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„Mein Kampf“ ist langweilig

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„Mein Kampf“ ist langweilig

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    Wolfgang Altgeld
    Wolfgang Altgeld Foto: Foto: Alice Natter

    Ab Januar könnte Adolf Hitlers Pamphlet „Mein Kampf“ rein theoretisch wieder in den Regalen der Buchhändler liegen – dann nämlich läuft das Urheberrecht für das Buch aus. Diese Rechte hält bislang der Freistaat Bayern und hat somit seit Ende des Zweiten Weltkriegs eine Neuauflage des Machwerks verhindert. Auch künftig will die Politik verhindern, dass das Buch unkommentiert erscheinen darf. Am 8. Januar erscheint zudem eine historisch-kritische Ausgabe beim Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München. Eben diese Ausgabe hält der Würzburger Historiker Wolfgang Altgeld für besonders wichtig. Der Geschichtsprofessor, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Entwicklung des Nationalismus liegt, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Nationalismus im deutschen Sprachraum.

    Frage: Herr Professor Altgeld, haben Sie Adolf Hitlers Schmähschrift „Mein Kampf“ einmal gelesen?

    Wolfgang Altgeld: Ja, ich habe das Buch schon vor längerer Zeit gelesen und für einige meiner Aufsätze verwendet – vor allem die programmatischen Äußerungen im zweiten Teil, der erstmals im Jahr 1926 erschienen ist. Darin konnte man schon damals lesen, dass es Hitler irgendwann einmal um die Eroberung von „Lebensraum“ im Osten gehen würde.

    Was war Ihr Eindruck von dem Buch? Ist es gefährlich oder ist es einfach nur nicht lesenswert?

    Altgeld: Es ist vor allem eines: furchtbar langweilig. Über weite Strecken ist es deshalb auch schlicht nicht lesenswert. Nur die wirklich politischen Passagen sind interessant, wenn man den aufstrebenden Politiker Hitler verstehen und begreifen will, was er sich vorgenommen hat. Das alles zeugt von seinen fixen Ideen. Er hat wirklich aufgeschrieben, was er tun will, sobald er an der Macht ist. Das tun nur wenige Politiker. Und Hitler hat es zum Schrecken der Welt umzusetzen versucht.

    Nun laufen die Urheberrechte für das Buch aus. Danach soll es per Volksverhetzungsparagraf verboten werden. Was halten Sie davon?

    Altgeld: Ich bin da – als Staatsbürger, weniger als Historiker – skeptisch. Denn die deutsche Gesellschaft hat über drei Generationen hinweg Demokratie, Freiheit sowie die Distanzierung von Rassismus und Antisemitismus eingeübt und gelebt. Die heutige junge Generation käme mit einer solchen Literatur durchaus zurecht, man muss sie nicht davor schützen. Hinter solchen Verboten steckt immer auch die Idee vom unmündigen Volk. Auf der anderen Seite ist es so, dass man es missverstehend lesen kann, wenn man das will oder nicht ausreichend informiert ist – deshalb ist die kritische Edition so wichtig.

    Warum ist die historisch-kritische Ausgabe des IfZ so wichtig?

    Altgeld: In „Mein Kampf“ stehen viele Dinge, die mehr als nur grenzwertig sind – und Hitler formuliert sie in seinem Dreiwort-Satz-Stil so selbstsicher, dass ein historisch nicht sonderlich aufgeklärtes Gemüt das falsch verstehen kann. Wer eine gewisse Vorprägung hat, der wird darin das finden, was er sucht – eine Radikalisierungsgrundlage in Bezug auf Volk, Lebensraum, Zuwanderung und so weiter. Also brauchen wir dieses kompetent edierte Referenzwerk für die Bildungsarbeit an Schulen oder Universitäten. So hätte man einen Maßstab auf dem Markt: Wenn ihr schon „Mein Kampf“ lest, dann hier: ein Werk, das alle Fragwürdigkeiten des Buches aufdeckt.

    Ist die Befürchtung, dass der Buchmarkt ab Januar mit Neuauflagen überrollt wird, realistisch?

    Altgeld: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Es wird Rechtsradikale geben, die das Buch im Nachdruck haben wollen – ich vermute, dass das dann von den speziellen Versandhändlern in der Szene auch angeboten wird. Aber ich denke nicht, dass man beim Einkaufsbummel ab Januar plötzlich an Büchertischen mit stapelweisen „Mein Kampf“-Ausgaben vorbeigehen muss. Das halte ich für ausgeschlossen.

    Viele Kritiker auch der wissenschaftlichen Ausgabe halten das Buch nach wie vor für gefährlich. Ist es das wirklich noch?

    Altgeld: Nein, als kommentierte Ausgabe sicher nicht. Nicht gefährlicher jedenfalls als vieles andere, was heute auf dem Markt ist – und das muss nun gar nicht nur aus dem rechtsextremen Spektrum kommen. Wer Hitlers Machwerk lesen will, kann im Internet unter Hunderten Exemplaren auswählen. Für knapp 50 Euro bekommt man gut erhaltene Ausgaben, es sind ja bis 1945 zehn Millionen Exemplare in deutscher Sprache gedruckt worden. In Spanien zum Beispiel findet sich das Buch in manchem Antiquariat – und zwar in fast jeder wichtigen Sprache.

    Die kommentierte Ausgabe will „Mein Kampf“ ja auch entzaubern. Hat das faktische Verbot die Mystifizierung nicht geradezu befördert?

    Altgeld: In gewisser Weise schon: Was verboten ist, erzeugt Neugier – und das Verbot erregt Widerspruch: „Ich bin doch wohl in der Lage, dieses Buch alleine zu lesen, ohne darauf hereinzufallen.“ Wenn jemand ohne historisches Interesse an das Buch geht, wird er wohl bereits nach wenigen Seiten kapitulieren. Das ganze Werk ist ohne jeden literarischen Wert.

    Hitler selbst hat gelegentlich gesagt, dass es schlecht geschrieben ist. Wir lesen es heute, weil wir wissen, wessen politisches Denken das ist – aber: Hätte sich die Weimarer Republik behaupten können und Adolf Hitler nicht die Macht ergriffen, würde dieses Buch kaum noch jemand kennen.

    Was raten Sie bisherigen Nicht-Kennern des Buches: Lohnt sich ab 2016 ein Blick in die Ausgabe des IfZ?

    Altgeld: Für alle, die historisch interessiert sind: Ja, die Auseinandersetzung mit der IfZ-Ausgabe wird sich lohnen. Und ich meine, das sollten in Deutschland nicht wenige sein. Es geht ja um den zentralen Punkt unserer neuesten Geschichte. Wenn der Preis nicht zu hoch ist, sollte es auch der ein oder andere kaufen – um im eigenen Kreis und begründet Stellung nehmen zu können, wenn Fragen aufkommen.

    Wie die Wissenschaftler am Münchner Institut für Zeitgeschichte an der kommentierten Ausgabe von „Mein Kampf“ gearbeitet haben, lesen Sie am 2. Januar in unserem Wochenend-Magazin.

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