebucht. Rund 30 000 kranke Pilger werden hier jedes Jahr betreut – zum Großteil von ehrenamtlichen Helfern. Sie kommen aus der ganzen Welt. In Deutschland übernehmen diesen Hilfsdienst die Malteser. Sie begleiten die Kranken in ihren Rollstühlen oder in den für Lourdes typischen Chariots, den blauen Ziehwagen, an die Grotte, zu den Gottesdiensten oder den Prozessionen.
„Lourdes hat mich gestärkt“
Es sind viele junge Menschen, die hier ehrenamtlich helfen. „Es ist einfach wunderbar, in den Augen der Kranken wieder Lebensfreude zu sehen“, begründet eine junge Frau ihr Engagement. Sie schiebt die 78-jährige Ida Delaney im Rollstuhl zur gekrönten Madonna. Die Seniorin aus Irland war selbst einst ehrenamtliche Helferin, 43 Jahre lang. „That's the best job of the world“, lächelt sie – der beste Job der Welt. Und dann erlebt sie ihr ganz persönliches Lourdes-Wunder, als sie vor der Madonna die Kanadierin trifft, mit der sie bei ihrer ersten Lourdes-Pilgerfahrt vor 43 Jahren zusammengearbeitet hat. Die Frauen liegen sich in den Armen.
Es gebe aber auch Pilger, die Lourdes enttäuscht verlassen, sagt Pilgerseelsorger Uwe Barzen. Denn körperliche Heilung gebe es ganz selten, Gott wirke im Inneren. Dennoch: „Die meisten fahren anders weg, als sie ankommen.“ Seelisch gestärkt, auch wenn sie nicht geheilt wurden.
Auch ich verlasse Lourdes anders. Die kitschige Plastikmadonna habe ich selbstverständlich mit Lourdes-Wasser gefüllt und an der Grotte eine Kerze angezündet. Am Flughafen treffe ich die Münchnerin. „Lourdes hat mich wieder gestärkt“, sagt sie und zeigt auf ihre Brust – „hier drin“.