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WÜRZBURG/MANNHEIM: Mammutprojekt Rechtschreibreform ohne Erfolgskontrolle

WÜRZBURG/MANNHEIM

Mammutprojekt Rechtschreibreform ohne Erfolgskontrolle

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    Für Schüler sollte das Schreibenlernen leichter werden und für Schreibende die Schreibregeln leichter verständlich: Dies war das erklärte Ziel der Rechtschreibreform, die 1996 in Deutschland eingeführt wurde und 1998 offiziell bundesweit in Kraft trat. Die Einführung der Reform verursachte Millionenkosten, führte gerade bei Lehrern, Journalisten und Autoren zu jahrelangen Debatten. Mittlerweile ist die Rechtschreibreform kein Aufregerthema mehr. Ob das erklärte Ziel der Reform – die Vereinfachung des Schreibens und Schreibenlernens – eineinhalb Jahrzehnte nach der Einführung erreicht worden ist, kann indes kein namhafter Experte in ganz Deutschland sagen. „Es gibt nämlich keine wissenschaftlich haltbaren Vergleichsstudien“, so bundesweit Experten auf die Frage, warum sie die Frage nicht beantworten können. Niemand in ganz Deutschland, sagen sie, habe sich die Mühe gemacht, die Rechtschreibleistung von Schülern vor der Reform mit der Rechtschreibleistung von Schülern nach der Reform zu vergleichen.

    Verantwortlich für die Umsetzung der Reform war die Kultusministerkonferenz. „Leider haben wir niemanden im Haus, der über Leistungen von Schülern vor und nach der Reform oder Auswirkungen der Reform auf sie Auskunft geben könnte“, schreibt die Sprecherin der Kultusministerkonferenz auf Anfrage dieser Zeitung. Eine wissenschaftliche Untersuchung dazu sei nicht erhoben worden. Die Kultusministerkonferenz verweist an den 2004 eingesetzten „Rat für Rechtschreibung“ in Mannheim – vielleicht habe der ja doch noch Kenntnis von einer Vergleichsstudie. „Werte von vor der Reform liegen nicht vor“, sagt aber auch Dr. Kerstin Güthert, die Geschäftsführerin des Rats. Die Argumentation früherer Reformbefürworter, denen zufolge Schüler sich mit einer reformierten Rechtschreibung leichter täten, habe „sehr viel auf Annahme“ beruht, so Güthert. Die Reform sei im Grunde ein Kind der Sechziger, Siebziger Jahre gewesen; man habe sie gewollt und durchgeführt; vorher eine Untersuchung zum Leistungsstand zu machen, sei versäumt worden. Dass es in ganz Deutschland keine valide, wissenschaftlich haltbare Vergleichsstudie gibt, bestätigt auch der Präsident des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, Professor Ludwig Eichinger.

    Eichinger sagt, kein Mensch in Deutschland könne beweisen oder belegen, dass Schüler nach der Reform weniger Rechtschreibfehler machten als vor der Reform. Allerdings ist Eichinger der Meinung, dass die Vermittlung von Rechtschreibregeln leichter geworden sei. „Das Regelwerk ist systematischer; es hat weniger Ausnahmen“, sagt er.

    Aus „vielen, aber sicherlich nicht repräsentativen Gesprächen mit Lehrern“ hat auch Norbert Richard Wolf den Eindruck mitgenommen, dass das neue Regelwerk Schülern leichter beizubringen sei als das alte. Wolf, emeritierter Würzburger Professor für Sprachwissenschaft und Mitglied im Rat für Rechtschreibung, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass durch die Änderung von Schreibregeln auch neue, den Reformern nicht vorhersehbare Rechtschreibfallen geschaffen worden seien. Sein Beispiel: Vor der Reform sei man in Deutschland „radgefahren“ einerseits, „Auto gefahren“ andererseits. Die Kleinschreibung bei „Rad“ und die Großschreibung bei „Auto“ sei logisch nicht vermittelbar gewesen; die Reformer führten also die Regel ein, dass sowohl „Rad gefahren“ wie „Auto gefahren“ werde. Woraufhin in einer Art Übergeneralisierung Schreiber auch begonnen hätten, „Eis laufen“ zu gehen – anstatt korrekterweise „eiszulaufen“. Wolf, der die Reform mit der Distanz eines Forschers sieht, der es gewohnt ist, die Varianten verwendeter Sprache zu beobachten und nicht zu bewerten, kann der Reform Positives abgewinnen: „Insbesondere, was die Getrennt- und Zusammenschreibung betrifft, hat die Reform Fragen, die seit 1901, seit der letzten großen Rechtschreibreform offen waren, jetzt einfach mal geregelt.“

    Geregelt, aber nicht immer akzeptiert. Aus dem zweiten Bericht des Rats für deutsche Rechtschreibung vom Dezember 2010 geht hervor, dass sogenannte „professionelle Schreiber“ – gemeint sind Journalisten – Untersuchungen zufolge die amtlich verordnete Neuschreibung bekannter Wörter nicht unbedingt übernehmen. Schreiben Journalisten zum Beispiel darüber, dass Leute sich „schnäuzen“, schreiben sie das Wort in 36 von 100 Fällen immer noch so, wie es früher üblich war, als „schneuzen“. Schlecht akzeptiert wird von Profischreibern auch die neue Schreibweise von „behände“, „Gräuel“ und „Quäntchen“. Dass „platzieren“ neuerdings mit „tz“ geschrieben werden muss und die früheren Schreibweisen „plazieren“ oder „placieren“ ersetzt, überzeugt offenbar auch nicht alle Journalisten.

    „Die Rechtschreibdiskussion ist in Deutschland verstummt, gewichtige Folgeschäden der Neuregelung sind geblieben.“ Diese Meinung hat Professor Peter Eisenberg, der Linguistik in Potsdam lehrt und ebenfalls im Rat für Deutsche Rechtschreibung Mitglied ist, vor einiger Zeit in der FAZ vertreten. Unterm Strich sei das Vertrauen der Sprachgemeinschaft in die Tragfähigkeit der geltenden Regelung nur teilweise hergestellt; dies gelte ausdrücklich auch für die Schule. Eisenberg: „Man umschifft den Orthographieunterricht eher als vor 1996 und tut den Kindern damit keinen Gefallen. Die Rechtschreibfähigkeiten werden so keinesfalls besser, nicht einmal dort, wo die Neuregelung nichts geändert hat.“

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